Deutsche Krankenhäuser leiden unter Personalmangel. Abhilfe soll nach dem Willen der Bundesregierung die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV) schaffen.
Die Verordnung schreibt in vier pflegesensitiven Krankenhausbereichen bestimmte Pflegepersonaluntergrenzen vor. Krankenhäuser, die die Vorgaben nicht einhalten, müssen mit Sanktionen rechnen. Ob das Gesetz die Situation der Klinken verbessert, oder doch eher kontraprodutktiv ist, berichtet Vera Lux, Pflegedirektorin und Vorstand,
Uniklinik Köln.
Health Relations: Im nächsten Jahr gelten die Pflegepersonaluntergrenzen. Was halten Sie davon?Vera Lux: Es wurde es höchste Zeit, dass Maßnahmen zur Entlastung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Pflegenden auf den Weg gebracht wurden. Ziel der PpUGV ist dabei die Gewährleistung der Qualität der pflegerischen Versorgung und der Patientensicherheit. Um dies zu erreichen, braucht es mehr Personal und einen verbesserten Betreuungsschlüssel. Deutschland ist im internationalen Vergleich mit dem Verhältnis Pflegekraft – Patient (Nurse to Patient Rate) mit das Schlusslicht. Daher haben wir in Deutschland einen dringenden Nachholbedarf.
Mit der PpUGV allerdings, so wie sie jetzt für einen begrenzten Teil an pflegesensitiven Fachbereichen festgelegt wurde,
werden wir keine substantiellen Veränderungen bzw. Verbesserungen erreichen. Kritisch ist, dass für die Ermittlung der Personaluntergrenzen auf Daten von Kliniken zurückgegriffen wurde und die Pflegepersonaluntergrenzen damit auf der Grundlage der bestehenden personellen Unterbesetzung bzw. Mangelsituation und von nur wenigen Kliniken basieren.
Das heißt die mangelhafte Personalausstattung wird faktisch fortgeschrieben! Solange bis ein anerkanntes und evidenzbasiertes Personalbedarfsermittlungssystem entwickelt wurde. Wann ein solches Personalbedarfsbemessungssystem vorliegt, ist allerdings ungewiss.
Health Relations: Welche Schwierigkeiten ergeben sich dadurch für Sie?Vera Lux: Die Personaluntergrenzen gelten für alle Krankenhäuser gleichermaßen, egal welcher Versorgungsstufe. Im Gegensatz zu Krankenhäusern der Grund- und Regelversorgung versorgen Maximalversorger und/oder Universitätskliniken schwerstkranke Patienten mit komplexen Therapien, die in kleineren Krankenhäusern nicht durchgeführt werden können oder die Patienten schon austherapiert sind. Der Schweregrad und die Komplexität der Erkrankung der Patienten ist, gemessen am Case Mix Index (CMI), in Krankenhäusern der Maximalversorgung/Universitätskliniken in der Regel deutlich höher als in kleineren Krankenhäusern.
Daher benötigen diese auch mehr und zusätzlich qualifiziertes Pflegefachpersonal als durch die PpUGV nun vorgegeben.
Health Relations: Was bedeutet das in der Praxis für die Personalsituation der Krankenhäuser?Vera Lux: Mit der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung werden in 2019 nun alle Kliniken versuchen, das erforderliche Pflegepersonal zur Einhaltung der Untergrenzen auf dem Arbeitsmarkt zu finden. Koste es, was es wolle! Das bedeutet, dass
der Kampf um Pflegekräfte noch härter wird als er bereits heute schon ist. Der deutsche Arbeitsmarkt gibt den zusätzlichen Bedarf an Pflegefachkräften momentan aber einfach nicht (mehr) her.
Daher wird es zu massiven Abwerbeaktionen zwischen den Kliniken kommen. Es ist sogar zu befürchten, dass es innerhalb der Kliniken selbst, zwischen den pflegesensitiven Bereichen mit Pflegepersonaluntergrenzen und den Bereichen ohne Pflegepersonaluntergrenzen, zu einem hausinternen Verteilungskampf kommt.
Health Relations: Was passiert, wenn Kliniken die Vorgaben nicht einhalten?Vera Lux: Können die Pflegepersonaluntergrenzen nicht eingehalten werden, kommt es zu Sanktionen, entweder in Form von Vergütungsabschläge, Strafzahlungen bzw. Bußgeldern. Alternativ müsste die Betten an das vorhandene Pflegefachpersonal angepasst werden. Damit besteht die Gefahr,
dass es zur Reduktion von Bettenkapazitäten und damit am Ende punktuell sogar zu Versorgungsengpässen für die Bevölkerung kommen kann.
