Die Verordnungsproblematik von Mischpreismedikamenten nach AMNOG ist komplex. Konkrete Beispiele werden etwas Licht in dieses Dunkel bringen.
Auch für den Laien ist gut nachvollziehbar, dass der Arzt bei einem hilfesuchenden Patienten immer die Überlegung anstellt: Wie kann ich das vorhandene Patientenproblem lösen? Gibt es dafür eine medikamentöse Antwort?
Die Therapiehoheit des Arztes ist durch Rabattverträge und Regressrisiken bereits eingeschränkt
Danach verordnet der Arzt gegebenenfalls ein Medikament, welches im deutschen Markt zugelassen und verfügbar ist. Und er ist als Vertragsarzt dazu erzogen, aus dem Indikationsfeld der verfügbaren Arzneimittel jenes zu wählen, welches bei gleicher Wirksamkeit zu den preiswerten Marktvarianten zählt. Und er hat sich als Vertragsarzt in den letzten 10 Jahren auch daran gewöhnt, dass der Apotheker berechtigt ist, die konkrete Verordnung auf dem Rezept für einen konkreten Patienten durch ein anderes Handelspräparat auszutauschen, sofern dies aus dem Rabattvertrag der Kasse des Patienten hervorgeht. Ärzte können dem Verlust ihrer Verordnungshoheit durch Rabattverträge ausweichen, indem sie durch ein Kreuz auf dem Rezept die Apothekersubstitution ausschließen.
Das geschieht jedoch im tatsächlichen Alltag äußerst selten, denn aus Kassensicht ist eine derartige Handlungsweise des Arztes unwirtschaftlich. Die Folge ist ein "Prüfantrag". Der macht Zusatzarbeit und kann in einem Regress enden, was keine Freude aufkommen lässt. Nirgendwo in Europa gibt es solche Regelungen.
Zusatznutzen: Das AMNOG geht über die Zulassung hinaus
Die frühe Nutzenbewertung (FNB) in Deutschland gemäß Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) hat uns neben vielen Vorteilen nun seit 2011 ein neues Problem beschwert, das das Parlament so nicht vorhergesehen hatte. Es fehlt eine klarstellende Regelung im AMNOG. Ein neues, in einer klar umschriebenen Indikation von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zugelassenes Medikament ist auf dem deutschen Markt deswegen verfügbar, weil es im Zulassungsprozess bewiesen hat, dass es wirkt. Ohne einen Wirknachweis und ohne eine nachgewiesene Unbedenklichkeit in Sachen Qualität und Sicherheit gibt es keine Zulassung.Aber das AMNOG geht einen Schritt weiter. Es fordert auch den Nachweis, dass das neue Arzneimittel einen klinisch relevanten Nutzen für die Patienten hat, wenn man es mit dem aktuellen Therapiestandard vergleicht. Diesen Standard legt der GBA als "zweckmäßige Vergleichstherapie " (ZVT) fest.
Ist die neue Therapie besser als die ZVT, folgen die Preisverhandlungen mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (SpiBu).
Besteht kein Zusatznutzen, dann kommt das neue Produkt in die Festbetragsregelungen, so vorhanden. Oder es gibt einen neuen Preis, der nicht höher als der Preis der ZVT sein darf. So weit, so gut und bekannt. Und vom Parlament auch vorhergesehen.
"Kein Zusatznutzen" bedeutet in der medizinischen Realität jedoch nicht "Kein Zusatznutzen"
Nicht vorhergesehen waren jedoch insbesondere zwei Fallkonstellationen:
a) Kein Zusatznutzen musste häufig formal korrekt, aber medizinisch falsch, konstatiert werden, weil die dafür erforderlichen Vergleichsstudien nicht vorlagen. Denn man kann ein Urteil inhaltlich nur fällen, wenn sich durch Studienbelege beweisen lässt, welchen Patientennutzen ein neuer Wirkstoff hat. Der Nutzen eines neuen von der EMA zugelassenen Medikaments kann enorm gut oder grottenschlecht sein. Belegen lässt sich dies nur durch belastbare Studienergebnisse. Nicht aber durch eine formal und prinzipiell richtige Feststellung: „keine Studien, kein Nutzen belegt.“
b) Sehr viel häufiger ist jedoch in der frühen Nutzenbewertung, dass ein neuer Wirkstoff in einer Patientensubgruppe einen Zusatznutzen (erheblich, beträchtlich, gering) belegt hat, aber in einer anderen keinen. Meist weil eine diesbezügliche Studie fehlte. Zwangsläufig hat sich dadurch die Mischpreisproblematik Das AMNOG hat dazu keine klarstellenden Regeln getroffen. Der Beschluss des LSG BerlinBrandenburg hat das Potential, einen wichtigen Teil des AMNOG zu sprengen, wenn er denn rechtskräftig würde und im BSG nicht durchfällt. Denn der Regelfall in der frühen Nutzenbewertung ist die Subgruppenbewertung. Bis zu 12 Subgruppen pro Wirkstoff sind bekannt geworden.
