Was motiviert Ärzte und Ärztinnen, regelmäßig an Studien und Marktforschungen für Pharma teilzunehmen? Claudia Uffmann und Udo Jellesen über belastbare Kundenbeziehungen und die Vorteile der agilen Marktforschung.
In diesem Interview lesen Sie:
- Wie es um die Bereitschaft von Ärzt:innen, an Studien teilzunehmen, beschaffen ist
- Welche Punkte Ärzt:innen motivieren können, an Studien teilzunehmen
- Wie genau agile Marktforschung helfen kann, wettbewerbsfähig zu bleiben
- Was die wesentlichen Faktoren für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Ärzten in der Marktforschung sind
Health Relations: Healthcare-Marktforschung wird immer schwieriger. Wie lässt sich das in Zahlen belegen?Claudia Uffmann: In den letzten Jahren ist die Bereitschaft der Ärzte, an Studien teilzunehmen, deutlich zurückgegangen. Wenn wir noch vor 15 Jahren von einer Responserate von mehr als 50 % ausgegangen sind, liegt die Beteiligung heute bei den internationalen HCP Panel bei ca. 15-20 % je nach Zielgruppe und Thema. Damit werden Quotenstichproben fast unmöglich und Zielarztbefragungen nur noch sehr eingeschränkt möglich. Darüber hinaus liegen die Feldzeiten bei drei bis sechs Wochen, um eine Studie abzuschließen. Gleichzeitig sind durch die zurückgegangenen Responseraten auch die Stichprobengrößen eingeschränkt und wir stehen immer wieder vor der Herausforderung, auch bei kleineren Samples stabile Ergebnisse zu liefern, bzw. statistische/analytische Modelle anwenden und rechnen zu können.
Health Relations: Woran liegt das?Udo Jellesen ist Head of Healthcare Research bei Interrogare © Interrogare
Udo Jellesen: Für die zurückgegangenen Responseraten gibt es aus unserer Sicht mehrere Gründe. Zum einen führt sicher die häufig sehr unpersönliche und schlechte Betreuung der Ärzt:innen durch die international agierenden HCP Panels zu einer geringeren Teilnahmebereitschaft, zum anderen spielen aus unserer Sicht auch die seit Jahren nicht angepassten Honorarvereinbarungen für die Teilnehmer:innen mit der pharmazeutischen Industrie eine Rolle, da wir die Aufwände nicht immer so honorieren können, wie es angemessen wäre. Ein weiterer wichtiger Grund sind leider auch die nicht immer qualitativ hochwertigen Studienkonzeptionen einiger Kolleg:innen, durch die die Ärzt:innen dann das Gefühl haben, dass ihre Zeit, die sie sich für die Teilnahme an einer Marktforschung nehmen, nicht ausreichend gewertschätzt wird und sie teilweise auch verärgert über sachlich nicht richtige Zusammenhänge oder mangelnde Filterführung in Fragebögen sind.
Health Relations: Wie gehen Sie als Marktforschungsunternehmen mit dieser Situation um?Udo Jellesen: Wir bei Interrogare sind in 2019 dazu übergegangen, unser eigenes HCP-Panel in Zusammenarbeit mit unseren Kunden aufzubauen. Damit ist es uns gelungen, die Responseraten wieder über 60 % anzuheben, indem wir eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren Ärzt:innen pflegen und diese als „unsere Kund:innen und Partner:innen“ ernstnehmen. Eine regelmäßige und zuverlässige Honorierung gehört genauso dazu wie durchdachte Studienkonzeptionen auf Augenhöhe mit den Ärzt:innen.
"Zusätzlich ist es natürlich auch wichtig, dass ich den Ärzt:innen regelmäßig die Möglichkeit anbiete, an den Studien teilzunehmen, auf der anderen Seite aber auch nicht zu penetrant werde."
