Wenn viele Nationen zusammenarbeiten, prallen Weltanschauungen aufeinander. Was die Diagnose angeht, ist man oft einer Meinung. Schwierig wird es, wenn es keine eindeutigen Therapieansätze gibt, weiß PD Dr. phil Isaac Bermejo.
Dr. Isaac Bermejo berät am Universitätsklinikum Freiburg Ärzte und Pflegekräfte bei allen interkulturellen Fragen. Im Rahmen der
Ceres-Ringvorlesung an der Universität zu Köln, sprach er über kulturspezifische Gesundheitskonzepte in Deutschland.
PD Dr. phil Isaac Bermejo ist Ansprechpartner bei allen beruflichen Belangen am Universitätsklinikum Freiburg; © Lukas Hoffmann
Kulturell unterschiedliches Handeln erklärte er mithilfe des "
Eisberg-Phänomens". Man sehe bei anderen Kulturen nur die Spitze des Eisberges, also Verhaltensweisen, eine bestimmte Art sich zu kleiden, gesellschaftliche Traditionen und so weiter. „Viel wichtiger ist aber beim Eisberg, was drunter ist. Das sehen wir nicht, aber das beeinflusst unser Verhalten viel mehr als die Eisbergsspitze“, so Dr. Bermejo. „Normen und Werte, die verinnerlicht werden, die Eltern, Geschwister und Großeltern weitergeben, wirken auf das eigene Handeln, auch wenn man sich selbst darüber vielleicht nicht bewusst ist.“
Konkret im Klinikalltag bedeutet das:
Kommunikationsprobleme im fachlichen Dialog gibt es selten. Denn bei der Diagnose und der Therapie orientiert man sich an der evidenzbasierten Forschung. Kritisch wird es, wenn es in der Wissenschaft keine eindeutigen Antworten gibt und unterschiedliche Therapieansätze möglich sind, die sich je nach kulturellem Hintergrund unterscheiden können. Dr. Bermejo führt als Beispiel das
Mallorca-Syndrom an. Viele ältere Deutsche, die auf der Insel Mallorca überwintern, gehen dort zum Arzt. Ihr deutscher Hausarzt hat ihnen aufgrund ihres hohen Blutdrucks Medikamente verschrieben. Der spanische Arzt sagt nun: „Sie brauchen keine Medikamente, Sie haben nichts. Gehen Sie raus, trinken Sie einen Kaffee.“ Die Antwort des spanischen Arztes ist mit seiner veränderten Lesart der Grenzwerte für Bluthochdruck zu erklären.
Was ist richtig, was ist falsch?
"Wo hört die Informationspflicht des Arztes auf?", war eine weitere Frage, die im Rahmen der Ringvorlesung diskutiert wurde. Einen spannenden Beitrag leistete hier,
Prof. Dr. med. Ilhan Ilkilic, der für den Vortrag extra aus Istanbul eingeflogen wurde. Er berichtete über das tragische Schicksal eines 21-jährigen türkischen Mannes mit Krebs, der in Deutschland behandelt wurde. Die Ärzte klärten den jungen Mann über das Krankheitsstadium und den erwartbaren Tod auf, weil sie in Deutschland verpflichtet sind dem Patienten auch ungünstige Diagnosen mitzuteilen. Zwei Tage nach dem Arztgespräch verstarb der Patient.
Prof. Dr. Dr. phil. et. med. habil. Ilhan Ilkilic arbeitet an der Universität Istanbul; © Lukas Hoffmann
Die Angehörigen des Verstorbenen beschuldigten daraufhin die Krankenhausärzte an dem Tod mitverantwortlich zu sein. Sie hatten zuvor darauf gedrungen, dem jungen Mann nichts von seinem Gesundheitszustand zu erzählen. Aufgrund ihrer Herkunft haben sie eine andere Auffassung davon, welche Informationen an einen Patienten weitergegeben werden sollen. Sogar in der Medizinischen Deontologischen Richtlinie der Türkei stehe, dass es angemessen ist, dem Patienten einen ungünstigen Krankheitsverlauf vorzuenthalten.
Was ist nun richtig, was ist falsch? Eine Antwort auf diese Frage ist nicht möglich, weil es weder ein „richtig“ noch ein „falsch“ gibt. Der Arzt ist der inhaltliche Experte, das sei unbestritten, so Dr. Bermejo. Der Migrant sei kultureller Experte, auch das sei ein Fakt. Um kulturelle Brücken zu überwinden, helfe vor allem eines: Nachfragen. „Siehst du das auch so? Verstehen wir uns?“
Letztlich verfolgen Ärzte und Patienten das gleiche Ziel: Beide wollen, dass der Patient gesundet. Bei unterschiedlichen kulturellen Wertesystemen muss einfach nur etwas mehr miteinander gesprochen werden.