"Kliniken werden insgesamt mehr investieren müssen, um für Mitarbeiter attraktiv zu sein – da gehört eine gute und flexible Küche natürlich dazu", sagt Ralf Meyer, „Chef de Cuisine“ der Krankenhaus-Küche der Augusta-Kliniken in Bochum und Hattingen.
Herr Meyer, Sie haben 2009 als Chefkoch bei den Augusta-Kliniken angefangen. Wie war die Krankenhausküche denn vorher organisiert?Ralf Meyer:Damals war das eine typische Krankenhausküche – viel kam fertig aus dem Eimer, die Speisen waren lieblos zubereitet. Der damalige Geschäftsführer hatte die Vision, Gourmet-Küche im Krankenhaus anzubieten – und mich hat es gereizt zu beweisen, dass man in Krankenhäusern günstig und trotzdem in guter Qualität kochen kann. Deshalb habe ich die Stelle angenommen. Als ich kam, gab es schon zwei Küchenchefs. Einer ging dann in den Ruhestand, der andere konnte mit meinen Ideen leider gar nichts anfangen und hat die Klinik verlassen. Die meisten anderen sind aber geblieben. Unsere Küche hat inzwischen 155 Mitarbeiter. Wir haben Abläufe verschlankt, Prozesse verändert und Schichten angepasst. Insgesamt habe ich in den vergangenen elf Jahren im Vergleich zu meinem Vorgänger schon etwa eine Million Euro eingespart – ohne jemanden zu entlassen.

Der Experte:

Ralf Meyer ist seit Ende 2009 Küchenchef der Augusta-Kliniken in Bochum und Hattingen. Davor hat er für eine große Rechtsanwaltskanzlei und in Spitzenrestaurants wie "Im Schiffchen" im Düsseldorfer Stadtteil Kaiserswerth, als das Restaurant noch drei Michelin-Sterne hatte, und im "Nassauer Hof" in Wiesbaden gearbeitet.
Was machen Sie anders als andere Krankenhausküchen?Ralf Meyer:Wichtig ist natürlich immer, dass in Kliniken nur ein relativ geringes Budget zur Verfügung steht – das war bei meinen früheren Arbeitgebern anders (lacht). Wenn man die besten Zutaten hat, ist es relativ leicht, daraus auch ein Top-Gericht zuzubereiten. Aber die Kunst des Kochens ist es ja, auch aus einfachen Produkten tolle Gerichte zu machen. Deshalb haben wir uns hier entschieden, mit relativ einfachen Lebensmitteln zu arbeiten – wir wollen hier nicht teurer sein als andere Krankenhausküchen. Wir bereiten alles frisch zu. Es ist ja ein verbreiteter Irrglaube, dass es günstiger wird, wenn man etwas fertig dazu kauft – das stimmt so nicht. Haben Sie dafür konkrete Beispiele?Ralf Meyer:Wenn wir zum Beispiel Strudelteig fertig einkaufen, kostet ein Paket tiefgefroren sechs bis neun Euro. Wenn wir den Teig selber herstellen, kostet die gleiche Menge nur drei Euro – da sind die Zutaten und auch die Arbeitszeit eingerechnet. Wir kochen auch Marmeladen selbst und sparen dadurch 10.000 Euro im Jahr im Vergleich zu der einfachen, abgepackten Fertigmarmelade, die sonst verwendet wird. Das gilt auch für Joghurt: Bei uns gibt es keinen Fertigjoghurt mehr, sondern Naturjoghurt mit selbstgemachter Fruchtsoße, serviert in einem Porzellanschälchen. So sparen wir Geld, die Qualität ist wesentlich besser, wir können auf Zusätze wie Stabilisatoren und Konservierungsstoffe verzichten und produzieren auch viel weniger Plastikmüll. Dieses Prinzip zieht sich überall durch. Wir kochen frisch und haben das systematisiert. Das ist wohl der größte Unterschied zu anderen Krankenhausküchen.
"Gerade in Krisenzeiten wie den vergangenen Monaten werden die Mitarbeiter stark beansprucht. Und da sind gutes Essen und ein schöner Aufenthaltsraum Faktoren, die auch einen Ausgleich schaffen."
Was meinen Sie mit dem Begriff „systematisiert“ konkret?Ralf Meyer:Wir haben für alles, was wir produzieren, feste, bebilderte Rezepturen und überlassen nichts dem Zufall. Unsere Speisepläne laufen immer für zwei Wochen, dann wiederholt es sich. Viermal im Jahr haben wir saisonale Speiseplan-Wechsel. Unser Team beherrscht also nur eine gewisse Anzahl an Rezepten, die aber dafür wirklich perfekt – und weil wir das seit Jahren so machen, werden wir immer besser. Außerdem versuchen wir, die Mengen so genau zu kalkulieren, dass so gut wie nichts übrigbleibt. Das ist ja auch ein Kostenfaktor, wenn man mehr Zutaten kauft, als man tatsächlich braucht. Und es gibt einen logistischen Aspekt: In einem Restaurant kommt ein Gericht ja direkt aus der Küche an den Tisch des Gastes. Im Krankenhaus haben wir lange Standzeiten – das bedeutet, wenn das Essen aus der Küche kommt, vergehen etwa 45 Minuten, bis der Gast es tatsächlich serviert bekommt. Das ist ein Problem, weil die Speisen sich in dieser Zeit verändern, wenn man sie warmhält: Gemüse verkocht, Fleisch wird trocken. Wie haben Sie das Problem mit den Standzeiten gelöst?Ralf Meyer: Wir haben Speisentransportwagen, die zur Hälfte gekühlt und zur Hälfte erhitzt werden können. Wir mussten lernen, ganz anders zu kochen: Jetzt geht es nicht mehr darum, dass das Gericht perfekt ist, wenn es aus der Küche kommt, sondern erst dann, wenn es beim Patienten ankommt. Die Frage ist also: Wie lange gare ich beispielsweise eine Karotte in der Küche, damit sie nach der Fahrt in diesem Wagen am Ende knackig vor dem Gast steht und die Nährstoffe noch drin sind? Um das herauszubekommen, haben wir Rinderfilet genommen und zwei Wochen lang ausprobiert, wie der Wagen eingestellt sein muss, damit das Fleisch den richtigen Garpunkt behält. Und dann haben wir die Zubereitung der anderen Speisen an diese Einstellung angepasst. Jetzt wissen wir, was wie stark gegart etwas aus der Küche kommen muss, damit am Ende alles passt. Wir haben so einen Wagen in der Küche und probieren das immer noch jeden Tag mit den aktuellen Gerichten aus. Sie sehen – dahinter steckt nicht nur gutes Kochen, sondern auch eine komplizierte Logistik.
"Die Mitarbeiter müssen bis 12 Uhr am Vortag über unser Bestellsystem bestellt haben. Dagegen haben sich viele zunächst gesträubt, weil sie sich nicht festlegen wollten. Wir haben aber darauf bestanden, um unser Konzept der Nachhaltigkeit auch hier beizubehalten."
Was steht denn bei Ihnen auf dem Speiseplan?

