1,9 Milliarden Euro werden in Deutschland jedes Jahr zur Bekämpfung von Asthma ausgegeben. Kostenfaktor ist vor allem das Personal, operative oder technische Leistungen werden kaum vergütet. Ein Interview mit Prof. Dr. med. Eckart Hamelmann.
Welches Equipment ist bei der Behandlung von Asthma-Patienten im Krankenhaus wirklich erforderlich? Welche neuen Medikamente bietet die Pharmaindustrie? Und wie löst man Engpässe bei der Patientenbetreuung? Antworten auf diese Fragen gibt Prof. Dr. Hamelmann, Chefarzt der Kinderklinik des
Evangelischen Klinikums Bethel in Bielefeld. Deutschlandweit werden hier am meisten Asthma-Patienten behandelt.
Health Relations: Asthma ist gerade bei Kindern und Jugendlichen weit verbreitet. Wie kommt es zu dieser Entwicklung?Prof. Dr. med. Hamelmann: Grundsätzlich sind allergische Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten stark angestiegen.
Asthma ist eine der zwei, drei häufigsten chronischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Die neueste
KIGGS-Studie des Robert-Koch-Instituts zeigt, dass 4 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen drei und 17 Jahren an Asthma leidet. Wir sind also auf einem hohen Niveau angekommen.
Obwohl auch die Anzahl von stationär aufgenommen Patienten größer wird, ist Asthma eigentlich kein stationäres, sondern ein ambulantes Problem.
Wir behandeln Asthma überwiegend im ambulanten Setting – nur dann, wenn es bei Asthma-Patienten zu schweren Problemen kommt, werden die Patienten stationär aufgenommen. Das ist in der Regel bei Patienten in Kombination mit Infekten der Fall. Bei größeren Kindern kann eine Aufnahme aufgrund einer allergischen Reaktion oder im Rahmen einer Nahrungsmittelallergie plus Asthma auftreten.
Health Relations: Bei stationär behandeltem Asthma machen die Personalkosten (Ärztlicher Dienst und Pflegedienst) den größten Posten aus. Aber auch die medizinische Infrastruktur schlägt mit einigen hundert Euro pro Fall zu Buche. Welches technische Equipment nutzen Sie in Ihrem Haus bei Asthma-Patienten?Prof. Dr. med. Hamelmann: Für eine Versorgung von Asthma-Patienten ist eine vernünftige Lungenfunktionsdiagnostik notwendig, das heißt, man muss einen
Bodyplethysmographen haben, mit den man die Lungenfunktion komplett abbilden kann. Dann brauchen Sie Vorhaltungen für eine Belastungsprüfung, entweder ein
Fahrrad-Ergometer oder ein Laufband, damit Sie die Patienten belastet kriegen für eine Lungenfunktionsunterbelastung. Es wäre wichtig, wenn Sie eine komplette allergologische Diagnostik angeschlossen haben; in jedem Fall müssen Sie entsprechende Hauttestungen machen können. Zusätzlich sollten sie ein
Allergie-Labor ansteuern können, um eine molekulare Allergiediagnostik vorzuhalten.
Wichtig für die Differenzialdiagnose ist auch, dass Sie einen Schweißtest anbieten können, und zwar mit einer Chlorid-Messung, um bei Patienten mit häufigen Bronchitiden/ Pneumonien sicher eine zystische Fibrose auszuschließen. Für diese Patienten ist auch der Ausschluss von Immundefekten als Ursache der gehäuften Infekte wichtig. Was außerdem notwendig ist, ist eine
Bildgebung. Sie müssen zumindest einen Röntgen-Thorax anbieten können, bei schwierigen Patienten müssen Sie auch in der Lage sein, CT-Thorax durchzuführen.
Zukünftig wird das MRT für chronische Lungenerkrankungen einen höheren Stellenwert bekommen, weil es keine Strahlenbelastung hat und deshalb eine jährliche Verlaufskontrolle ohne Strahlenbelastung ermöglicht.
Health Relations: Sie sind auch Autor und Co-Autor der nationalen Leitlinien zu Asthma und Asthmaprävention. Was können Sie zu Präparaten für Asthma-Patienten sagen? Welche Medikation könnte in Zukunft interessant werden?Prof. Dr. med. Hamelmann: Wir behandeln nach den Richtlinien der
Nationalen Versorgungsleitlinie. Wichtigstes Therapieprinzip ist eine antientzündliche Therapie mit inhalativen Steroididen als Basistherapie, und für den Bedarfsfall ein rasch wirksamer Bronchodilatator, in der Regel
Salbutamol. Was neu dazugekommen ist, ist ein langwirksamer Muskarinrezeptor-Antagonist, das
Tiotropium – das darf man nennen, weil es das einzige ist, was in dieser Klasse angeboten wird. Das ist ganz frisch zugelassen worden für Kinder ab sechs Jahren mit schwierigem Asthma und schlechter Asthma-Kontrolle. Und dann haben wir für kleine Patienten ab sechs Jahren und Jugendliche mit einem schweren, allergischen Asthma noch das anti-IgE, das
Omalizumab als Biologikum als Medikament für die höchste Behandlungsstufe im Angebot.
