Healthcare-Influencer: Nur ein Trend oder nachhaltiges Brand-Marketing? In dieser Serie beleuchten wir aus unterschiedlichen Perspektiven, ob und wann ihr Einsatz Sinn macht.
Eine aktuelle
Studie des
Bundesverbandes Digitale Wirtschaft bestätigt: Influencer-Marketing wirkt. Ein Drittel der Befragten gab an, aufgrund eines Influencers bereits ein Produkt oder einen Service gebucht zu haben. Dem Boom folgt ein nahezu inflationär wirkender Einsatz von Markenbotschaftern – vor allem in der Beauty- und Livingbranche. Doch wie steht es um die Gesundheitsbranche? Welches Potential haben Healthcare-Influencer?
Nachdem wir in der ersten Folge dieser Serie mit der MS-Bloggerin
Samira Mousa gesprochen haben, fragen wir jetzt auf Agenturseite nach:
Eileen Piskorz ist als Director Operations bei der Agentur
fischerAppelt am Standort Hamburg mit Schwerpunkt Influencer Relations in Healthcare tätig. Uns erläuterte sie, warum Healthcare-Influencer für Pharma viel tun können – wenn man sie lässt.
Health Relations: Laut einer aktuellen Studie des Bundesverbands Digitale Wirtschaft boomt Influencer-Marketing besonders im Bereich Food, Beauty und Lifestyle. Wie beurteilen Sie das Potential im Healthcare-Bereich, speziell in der B2B- Kommunikation?Eileen Piskorz: Die klassischen Influencer-Marketing-Maßnahmen im Food-, Beauty- oder Living-Segment nimmt man sicherlich am ehesten wahr. Das sind oft Kooperationen mit den reichweitenstarken Influencern, die man inzwischen auch aus den Publikumsmedien kennt. Darüber hinaus registrieren wir in der Zusammenarbeit mit unseren Kunden, dass auch jenseits dieser drei großen Bereiche ein steigendes Interesse an Influencer-Marketing besteht. Die Zusammenarbeit mit Influencern birgt für Unternehmen ein großes Potenzial.
Health Relations: Unter welchen Bedingungen kann Influencer-Marketing im Healthcare-Bereich Potential haben? Eileen Piskorz: Menschen vertrauen den Empfehlungen anderer Menschen – das ist auch im Influencer-Marketing die Basis für eine erfolgreiche Umsetzung. Um Influencer-Marketing als mögliche Maßnahme in der Kommunikation einzubinden, muss im Vorfeld die Zielgruppe definiert werden. Welche Zielgruppe möchte ich ansprechen? Bewegt diese sich digital? Eine Influencer-Kampagne macht nur dann Sinn, wenn meine Zielgruppe digitale Kanäle nutzt, in denen sich auch Influencer bewegen. Wenn die kommunikativen Ziele, zum Beispiel Awareness für ein Thema, mithilfe von Influencern erreicht werden können, dann ist ein Teil der Voraussetzungen bereits erfüllt.
Health Relations: Das klingt ja alles ganz einfach. Gibt es keine Stolpersteine?Eileen Piskorz: Doch. Jedes Unternehmen sollte wissen, was es im Detail heißt, mit einem Influencer zu kooperieren. Influencer können als Fürsprecher dabei helfen, Unternehmen zu personalisieren, um damit die Zielgruppe direkter zu erreichen. Aber sie machen es zu ihren Bedingungen. Das ist meiner Meinung nach auch eine der größten Herausforderungen im Healthcare-Bereich: Man muss sich als Pharmaunternehmen bewusst machen, dass Influencer zwar authentischer und glaubwürdiger sind, als es klassische Werbung für Pharma sein kann. Das heißt aber auch, dass der Influencer sehr persönlich über Themen berichtet und berichten muss. Wenn ich also als Unternehmen versuche, den Influencer zu stark einzuschränken, ihm unrealistische Auflagen gebe und Botschaften in den Mund lege, leidet dessen Authentizität. Dann verliert die Kommunikation an Glaubwürdigkeit und die gesamte Maßnahme an Wirkung.