2 Beispiele der Mischpreisproblematik verdeutlichen das absurde Dilemma für den Arzt
Bis dahin ist leicht vorherzusehen, was kommen wird, wie beispielsweise bei der Behandlung des Lungenkarzinoms (NSCLC). Das Lungenkarzinom ist nach den vergleichsweise gut zu behandelnden hormonabhängigen Tumoren der Brust und der Prostata und des Colonkarzinoms die dritthäufigste maligne Tumorart in Deutschland. 5 Jahre nach der Erstdiagnose leben nur noch 20 % der Patienten. Lungenkarzinome haben die höchste Letalität und führen die Todesursachenstatistiken an vorderster Stelle an.
Es gibt nur geringe Fortschritte in der Therapie:Beispiel 1: Afatinib/Giotrif ®, eine neuer Proteinkinaseinhibitor
Der GBA hat in der Bewertung in der Subgruppe "Erstlinientherapie, guter Allgemeinzustand, Nachweis einer Deletion 19 (ein genetisches Tumormerkmal) einen "erheblichen" Zusatznutzen zur Vergleichstherapie am 5.11.2015 festgestellt.
In der gleichen Sitzung fand der GBA in einer anderen Subgruppe "Erstlinientherapie, guter Allgemeinzustand, Nachweis einer Mutation L858R" den Zusatznutzen nicht belegt.
Die Informationsplattform "Oncopedia" der DGHO-Fachgesellschaft (Deutsche Gesellschaft Haemato-Oncologie) bestätigt, dass im Vergleich zur Standardtherapie, die aus den beiden Chemotherapeutika Cisplatin und Pemetrexed besteht, das Gesamtüberleben nicht durch das neue Medikament verlängert wird, also in diesem Punkt Wirkungsgleichheit besteht, aber das progressionsfreie Überleben, die Steigerung der Remissionsrate und die Rückbildung krankheitsassoziierter Symptome positiv zu verzeichnen sind.Der Beschluss des LSG wird zur Folge haben, dass diese neue deutlich besser verträgliche Therapieoption den Patienten nicht mehr zur Verfügung stehen wird, obwohl der klinisch relevante Nutzen für die Fachleute feststeht. Das Regressrisiko ist stark angestiegen, wenn man den Text in der Begründung des LSG ("kein Zusatznutzen ist gleich unwirtschaftlich") ernst nimmt. Es sei denn, der Arzt verordnet den neuen Wirkstoff privat oder veranlasst die stationäre Therapie, weil dort der LSG-Beschluss wirkungslos ist.
Dieser Sachverhalt bedeutet: Patienten mit einem bestimmten Lungenkrebs wird eine verträgliche Therapie verweigert, weil der regressbedrohte Arzt dieses hohe finanzielle Verordnungsrisiko nicht tragen kann.Beispiel 2: Sitagliptin/Metformin
Am 15.12.2016 hat der GBA beschlossen, dass das orale Antidiabetikum Sitagliptin einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen zusammen mit Metformin hat. Beide Wirkstoffe wurden in einer Studie als Tabletten getrennt eingenommen. Der Beschluss ist befristet. Das bedeutet für den Vertragsarzt, er kann diese Wirkstoffe verordnen, wenn er sie zur Behandlung der Diabetes seiner Patienten benötigt.
Zugleich hat der GBA in der Fixkombination von Sitagliptin mit Metformin den Zusatznutzen verneint, da in dieser Subgruppe keine Studien vorgelegt wurden.
Da dieser Sachverhalt Laien nicht leicht verständlich gemacht werden kann, eine Erklärung: Wenn man eine Tablette Sitagliptin und eine Tablette Metformin gibt, ist ein kleiner Zusatznutzen belegt. Verordnung wirtschaftlich, sofern indiziert. Nimmt man jedoch den Wirkstoff aus der einen und der anderen Tablette und stellt daraus – natürlich ohne die Dosis zu verändern – eine inhaltlich gleiche Fixkombination her, dann ist die Verordnung unwirtschaftlich. Zudem werden Diabetiker mit Fixkombinationen wegen der diversen Medikamente, die sie sonst noch benötigen, gern behandelt, um weniger Pillen schlucken zu müssen.
Beide Beispiele, die natürlich keine Einzelfälle sind, schreien nach einer Klarstellung im AMNOG hinsichtlich der Legitimität der Mischpreisbildung.
Auch wenn dadurch in negativ bewerteten Subgruppen ein höherer Preis entstehen kann als der der ZVT. Im AMVSG kann ja seit Neustem vom ZVT-Preis in Ausnahmefällen nach oben abgewichen werden. Diese Neuregelung bezieht sich zwar nicht auf das Mischpreisproblem, zeigt aber an, dass das Parlament Flexibilität besitzt.
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