Um Ausbildungsabbrüche zu reduzieren, können sich Kliniken bei der strukturierten Personalauswahl großer Unternehmen etwas abschauen: Assessment-Center helfen bei der Auswahl von Kandidaten, die dem pflegeberuflichen Alltag auch gewachsen sind und ihn wirklich wollen.
Angesichts des demografischen und Wertewandels wird es auch für Krankenhäuser immer schwieriger, Auszubildende in der Pflege zu finden. Zwar gehen vielerorts immer noch zahlreiche Bewerbungen ein, doch die sind keine Garantie dafür, wirklich geeignete Mitarbeiter für den Pflegeberuf zu finden.
Die Aufrichtigkeit im Bewerbungsgespräch ist nicht immer 100 %. Assessment Center können aufschlussreicher sein, wenn es darum geht, die Motivation und wichtige Schlüsselqualifikationen für den Pflegeberuf zu prüfen. © istock.com/Cirilopoeta
Alle Jahre wieder das gleiche Problem: Der Beginn des nächsten Ausbildungsjahres naht und viele Kliniken haben Ausbildungsplätze als Hebamme oder Entbindungshelfer sowie in der Erwachsenen- oder Kinder-Gesundheits- und Krankenpflege zu besetzen.
An Bewerbungen mangelt es meist nicht, doch die Auswahl gestaltet sich oft schwierig und wirft eine Reihe von Unwägbarkeiten auf. Vielerorts ist es nach wie vor üblich, lediglich anhand von Kurz-Interviews über die Stellenvergabe zu entscheiden.
Der Haken an der Sache: In einem kurzen Bewerbungsgespräch können Sie den Kandidaten nur vor den Kopf schauen und wissen nicht, ob sie wirklich teamfähig sind und sich auch in Stresssituationen bewähren. Immer wieder stellt sich im Nachhinein heraus, dass die eingestellten Azubis die Erwartungen nicht erfüllen oder ihrerseits andere Vorstellungen vom Klinikalltag hatten und daher vorzeitig von Bord gehen – oder die Ausbildung gar nicht erst antreten.
Die demografische Entwicklung und der Wertewandel verschärfen die Problematik: Die Jahrgänge werden dünner, eine Ausbildung im Krankenhaus konkurriert mit Modeberufen, vielfach fehlt es bei Schulabgängern an Basisqualifikationen. Gleichzeitig sind Krankenhäuser jedoch dringend auf geeigneten Nachwuchs angewiesen, um ihren erhöhten Pflegebedarf zu decken. Damit die Kandidatenauswahl nicht zum Glücksspiel wird, sind daher fundiertere Auswahlverfahren gefragt.
Fundierte Entscheidungen statt Zufallstreffer
Neues Pflegepersonal fürs Krankenhaus: Ein strukturiertes und professionell organisiertes Auswahlverfahren kann Ihre Trefferquote signifikant erhöhen. ©istock.com/Smitt
Kaum ein Auswahlverfahren erlebte in den letzten Jahren einen so starken Boom wie das Assessment-Center.
Derzeit setzen mehr als 80 DAX-100-Unternehmen dieses Verfahren ein – Tendenz steigend. Wieso sollten also nicht auch Kliniken von dieser Praxis profitieren? Der Vorteil der auch als
„Auswahltag“ oder
„Potenzialanalyse“ bezeichneten Auswahlverfahren liegt auf der Hand: Es hilft, die Qualifikation der Bewerber besser und tiefergehend kennenzulernen und eine
sachlich fundierte Auswahl zu treffen – mit einer
signifikant höheren Trefferquote als mittels Gesprächen. Schließlich macht es bei der Einschätzung der Passung einen enormen Unterschied, ob die Kandidaten nur ihr mögliches Handeln im beruflichen Alltag beschreiben oder in unterschiedlichen Situationen aktiv demonstrieren. Umgekehrt gewährt dieses Verfahren den potenziellen Azubis einen Einblick in die künftige Tätigkeit; auf diese Weise gewinnen sie einen realistischen Einblick in den Klinikalltag.