Health Relations: Heißt das, Healthcare-Unternehmen müssen lernen, Kontrolle abzugeben?Eileen Piskorz: Genau. Unternehmen müssen sich überlegen, ob sie im zulässigen Rahmen der Regulierungen im Pharmabereich bereit sind, ein Stück weit die Kontrolle an den Influencer abzugeben. Das ist die wichtigste Frage, die man sich als Pharmakonzern stellen sollte, wenn man in diesem Segment tätig sein will.
Health Relations: Was meinen Sie genau mit „Die Kontrolle ein Stück weit abgeben“? Hat Pharma dann doch noch Möglichkeiten der Einflussnahme?Eileen Piskorz: Man muss da einen Mittelweg finden. Wir arbeiten im Healthcare-Bereich generell mit detaillierten Kooperationsvereinbarungen, in denen zum Beispiel auch das Monitoring von Community-Reaktionen genauestens festgelegt wird. Wir stellen aber fest, dass es trotz der notwendigen Regularien immer einen Weg gibt, wie Influencer und Unternehmen auf Augenhöhe gut zusammenarbeiten können.
An erster Stelle steht der „Fit“ zwischen Influencer und Unternehmen – thematisch und persönlich. Health Relations: Hat sich das schon herumgesprochen? Ist die Pharma-Branche wirklich bereit, diesen für sie doch neuen Weg mit Influencern zu gehen?Eileen Piskorz: Der Bereich Healthcare ist da auf einem guten Weg. Die Branche wird immer mutiger, die Bereitschaft für Kooperationen mit Influencern steigt. Gerade im Indikationsbereich, wenn es um schwere Krankheitsbilder, zum Beispiel chronische Erkrankungen wie MS geht, sind die Pharmaunternehmen immer offener, diesen neuen Weg zu gehen. Aber klar, die Ausgangslage ist, auch wegen der rechtlichen Rahmenbedingungen, weitaus komplizierter als beispielsweise im Beauty-Bereich.
Health Relations: Haben Sie ein konkretes Beispiel für uns?Eileen Piskorz: Für uns ist die
Kampagne #catchcurious ein sehr gutes Beispiel für eine erfolgreiche B2B-Kampagne mit Influencer-Integration. Gemeinsam mit Merck haben wir für die Repositionierungskampagne „Curiosity“ ein internationales Netzwerk an Fürsprechern aufgebaut, die als Themenexperten aus ihrem jeweiligen Blickwinkel über die Bedeutung von Neugierde – also Curiosity – berichten. Vielfach sind das Wissenschaftler, etwa Healthcare-Professionals wie Ärzte oder Forscher aus dem universitären Bereich. Wir bezeichnen diese deshalb auch eher als Key Opinion Leader und nicht als Influencer. Diese Kampagne läuft seit 2016, und das sehr erfolgreich.
Health Relations: Wie messen Sie den Erfolg?Eileen Piskorz: Wir definieren am Anfang jeder Kooperation immer klare Ziele. Zu diesen KPIs zählen quantitative Werte wie Reichweite, Share-Ratio und Interaktions-Raten, aber auch qualitative Ziele wie die Kreativität des Contents und das Feedback der Follower. Bei Merck zum Beispiel können wir über mehrere Jahre hinweg dokumentieren, wie sich die Sichtbarkeit der Marke im Netz entwickelt hat und auch analysieren, in welchem Maße Influencer dazu beigetragen haben.
Health Relations: Die Influencer, die Sie hier beschreiben, würden sich selber sicherlich nicht so bezeichnen, oder?Eileen Piskorz: Nein, im B2B-Bereich ist diese Vokabel auch nicht ganz passend. Die meisten würden sich selber als Themenexperten bezeichnen. Wie gesagt, der Bereich Healthcare unterscheidet sich dann doch von dem klassischen B2C-Influencer-Marketing-Business.