Health Relations: Wie genau muss die Kommunikation mit dem Arzt oder der Ärztin aufgebaut sein, damit diese sich gewertschätzt fühlen – jenseits der monetären Frage?Claudia Uffmann:
Ich würde einfach sagen, so wie ich als Kunde behandelt werden möchte, so sollten auch unsere Kunden, also unsere Ärzte behandelt werden. Wenn ich regelmäßige Mitarbeit erwarte, dann muss ich auch regelmäßig die Honorare auszahlen. Wenn ich eine gute Antwortqualität erwarte, dann muss ich auch die Fragen eindeutig und auf Augenhöhe formulieren. Wenn ich eine zuverlässige Partnerschaft mit den Ärzten anstrebe, dann muss ich auch dafür sorgen, dass deren Fragen schnell und zuverlässig beantwortet werden. Kurzum sind es eigentlich Selbstverständlichkeiten im gegenseitigen Umgang, die letztendlich so wichtig sind. Zusätzlich ist es natürlich auch wichtig, dass ich den Ärzt:innen regelmäßig die Möglichkeit anbiete, an den Studien teilzunehmen, auf der anderen Seite aber auch nicht zu penetrant werde und die potentiellen Teilnehmer:innen mit Einladungen und Remindern bombardiere und dadurch verärgere. Es kommt, wie so oft, auf das richtige Maß an. Wir sind davon überzeugt, dass die kontinuierlich gleichen und persönlichen Ansprechpartner:innen bei der Betreuung der Teilnehmer:innen ebenso ein Baustein dafür sind, dass die Befragung von HCPs auf qualitativ hohem Niveau wieder möglich ist.
Info: Der Touchpoint Tracker
Der Touchpoint Tracker ist ein digitales Programm, mit dem Ärzt:innen ihre Kontakte mit Mitarbeitenden der pharmazeutischen Industrie dokumentieren können. Es beinhaltet eine kurze Befragung: Art des Kontaktes, Produkt/Indikation, erinnerte Hauptaussage / wahrgenommenes Hauptthema, Kontaktbewertung per NPS-Skala sowie eine Begründung für die Bewertung. HCPs führen die Dokumentation idealerweise selbstbestimmt und ohne Erinnerung seitens des Marktforschungsinstituts durch.
Health Relations: Kommen wir zum Touchpoint Tracker. Das Tool soll die Dokumentation der Kontakte eines Arztes zu unterschiedlichen Indikationen in Realtime ermöglichen. Es ist ein Beispiel für agile Marktforschung, hier mit klarem Fokus auf das Monitoring der Kommunikation. Wo genau liegt der Mehrwert für den oder die Produktmanager:in in diesem Fall?
Udo Jellesen: Die Vorteile sind sehr schnell nachvollziehbar. Ein Produktmanager kann jederzeit sehen,
was die Wettbewerber da draußen tun, welche Kontaktwege genutzt, welche Argumente kommuniziert werden. Wie werden die Kontakte durch die Ärzt:innen bewertet, werden die eigenen Kommunikationsziele erreicht? Stellt der Produktmanager fest, dass etwas nicht so funktioniert, wie man es sich im Vorfeld gedacht hat, können Aktivitäten schnell umgestellt werden und Kommunikationsinhalte überarbeitet werden. Wichtig ist, dass man nicht nur seine eigenen Aktivitäten monitort, sondern eben auch die der wichtigsten Wettbewerber, denn dadurch hat das Unternehmen die Möglichkeit, auf geänderte Wettbewerbsbedingungen schnell zu reagieren. Und das nicht mit einem Zeitverzug von sechs bis acht Wochen – sondern täglich.
Health Relations: Der oder die Produktmanager:in kann die Daten im Dashboard aufbereitet sehen. Lassen sich diese auch nach bestimmten, flexiblen Kriterien auswerten?
Udo Jellesen: Unser Realtime Dashboard wird kundenspezifisch konzipiert. So gibt es diverse Filtermöglichkeiten, zum Beispiel nach Zeitspannen, Zielärzten, Fachgruppen, Produkten, Kontaktarten, ect.