Health Relations: Welche Maßnahmen jenseits der medizinischen Infrastruktur und der Arzneimittel werden bei der Behandlung von stationären Asthma-Patienten in Zukunft wichtiger werden?Prof. Dr. med. Hamelmann: Weit voraus geschaut, in zehn bis 20 Jahren, werden wir Asthma anders behandeln als jetzt. Zukünftig werden wir versuchen, den Asthma-Patienten früher zu phänotypisieren, das heißt, festzustellen, was für eine Art Asthma er hat. Ist es ein Asthma aufgrund von Infekten, ist es ein Asthma aufgrund von Allergien oder Übergewicht u.s.w., und werden dann entsprechend dieser Einteilung der Patienten in die verschiedenen Asthma-Untertypen eine gezieltere Therapie auswählen können. Chronisches, schweres Asthma wird im Erwachsenenalter zu einer Limitation der Lungenfunktion führen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in COPD übergeht. Insofern haben diese Patienten schlechte Aussichten, wenn sie bereits im Kindesalter chronisches Asthma aufweisen. Das müssen wir in Zukunft viel frühzeitiger verhindern.
Health Relations: Sie leiten eine sehr große Kinderklinik, und in Ihrem ärztlichen Team gibt es auch junge Ärztinnen und Ärzte, die auf dem Arbeitsmarkt derzeit sehr umworben werden. Im Vorfeld des 121. Deutschen Ärztetags hat Prof. Dr. med. Jakob R. Izbicki, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, mit folgender Aussage die rund 200 jungen und zuhörenden Ärzte provoziert: „Ein guter Chirurg zu sein ist nicht mit Familie vereinbar.“ Wie bewerten Sie dieses Zitat?Prof. Dr. med. Hamelmann: Dieses Zitat passt nicht nur zur Chirurgie. Wenn Sie an der Klinik arbeiten, ist es immer schwierig, Familie und Beruf zusammenzubringen. Das ist eine der großen Herausforderungen, der wir uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten stellen müssen. Die Medizin wird immer weiblicher. Wir haben eine hohe Anzahl an Medizinstudentinnen. Zudem haben wir in der Pädiatrie eine sehr hohe Anzahl an Ärztinnen. Die Kolleginnen haben Kinder, und darüber sind wir auch sehr glücklich, und es ist verständlich, dass sie dann nicht immer in Vollzeit arbeiten wollen. Aber im Moment haben wir nicht die
geeigneten Modelle, um diese Ärztinnen an der Klinik zu halten.
Ärztinnen mit Kindern verlassen zu früh die Krankenhäuser, weil hier keine Dienstmodelle angeboten werden, die eine Zukunft bieten. Ich glaube, neue Dienstmodelle zu erarbeiten ist eine Aufgabe und Herausforderung, die wir angehen müssen.
Health Relations: In Bielefeld am Klinikum bieten Sie also keine Teilzeitstellen an?Prof. Dr. med. Hamelmann: Doch, natürlich machen wir das. Wir bieten im Moment für Teilzeitkräfte Wochenmodelle an. Man hat eine Woche Dienst in Vollzeit und danach eine Woche frei. Dennoch ist Personal in einer Kinderklinik immer knapp, auch weil wir weniger Gerätemedizin machen und Patienten bei uns viele, personalintensive Angebote bekommen. Sie erhalten psychologische Betreuung, Kunsttherapie, Musiktherapie, Ergotherapie, Physiotherapie. Das Pflegepersonal und die Ärzte betreuen unsere Patienten rund um die Uhr. Gleichzeitig ist der Erlös geringer im Vergleich zu Patienten, die Operationen bekommen oder bei denen Herzkatheter geschoben werden.
Das ist die Crux in der Pädiatrie, dass man mit viel Personaleinsatz nicht so viel erlöst.
Auch haben wir hohe Vorhaltekosten zu bewerkstelligen. Wir müssen eine 24-Stunden-Notfallambulanz hinstellen für sämtliche Kinder. Wir müssen eine Kinder-Intensivstation und eine weitere neonatologische Intensivstation vorhalten.
Allein mit diesen drei Stationen benötigen wir 16,5 Vollzeitkräfte an ärztlichem Personal, um nur eine Ärztin pro Schicht vorzuhalten. Aber eine Intensivstation mit neonatologischen Patienten benötigt nicht nur einen Arzt, sondern z.B. vier Ärzte pro Schicht – damit kommt man schnell auf 30 bis 40 Ärzte für diese drei Schichtstationen.
Diese Vorhaltekosten werden vom DRG-System nicht ausreichend bewertet. Bei anderen Kliniken kann ganz anders gerechnet werden. Nehmen wir z.B. ein Venen-Zentrum oder eine vergleichbare elektive Einrichtung ohne Notfall- und Intensivstation. Da kommen Patienten um neun, zwischen zehn und 16 Uhr werden sie behandelt, um 17 Uhr wird abgeschlossen und fertig. Hier wird mit sehr viel weniger Vorhaltung ein sehr hoher Erlös erzielt. Dies ist in der Pädiatrie so nicht zu erreichen.
Seit 2014 ist Prof. Hamelmann Chefarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Kinderzentrum Bethel des Evangelischen Krankenhauses Bielefeld. Als Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) und Autor/Co-Autor der nationalen Leitlinien zu Asthma (NVL) und Asthmaprävention (AWMF) ist er ein anerkannter Fachmann für Allergien und Asthma.Beitragsbild: © Evangelisches Klinikum Bethel Bielefeld