Darum kommt WhatsApp bei Ärzten besser an als medizinische Tools
"Anders als bei medizinischen Tools herrscht im Bereich der Kommunikation ein echter Need unter der Ärzteschaft." Emily Andreae, Vorsitzende des E-Health Arbeitskreises der BITKOM, berichtet im Interview, welche Tech-Anwendungen Ärzte an Kliniken mögen. Und welche nicht.
Welche Tech-Anwendungen entlasten Ärzte im klinischen Bereich – und welche wünschen sie sich? Emily Andreae erlebt die Ärzteschaft zwiegespalten: Digitale medizinische Tools, die dicht am Patienten sind, finden im Krankenhaus kaum Verwendung. Wohl aber kommunikative Apps, die den Dialog untereinander und mit dem Patienten erleichtern. Auch wenn einige dieser Messenger-Dienste für diesen Zweck gar nicht erlaubt sind. "Es herrscht immer noch das Vorurteil und die Sorge unter den Ärzten, dass digitale Tools ihnen die Therapiehoheit streitig machen könnten", sagt Emily Andreae. Ein Interview über den Innovationsstau an deutschen Kliniken und dem Wunsch der Ärzte nach schlanken Informationssystemen. Health Relations: Frau Andreae, aus Ihrer Erfahrung heraus: Wie ist der Stand in Sachen Einsatz von digitalen Tools, speziell im Bereich der medizinischen Anwendungen, im Krankenhaus?Emily Andreae: Im Gegensatz zum Pflegebereich, wo digitale Anwendungen zum Beispiel in der Sturzprävention genutzt werden, werden digitale medizinische Tools im Krankenhaus bisher kaum eingesetzt. Die Abläufe in Klinken sind noch sehr klassisch. Insgesamt ist der Einsatz von digitalen Tools in der Gesundheitsbranche stark vom Patienten aus getrieben und dieser wird im Krankenhaus weitaus unmündiger betrachtet als im ambulanten Sektor. Wenn digitale Tools in Klinken zum Einsatz kommen, braucht es einen Innovator, der das Thema vor Ort vorantreibt. Besser sieht es bei den bildgebenden Verfahren aus, die beispielsweise durch KI die Diagnose unterstützen. Das setzt sich langsam durch. Digitale Tools, die dicht am Patienten sind, sind im Krankenhausalltag aber noch weit weg. Health Relations: Woran liegt das? Sind Ärzte nicht ausreichend informiert über das Angebot und die Vorteile digitaler Anwendungen im medizinischen Bereich?Emily Andreae: Die Ärzteschaft in Krankenhäusern hat eine extrem hohe Belastung und Arbeitsauslastung. Das hemmt die Bereitschaft, sich zusätzlich mit neuen technischen Themen auseinanderzusetzen oder über den Tellerrand zu schauen. Zusätzlich herrschen immer noch das Vorurteil und die Sorge unter den Ärzten, dass digitale Anwendungen ihnen die Therapiehoheit streitig machen könnten. Die Technik wird somit mehr als Konkurrenz denn als Unterstützung wahrgenommen. Ich erlebe aber auch, dass bei vielen Ärzten gerade im Bereich Datenschutz ein Mangel an Wissen vorherrscht. Vielfach setzen diese zum Beispiel den Messenger WhatsApp ein, um mit dem Patienten oder untereinander zu kommunizieren – ohne sich darüber bewusst zu sein, dass dieses nicht zulässig ist."Es wird erst gehandelt, wenn ein echter Pain-Point erreicht ist."Health Relations: Aber kann es nicht auch sein, dass Ärzte hier bewusst den Datenschutz umgehen, weil Messengerdienste wie WhatsApp die Kommunikation enorm vereinfachen, da die Technik bekannt und die Abläufe schlank und schnell sind?Emily Andreae: Ja, das ist tatsächlich oft der Fall. Anders als bei digitalen medizinischen Tools herrscht im Bereich der Kommunikation ein echter Need unter der Ärzteschaft. Hier wurden die Vorteile digitaler Lösungen erkannt und es herrscht der Wunsch, das gewohnte kommunikative Verhalten in das Berufsleben übertragen zu können. So sind wir unter anderem auch zu unserem Produkt MediOne gekommen. Mit dieser Anwendungen ermöglichen wir sowohl die Arzt-Patienten-Kommunikation als auch die Arzt-Arzt-Kommunikation. So können beispielsweise schnell und datenschutzkonform Gesundheitsdaten zwischen den Krankenhausärzten und dem Einweiserarzt ausgetauscht werden. Das hilft dem Arzt im Alltag. Health Relations: Gibt es weitere klinische Bereiche, in denen bereits jetzt digitale Tools zum Einsatz kommen und geschätzt werden?Emily Andreae: Ja. Auch im Bereich der Ambulanzen und Notfallaufnahmen herrscht in diesem Segment großer Bedarf. Kommunikations-Apps und -Tools helfen, Patientendaten schnell und übersichtlich zusammenzutragen. In diesen Bereichen werden digitale Lösungen viel schneller angenommen und genutzt, sei es als App oder als im Krankenhaus-Informations-System (KIS) implementierte Anwendungen wie beispielsweise die elektronische Patientenakte. Zu medizinische Anwendungen hingegen gibt es in einigen Krankenhäusern zwar schon vielversprechende Pilotprojekte, beispielsweise im Bereich der Telemedizin, aber bis sich das flächendeckend durchsetzt, braucht es Zeit.