Health Relations: Arbeitet Ihr Dokumentationstool browserbasiert oder müssen die Ärzt:innen es herunterladen?Udo Jellesen: Von Anfang an war es für uns entscheidend, dass die Hürden für eine Teilnahme der Ärzte möglichst niedrig sind. Daher arbeiten wir so gut wie nie mit Tools, die man herunterladen müsste, unsere Befragungen sind browserbasiert, der Arzt bekommt einfach einen Befragungslink, der ihn zu unserem Fragebogen führt. Tools würde in unserer Wahrnehmung auch kein Arzt herunterladen, schon aus Sicherheitsgründen nicht, insbesondere bei Klinik-Ärzten würden uns sicher auch die Firewalls der Kliniken „einen Strich durch die Rechnung machen“. Die Grundlage einer erfolgreichen Kommunikation ist es, den Zugang zu der Befragung möglichst einfach zu gestalteten. Darüber hinaus soll der Arzt ja auch jederzeit und überall die Möglichkeit haben, seine Kontakte mit der pharmazeutischen Industrie zu dokumentieren.
Health Relations: Haben HCPs bei der Entwicklung des Dokumentationstools mitgearbeitet, Stichwort Co-Creation ud Usablity?Claudia Uffmann: Wir haben in der Entwicklungsphase selbstverständlich unterschiedliche Formen und Wege zusammen mit den Ärzten getestet und Feedback der Ärzte eingeholt. Es war am Anfang auch nicht immer ganz einfach, den Ärzten beizubringen, dass wir uns nicht melden müssen, damit die Ärzte selber aktiv mitarbeiten. Es war für beide Seiten Neuland in der Kommunikation. Letztendlich ist aber so: Da wir nicht ständig die Ärzte mit E-Mails oder Anrufen nerven müssen, ist die Zusammenarbeit für beide Seiten angenehmer als früher.
Health Relations: Bei Einführung der Datenbanken bzw. der digitalen Dokumentationsprozesse waren Schulungen auch für HCPs nötig. Diese wären intensiv gewesen, las ich. Wie kann ich mir das vorstellen, wie liefen diese ab und wie lange gingen diese?"Die wichtigsten Faktoren für eine erfolgreiche Zusammenarbeit sind der geringe Aufwand, die zeitliche Flexibilität und eine wöchentliche Honorierung der Teilnehmer."
Claudia Uffmann: Nun, am Anfang mussten die Ärzt:innen lernen, welche Ansprüche wir an deren Antworten haben. Es ist ja doch etwas anderes, wenn ein Arzt selbständig einen Kontakt dokumentiert ohne genaue Anweisungen. Daher haben wir in den Online-Fragebogen Beispiele und Erläuterungen zu den Anforderungen der Eingaben je Frage eingebaut und die Qualität der Angaben täglich überprüft. Wenn uns im Rahmen dieser täglichen Überprüfungen auffällt, dass die Fragen nicht so beantwortet werden, dass sie für den Endkunden nützlich sind, werden wir tätig. Gerade am Anfang einer Teilnahme kommt es dann dazu, dass wir die Teilnehmer:innen kontaktieren müssen, um zu erklären, welche Anforderungen wir an seine Angaben stellen bzw. welche Informationen für unsere Kunden wichtig sind und welche eher unwichtig. Also es ist ein Lernprozess, der auf Fairness beruht. Denn wenn wir eine Teilnahme honorieren, dann ist es nur fair, dass es sich um eine nützliche Angabe im Sinne der Fragestellung der Studie handelt.
Health Relations: Wie haben Sie es geschafft, dass sich die HCPs sich nicht abgeschreckt gefühlt haben von den vorbereitenden Maßnahmen und dem höheren Zeitaufwand?Claudia Uffmann: Der Zeitaufwand für den Arzt liegt bei maximal 5 Minuten für eine Dokumentation und ist damit nicht höher als bei vergleichbaren Befragungen. Im Gegenteil, dadurch, dass der Arzt jetzt die Möglichkeit hat regelmäßig, und wann er es will, mitzuarbeiten, geben wir dem Arzt ein Stück Freiheit und Flexibilität zurück. Die wichtigsten Faktoren für eine erfolgreiche Zusammenarbeit sind der
geringe Aufwand, die zeitliche Flexibilität und eine wöchentliche Honorierung der Teilnehmer.