Das Uniklinikum im schwedischen Göteborg hat den 6-Stunden-Arbeitstag eingeführt. Die Klinik hat viel investiert, aber ihr Fachkräfteproblem gelöst.
Fast hundert Jahre ist er alt. Ein Relikt aus grauer Vorzeit? Eher nicht, denn er hat nichts von seiner Aktualität verloren: Der 8-Stunden-Tag. Heutzutage schuftet der Deutsche im Schnitt sogar
41,5 Stunden pro Woche. Zahlreiche wissenschaftliche Studien beweisen jedoch: Diese hohe Anzahl an Stunden wirkt sich wenig effektiv auf die geleistete Arbeit aus. Heißt: Kaum jemand kann sich acht Stunden am Stück konzentrieren und das an fünf Tagen in der Woche. Der Arbeitspsychologe Karl Anders Ericsson hat in mehreren Experimenten gezeigt, dass Menschen nur vier bis fünf Stunden
konzentriert und produktiv arbeiten können.
Diese Erkenntnisse haben viele öffentliche und private Einrichtungen und Unternehmen in Schweden zum Anlass genommen, in zahlreichen Projekten den 6-Stunden-Tag einzuführen. In Göteborg wird dieser nicht nur in den dort ansässigen Toyota-Service-Centern bereits seit 13 Jahren praktiziert, sondern auch in Pflegeheimen wie dem „Svartedalens Care Home“ und sogar im Göteborger Universitätsklinikum „
Gothenburg’s Sahlgrenska University Hospital“, das für eine umfassende medizinische Versorgung der rund 500.000 Einwohner der zweitgrößten Stadt Schwedens sorgt.
Zwei-Schicht-Modell eingeführt
„Wir mussten etwas tun, denn so war die Abteilung finanziell gesehen nicht mehr rentabel.“In der Abteilung für Chirurgische Orthopädie wurde dort im vergangenen Jahr das Experiment ins Leben gerufen.
Ziel war es, dass die Fachkräfte länger an einem Stück, aber trotzdem durch die kürzere Gesamtarbeitszeit konzentriert und ausgeruht im Operationssaal bleiben können, um so die Produktivität zu erhöhen. "Die Chirurgische Orthopädie ist eine besondere Form der Chirurgie, denn sie verlangt dem Personal eine Menge ab", so Anders Hyltander, Gebietschef des Sahlgrenska-Universitätskrankenhauses. „Beispielsweise muss eine Schwester in der Lage sein, einen Patienten mit 120 kg Körpergewicht für eine Operation hieven zu können.“ Angesichts solch harter Arbeitsbedingungen war der Krankheitsausfall und die Mitarbeiterfluktuation auf der Station unproportional hoch, Leute anzuheuern – fast unmöglich. „Wir mussten etwas tun, denn so war die Abteilung finanziell gesehen nicht mehr rentabel.“
„Das Schichtmodell umfasst aber auch, dass innerhalb der sechs Stunden keine Pausen mehr gemacht werden“So wurde der 6-Stunden-Tag als Modellversuch für die etwa hundert Orthopädie-Pflegekräfte eingeführt. Das Modell basiert auf einem Zwei-Schicht-Modell, die erste Schicht startet morgens und wird nach den sechs Stunden Arbeit vom zweiten Dienst abgelöst. „Das Schichtmodell umfasst aber auch, dass innerhalb der sechs Stunden keine Pausen mehr gemacht werden“, sagt Hyltander. Zusätzlich absolvieren die Mitarbeiter wöchentlich zwei Stunden lang verschiedene Fortbildungsmaßnahmen, arbeiten somit insgesamt 32 Stunden in der Woche.
Und, Achtung, Sie erhalten genauso viel Gehalt wie vor der Einführung der verkürzten Arbeitszeit!Arbeitnehmer deutlich zufriedener
Hyltander: „Auf Grundlage der Erfahrungen des letzten Jahres können wir sagen, dass wir gegenwärtig erheblich weniger Probleme haben, Personal zu finden."
Die kürzere Arbeitszeit ist bei der Rekrutierung ein entschiedener Anreiz für die Bewerber. Die Fluktuation der Mitarbeiter fällt heute deutlich geringer aus. Der Krankheitsausfall minimierte sich massiv. Zudem verbesserte sich die Arbeitnehmerzufriedenheit seit Einführung des 6-Stunden-Tages deutlich.
„Wir haben in puncto Kosteneffizienz noch nicht unsere Ziele erreicht."Neben diesen vielen positiven Effekten gibt es aber auch eine große Kehrseite: Die Kosten. "Unsere Ausgaben haben sich durch die Einführung der Weiterbildungsangebote und dadurch, dass wir neue Mitarbeiter einstellen mussten erhöht", so Hyltander.
Einem Artikel der New York Times zufolge liegen die monatlichen Kosten bei rund 123.000 Dollar (Rund 110.000 Euro). Die Klinik hielt sich jedoch bei konkreten Angaben zu Kosten bedeckt. "Wir haben in puncto Kosteneffizienz noch nicht unsere Ziele erreicht. Daher liegt unser Hauptaugenmerk nun darauf, die Produktivität zu steigern, indem wir die Kosten senken.“
In nächsten zwölf Monaten kostendeckend arbeiten
Anders Hyltander
Hyltander und seine Kollegen sind aber der Überzeugung, dass sie diese Ziele in den kommenden zwölf Monaten erreichen und kostendeckend arbeiten können. Darum entschieden sie sich auch dazu, die Dauer des Experiments bis Ende Juni 2017 zu verlängern. Jedoch soll sich das Arbeitszeitmodell weiterhin lediglich auf die Orthopädie-Station beschränken, in anderen Abteilungen gebe es kein Änderungsbedarf.
Nächstes Jahr soll dann eine Evaluation durch externe Experten zeigen, ob die höhere Arbeitsqualität und die Mitarbeiterzufriedenheit in einem ausgewogenen Verhältnis zu den höheren Kosten stehen und die Abteilung lukrativer wird.