"Ich meine, wenn Sie sich ein KIS einmal anschauen, das ist purer Schmerz. mit User Experience hat das nichts zu tun."Health Relations: Aber wenn wir uns die nachfolgenden Generationen von Ärzten anschauen, jene, die mit dem Handy in der Hand aufwachsen und es gewohnt sind, ihr Leben digital zu optimieren, stellt sich doch die Frage, ob diese sich in ihrem Joballtag nicht mehr digitale Innovationen wünschen? Müssen Krankenhäuser hier nicht schneller handeln, um diese Ärztegeneration für die Arbeit in klinischen Systemen zu begeistern?Emily Andreae: In meinen Augen sind die Kliniken teilweise zu langsam unterwegs. Aber wir haben in der Ärzteschaft selber eine große Spreizung: Die Älteren, die sagen "Hier läuft doch alles" und die Jungen, die sich mehr Digitalisierung an ihrem Arbeitsplatz wünschen. Zusätzlich haben wir die Herausforderung, die Budgets in Krankenhäusern entsprechend umzuschichten. Wir haben einen Innovationsstau in Krankenhäusern, der auch darauf beruht, dass das Thema der Digitalisierung nicht ausreichend berücksichtigt ist. Health Relations: Ist das System an Klinken zu starr für das Zeitalter der Digitalisierung?Emily Andreae: Krankenhäuser arbeiten nicht agil und sind immer noch stark hierarchisch aufgestellt. Neue Lösungen einzuführen, ist hier immer ein komplexer Vorgang. Sie einfach mal auszuprobieren, ist undenkbar. Bis da mal eine Pilotierung einer kleineren digitalen Anwendung in einer Abteilung stattfindet und in der Praxis getestet wird, um zu sagen: "Läuft, machen wir so" oder "Läuft nicht, wir probieren etwas anderes aus", das dauert. Das macht das System langsam und innovationsträge. Ich meine, wenn Sie sich ein KIS einmal anschauen, das ist purer Schmerz. Diese IT-Systeme erinnern stark an die 80er Jahre, mit User Experience hat das nichts zu tun. Health Relations: Zusammenfassend: Digitale Tools in Krankenhäusern haben Potential, aber besonders die Einbindung von medizinischen Anwendungen gestaltet sich aber schwierig. Anders als im ambulanten Sektor, wo der Patient Themen vorantreiben kann. Muss der Schmerz in den Krankenhäuser noch größer werden, wie es Dr. med. Johannes Wimmer formulierte, damit diese das volle Potential der Digitalisierung ausschöpfen wollen und können?Emily Andreae: Definitiv. Es wird erst gehandelt, wenn ein echter Pain-Point erreicht ist. Genau das erleben wir ja bei den kommunikativen Tools. Hier geht es oftmals auch um existentielle, organisatorische Fragen wie die Schichtplanung. Wenn sie eine Schichttausch-WhatsApp-Gruppe anlegen und sich rasch austauschen können, ist ihr Problem viel schneller gelöst. Der Mehrwert ist fühlbar, der Need ist da. Letztlich aber sind es auch die Strukturen selber, die Innovationen lähmen. Top-Down vorzugehen ist nicht immer zielführend. Wenn Sie digitale Tools im Krankenhausablauf wirklich dauerhaft implementieren wollen, müssen Sie die Leute mitnehmen und dort abholen, wo sie stehen.
Zur Person: Emily Andreae ist Head of Business Development Health bei der adesso AG, Vorsitzende des E-Health Arbeitskreises bei der BITKOM und Geschäftsführerin der MediOne GmbH, einer Tochter der adesso AG. Die Medizinökonomin ist seit 15 Jahren im Bereich Digitalisierung im Gesundheitswesen in den unterschiedlichsten Positionen und Themen unterwegs und engagiert sich zudem für die Förderung von Frauen in dieser Branche, unter anderem bei den Healthcare Frauen.