Stimmen die Vorstellungen der Kandidaten vom Klinik-Alltag mit der Realität überein? Ein Assessment Center ermöglicht einen schnellen Abgleich. © fotolia.com/Photographee.eu
Da bei einem intelligent konzipierten Assessment-Center viel mehr Verantwortungsträger in den Auswahlprozess involviert sind als bei klassischen Auswahlinterviews, wird das Verantwortungsgefühl und die Sensibilität für die Anforderungen der Personalauswahl über verschiedene Bereiche und Hierarchieebenen hinweg gestärkt. Ein weiterer Gesichtspunkt, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann:
Wenn verschiedenste Verantwortungsträger in die Kandidatenauswahl einbezogen werden, ergibt sich eine fundiertere Beurteilungsbasis als bei einer Vorgehensweise mit nur wenigen Beteiligten – die Auswahl findet dann auf einer deutlich breiteren Informationsbasis statt und folgt nicht dem Bauchgefühl oder der Tagesform weniger Beteiligten.
Zuerst einmal mag dieses Verfahren aufwändig wirken, gerade mit Blick auf den oftmals hektischen Klinikalltag. Doch die Investitionen zahlen sich schnell aus – und einmal initiiert, können die Kliniken im Folgejahr darauf aufbauen. Das heißt, die Auswahlprozesse gehen dann dem bereits eingespielten Team viel leichter von der Hand.
Die folgenden fünf Schritte helfen Ihnen dabei, ein geeignetes Assessment-Center für Auszubildende in der Gesundheits- und Krankenpflege zu entwickeln:1. Anforderungsprofil erstellen
Keine 'epic fails' in der Personalauswahl mehr: Abteilungsübergreifende Projektgruppen zur Vorbereitung, Durchführung und Beurteilung von Assessment-Centern stellen die Personalauswahl auf eine breite Entscheidungsbasis. © istock.com/zoranm
Etablieren Sie eine Projektgruppe, die ein konkretes Anforderungsprofil für die Azubis erstellt. Detailliert aufzulisten ist, über welche Kompetenzen die Kandidaten verfügen sollen. Hier einige Beispiele:
- Kognitive Kompetenz (Auffassungsgabe, Konzentrationsfähigkeit, Lösungsorientierung, mathematisches Verständnis)
- Motivation & Engagement (Leistungs- und Lernbereitschaft, Eigeninitiative)
- Kommunikationskompetenz (Gesprächsführung, personenorientierter Dialog)
- Persönliche Kompetenz (Belastbarkeit, Sorgfalt / Gewissenhaftigkeit, Selbstreflexion, Berufsverständnis)
- Sozialkompetenz (Durchsetzungskraft, Teamfähigkeit, Kritik- und Konfliktbereitschaft)
2. Aufgabenstellungen erarbeiten
Anhand welcher Aufgaben lassen sich die Fähigkeiten der Bewerber sicher einschätzen? Wie sehen die typischen Arbeitssituationen aus, in denen sie sich später bewähren müssen? Im zweiten Schritt erstellt die Projektgruppe eine Reihe von Aufgaben, in denen die zuvor erarbeiteten Kompetenzen beobachtet und eingeschätzt werden können. Bei der Lösung der Aufgaben können die Kandidaten dann zeigen, was in ihnen steckt – beispielsweise zwischenmenschliche Kompetenzen, Fingerspitzengefühl im Umgang mit Patienten und die für den Pflegeberuf erforderliche Auffassungsgabe.
3. Organisatorischen Rahmen finden
Viele Bewerber innerhalb eines möglichst kurzen Zeitraums in einem Assessment-Center zu prüfen, ist eine organisatorische Herausforderung.
