Dr. Angelina Müller: Das wollen Ärztinnen und Ärzte von einer DiGA
Mediziner:innen haben sich an die Entwicklung einer DiGA gemacht. Damit zeigen sie auch, was sie sich eigentlich von einer solchen App wünschen. Besonders wichtig ist für sie, die Nutzerorientierung und die Bedürfnisse von Anwendenden zu berücksichtigen und verschreibende Ärztinnen/Ärzte einzubeziehen.
- Wieso sich Ärzt:innen an die Entwicklung einer DiGA gemacht haben,
- welche Herausforderungen sich ergeben haben,
- welchen Nutzen Ärzt:innen in DiGA sehen und
- ob sich die Ärzt:innen eine Kooperation mit Pharma vorstellen können.
"Ein Kernelement besteht darin, die zukünftige Zielgruppe, also Patient:innen und Ärzt: innen, in den Prozess einzubinden, um deren Anforderungen nachzuvollziehen."Health Relations: Sie sind noch in der Entwicklungsphase. Auf welche Herausforderungen stoßen Sie dabei?Dr. Angelina Müller:Ein Kernelement besteht darin, die zukünftige Zielgruppe, also Patient:innen und Ärzt: innen, in den Prozess einzubinden, um deren Anforderungen nachzuvollziehen. Dabei ist nicht nur das Design der App ein entscheidender Faktor, es gilt auch, notwendige valide medizinische Informationen in Algorithmen zu übersetzen und diese ins Verhältnis zu Anwendereingaben – die Symptome – zu setzen. Besonders das auf den medizinischen Fachinformationen basierende Eskalationsregime ist ein Schlüssel, um bei entgleisenden Symptomen den Therapieerfolg zu stützen und ein schnelles Eingreifen durch Ärzte und Ärztinnen zu ermöglichen. Zudem müssen die hochsensiblen Gesundheitsdaten sicher übermittelt und gespeichert werden. Hierfür wird auf das Matrix-Protokoll zurückgegriffen, das eine unterbrechungsfreie Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ermöglicht. Ein weiterer Punkt ist die nahtlose Einbindung der übermittelten Informationen in die elektronische Patientenakte des Behandlungszentrums. Hierdurch soll das „ganze“ Behandlungsbild im zeitlichen Verlauf der Therapie ermöglicht werden. Das ist wichtig, um Ärzt:innen eine breite Basis für z.B. Therapieanpassungen etc. zu ermöglichen. Health Relations: Ziel ist, die App irgendwann als DiGA listen zu lassen. Wie sehen Sie als Ärztin den Nutzen der DiGA? Dr. Angelina Müller:Zu DiGA liegen uns vielfach noch nicht genug Erfahrungswerte vor, die wir bräuchten, um den Nutzen als Ärzt:innen zu bewerten. Woran wir daher arbeiten müssen, ist eine Optimierung der Art und Weise der Evaluation. Es sollte unbedingt vermieden werden, dass plötzlich Unmengen an DiGA entwickelt werden, deren Wirksamkeit und Nutzen nicht überprüft wird, die letztendlich niemand nutzt und bei denen auch niemandem klar ist, warum sie nicht genutzt werden oder was wir für die Zukunft daraus lernen können. Insbesondere sollte für alle Involvierten klar sein, dass die DiGA ärztliche Tätigkeiten nicht vollständig ersetzen kann, sondern, dass das übergeordnete Ziel die Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Steigerung der Patientenzufriedenheit bleibt. Health Relations: Die verordnungsfähigen DiGA sind in Deutschland seit 2019 eingeführt, doch viele Ärzt:innen sind noch zurückhaltend, wenn es darum geht, sie zu verschreiben. Woran liegt das und was muss passieren, damit sich das ändert?Dr. Angelina Müller:Eine wesentliche Voraussetzung ist, dass alle Beteiligten abgeholt werden. Wer bei Prozessen mitwirkt – und sei es auch nur in Form von Kritik – ist eher motiviert, sich weiter mit den Prozessen zu beschäftigen. Es gibt bereits Studien aus Deutschland, die eigentlich gegen eine Zurückhaltung der Ärzte und Ärztinnen bei der Verschreibung von DiGA sprechen, aber auch hier ist fehlende Information und das ausbleibende Einbeziehen der Mediziner:innen häufig der kritische Punkt. Nicht selten sind es Kleinigkeiten, die im Entwicklungsprozess untergehen, die weder im Vorfeld bedacht noch als relevanter Faktor betrachtet wurden. Diese können jedoch entscheidend dafür sein, ob man eine DiGA nutzt bzw. verschreibt. Daher denke ich, dass ein stetig zugelassener Lernprozess und eine Evaluation von Wirksamkeit, Nutzen und Praktikabilität kombiniert mit konstruktiver Kommunikation mit allen Beteiligten zwar aufwändig, aber erfolgsentscheidend wäre. Health Relations: Was glauben Sie, wie werden die DiGA langfristig die Gesundheitsversorgung verändern? Dr. Angelina Müller:Wie gesagt, noch ist es zu früh, aber wenn wir ein Patient-Empowerment, sprich eine Stärkung der Eigenverantwortlichkeit und Eigenmotivation der Patient:innen bewirken können, sind DiGA mit nachgewiesener Wirksamkeit etwas, wovon nicht nur die Patient:innen selbst, sondern auch ihre behandelnden Ärzt:innen profitieren könnten. Health Relations: Können Sie sich für Ihre App eine Kooperation mit einem Pharmaunternehmen vorstellen?Dr. Angelina Müller:Wir sehen eher das Potenzial für eine künftige Weiterentwicklung für andere chronischen Erkrankungen, wie z.B. Diabetes mellitus. Dann könnte man sogenannte POC-Analysegerät (Point of Care) in Zusammenarbeit mit Medizinprodukteherstellern über Schnittstellen einbinden, wodurch der Eingabeaufwand auf Nutzerseite sinkt und die Datenqualität durch die Zulassung der Geräte als Medizinprodukt steigt. Für die Wissenschaft wäre denkbar, die App für Begleitstudien zum Therapieerfolg, zur Adhärenz der Medikationseinnahme oder longitudinalen Verträglichkeitsuntersuchungen u.v.m. zu nutzen.