Reichweite ist nachgelagert, Engagement ist wichtiger.Health Relations: Das klingt so, als wäre für Themenexperten Influencer-Marketing ebenso neu wie für Pharma.Eileen Piskorz: Der Weg zu einer Kooperation ist mit Sicherheit aufwendiger als mit klassischen Influencern. Diese sind es gewöhnt, dass Unternehmen auf sie zukommen, um mit ihnen zusammenzuarbeiten. Im Bereich Healthcare muss oftmals erst einmal die Bereitschaft des Experten zu einer Zusammenarbeit mit Unternehmen geprüft werden. Und natürlich sind die Regularien andere. Ganz platt: Die Kooperationsverträge im Healthcare-Bereich sind dann doch umfangreicher als im FMCG-Bereich. Deshalb ist es auch so wichtig, dass auf Beratungsseite das Know-how für Healthcare vorhanden ist, um hier allen Ansprüchen und Anforderungen gerecht zu werden.
Health Relations: Wie wichtig ist das Argument der Nachhaltigkeit?Eileen Piskorz: Das hängt natürlich von den definierten Zielen ab. Im OTC-Bereich funktionieren auch kurzfristige Marketing-Kooperationen. Aber aus unserer Sicht gilt: Je nachhaltiger der Austausch, desto besser. Im Healthcare-Bereich geht es oft um Aufklärung oder Awareness. Wir empfehlen hierfür den Relations-Ansatz, also den auf Nachhaltigkeit ausgelegten Austausch und die langfristige Zusammenarbeit mit einem Influencer. Davon haben sowohl der Influencer als auch der Kunde mehr.
Health Relations: Wie wichtig ist das Argument der Reichweitenstärke?Eileen Piskorz: Auch hier kommt es auf die Zielsetzung an. Ist eine schnelle Sichtbarkeit gewünscht, ist Reichweite wichtig. Wir merken allerdings, dass man gerade im Healthcare-Bereich nicht von Kennzahlen ausgehen darf, wie sie im Fast Moving-Bereich üblich sind. Wer als Healthcare-Influencer 100.000 Follower hat, bewegt sich auf internationalem Level. Aber eine so große Followerzahl ist auch nicht zwingend erforderlich, da wir uns oft in Nischenthemen bewegen. Wenn das Thema beispielsweise eine seltene Erkrankung ist, dann ist die Zielgruppe automatisch kleiner. Die relevante Reichweitenstärke ergibt sich aus der Zielgruppe, aus dem Themengebiet heraus. An erster Stelle steht der „Fit“ zwischen Influencer und Unternehmen – thematisch und persönlich. Dann ist auch wichtig, dass es zwischen Influencer und Community eine konstant gute Interaktion gibt. Reichweite ist nachgelagert, Engagement ist wichtiger.
Health Relations: Abschließend zusammengefasst: Was muss unbedingt gegeben sein, damit eine Kooperation erfolgreich ist?Eileen Piskorz: Transparenz und Seriosität haben Priorität. Content, der aus einer Kooperation heraus entsteht, muss als Unternehmenspatenschaft gekennzeichnet sein. Der Influencer braucht Empathie, gerade auch im Umgang mit seinen Followern, für die er eine Vertrauensperson darstellt. Unternehmen müssen ihre Erwartungshaltung dem Influencer gegenüber anpassen. Das bedeutet auch, mit dem Fürsprecher Inhalte zu entwickeln, die zu ihm passen. Influencer haben bereits eine Community, die sie nicht verprellen wollen, indem sie Inhalte posten, die ihre Follower irritieren könnten. Pharma muss akzeptieren, dass Influencer keine Testimonials sind und auch nicht sein dürfen.
Eileen Piskorz ist als Director Operations bei der Agentur fischerAppelt am Standort Hamburg tätig und zuständig für den Bereich Social Media und Content. Der Bereich Influencer Relations in Healthcare zählt zu ihren thematischen Schwerpunkten. Titelbild: © fischerAppelt