Vor allem stellt sich die Frage, welche Mitarbeiter an dem Auswahlverfahren als Beobachter und Beurteiler teilnehmen sollen. Dies können etwa Stationsleitungen, Ausbilder, Mitglieder der Arbeitnehmervertretung, Praxisanleiter oder andere für die Berufsgruppe relevante Verantwortungsträger sein. Je mehr Personen potentiell zu Verfügung stehen, desto besser sind sie auf verschiedene Auswahltage und Bewerbergruppen aufzuteilen, sodass es zu keinen Einschränkungen im regulären Krankenhausbetrieb kommt und niemand zeitlich überfordert wird. Das Involvieren zahlreicher Verantwortungsträger unterstreicht auch die persönliche Verantwortung jedes Einzelnen im Rahmen des Prozesses: Wer am Verfahren mitgewirkt hat, kann nachher nicht eine etwaige mangelnde Eignung des Azubis kritisieren; umgekehrt verschafft dies im positiven Fall natürlich auch das gute Gefühl, an der gelungenen Auswahl entscheidend mitgewirkt zu haben.
4. Beurteiler schulen
Selbstverständlich müssen alle Beteiligten sorgfältig vorbereitet werden. Wichtig ist zunächst die Informationsvermittlung über das Verfahren sowie die Aufgaben als Beurteiler. Danach ist es von besonderer Bedeutung zu vermitteln, anhand von welchem Verhalten die unterschiedlichen zu bewertenden Kompetenzen einzuschätzenden sind. Auch typische Schwierigkeiten und Fehler im Beobachtungs- und Beurteilungsprozess sowie das Feedback gegenüber den Kandidaten sollten auf der Agenda stehen. Letzteres, da auch abgelehnte Kandidaten eine faire, ehrliche und wertschätzende Rückmeldung verdient haben – und trotz der Absage einen guten Eindruck von Ihrem Krankenhaus behalten sollen.
5. Durchführung des Assessment-Centers
Assessment Center: Wie steht es um eine schnelle Auffassungsaufgabe und um Teamfähigkeit und kollegiales Verhalten? In simulierten Situationen können die Kandidaten direkt ihre Problemlösungskompetenzen unter Beweis stellen. © istock.com/izusek
Teilen Sie alle Bewerber auf Gruppen auf und ordnen sie diesen jeweils ein Beurteilerteam zu, das die Kandidaten während des Auswahlprozesses beobachtet und deren Eignung einschätzt. Dafür wird ein Ablaufplan erstellt, nach dem die Bewerber zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Räumen die Aufgaben unter Beobachtung der Beurteilerteams durchführen. Es hat sich bewährt, den Bewerbern die Aufgabenstellungen als schriftliche Beschreibung mit ausreichend Vorbereitungszeit zu geben. Anschließend bearbeiten die Kandidaten die Aufgabe bei den Beurteilerteams alleine, in Zweierteams oder kleinen Gruppen.
Hier einige Anregungen für Aufgabenstellungen: - Krankenzimmer-Simulation (Nachahmung einer realen Patientensituation)
- Motivationsinterview (Beweggründe für den Berufswunsch)
- Übungen zur Auffassungsgabe (z.B. was wird von einem gezeigten Video erinnert)
- Rechenaufgaben (Dreisatz, Prozentermittlung, lineares Gleichungssystem)
- Diskussion eines berufsrelevanten Themas in der Gruppe (beispielsweise „Umgang mit schwierigen Patienten“)
Abschließend noch ein Tipp: Setzen Sie im Vorfeld, während der Durchführung und bei der Nachbearbeitung – beispielsweise bei den anschließenden Beobachterkonferenzen – ggf. auf die Unterstützung durch einen speziell mit Assessment-Centern vertrauten Experten. So wird Ihr Auswahlprozess mit größtmöglicher Sicherheit zu einem vollen Erfolg, und Ihr Team bekommt schon bald Unterstützung von engagierten und lernwilligen Nachwuchskräften.
Beitragsbild: © istock.com/izusek