Health Relations: Aber viele Häuser bemühen sich mit unterschiedlichen Maßnahmen um mehr Personal. Reicht das nicht?
Vera Lux: Die vielfältigen Bemühungen Pflegekräfte aus dem Ausland zu gewinnen reichen nicht aus, um den steigenden Bedarf im vorgegebenen Zeitraum zu decken. Die Akquise von Pflegekräften aus dem Ausland ist zudem teuer, vor allem aber zeitaufwändig und dauert bis zur Anerkennung und dem Erwerb der Deutschen Sprache oft bis zu zwei Jahre. Verzögerungen bei der Visavergabe verlängern die Wartezeiten bis zur Ausreise häufig zusätzlich.
Health Relations: Wie haben Sie sich darauf vorbereitet bzw. wie bereiten Sie sich vor?Vera Lux: Wir haben in den letzten Jahren vorausschauend agiert und alle Pflegestellenförderprogramme in Anspruch genommen. Über diese Programme wurde in den letzten Jahren kontinuierlich Pflegepersonal akquiriert. Im Rahmen unserer
strategischen Personalplanung haben wir den Personalbedarf für die Pflege komplett neu ermittelt und entsprechende Maßnahmen in Gang gesetzt. Angefangen von dem Ausbau unseres Personal- und Ausbildungsmarketings, der Anpassung der Stellenpläne unter Berücksichtigung von realen Ausfallzeiten sowie von Sonderaufgaben/-funktionen, der Ausweitung der Ausbildungsplätze inkl. der Implementierung eines zusätzlichen akademischen Angebotes mit einem dualen Studiengang "Klinische Pflege". Intensive Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit, wie die aktive Teilnahme an Kongressen, Messen, Übernahme von Vorträgen, Buchbeiträge und Beiträge für Fachzeitschriften, etc. sind fester Bestandteil unseres Programms.
Generell sind wir also gut vorbereitet. Dennoch starten wir bereits in diesem Jahr mit der Dokumentation, damit wir rasch ein Gefühl dafür bekommen, ob, wo und wie oft es zu zur Unterschreitung der Untergrenzen in einzelnen Bereichen kommt. Darauf ausgereichtet werden wir dann unser Ausfallmanagement nachjustieren und weiter diversifizieren.
Health Relations: Was brauchen Sie, damit Sie die angegebenen Grenzen einhalten können?Vera Lux: Der Stellenplan muss so kalkuliert sein, dass man von montags bis sonntags eine, entsprechend den Pflegepersonaluntergrenzen adäquate, Personalplanung überhaupt vornehmen kann. Der Stellenplan darf aber nicht so knapp bemessen sein, dass wir bei jedem Personalausfall Gefahr laufen, die Pflegepersonaluntergrenzen zu unterschreiten.
Die Stellenpläne wurden also entsprechend angepasst und die Ausschreibungen für das zusätzliche Pflegefachpersonal laufen. Darüber hinaus entwickeln wir unser bereits heute schon gut aufgestelltes Ausfallmanagementsystem dahingehend weiter, dass wir sowohl auf der horizontalen wie auch auf der vertikalen Ebene weitere Tools etablieren und so möglichst breit aufgestellt sind.
Neu ist die Planung einer Krankenpflegehilfe–Ausbildung, darüber hinaus erweitern wir die Ausbildungsplätze bis im Jahr 2023 von derzeit 250 auf dann 375 Plätze. Wir arbeiten ebenfalls daran, dass Teilzeitbeschäftigte ihre Arbeitszeit erhöhen und so wieder mehr personelle Ressourcen für einen Einsatz zur Verfügung stehen. Zu guter Letzt werden wir wohl nicht ganz ohne Zeitarbeit auskommen.
Health Relations: Planen Sie weitere Maßnahmen, die in 2019 greifen sollen?Vera Lux: Einen besonderen Schwerpunkt legen wir 2019 auf die
Mitarbeiterentwicklung und damit eng verbunden die
Mitarbeiterbindung. Hier gilt es generelle, aber auch auf den einzelnen Mitarbeiter ausgerichtete (finanzielle) differenzierte Angebote und Perspektiven zu entwickeln, um die Attraktivität als Arbeitgeber nochmals deutlicher als bisher zu steigern.