Gutes Essen als Highlight des Tages © Mayer

Ralf Meyer:Auf unserem Herbstmenü stehen z.B. Saltimbocca vom Hähnchen, gefüllte Perlhuhnkeule mit Maronen oder Bandnudeln mit Hirsch-Bolognese, aber auch Kassler mit Sauerkraut und Kartoffelpüree oder klassischer Erbseneintopf. Jeden Tag haben die Gäste vier Gerichte zur Auswahl, darunter ein vegetarisches. Außerdem haben wir immer ein typisch deutsches Gericht, das etwas über den Garpunkt hinaus weichgegart wird. Erst wollten wir das speziell für ältere Menschen anbieten. Aber es entscheiden sich fast 50 Prozent der Gäste für dieses Angebot – und zwar quer durch alle Altersgruppen. Das hat auch etwas damit zu tun, dass man mit dieser Art Essen gute Erinnerungen verbindet – vielleicht hat früher die Mutter auch so gekocht. Und etwas, das einem ein positives Gefühl gibt, ist im Krankenhaus natürlich besonders wichtig. Wir hören oft, dass Patienten eine schwere Zeit haben und das gute Essen für viele dann das Highlight des Tages ist. Wir haben wahnsinnig dankbare Gäste. Das macht mir persönlich auch sehr viel Freude. Wie profitieren Ärzte und andere Klinikmitarbeiter von Ihrem Angebot?Ralf Meyer:Natürlich haben die Mitarbeiter die gleiche Auswahl wie die Patienten – wir unterscheiden da nicht. Die Mitarbeiter müssen bis 12 Uhr am Vortag über unser Bestellsystem bestellt haben. Dagegen haben sich viele zunächst gesträubt, weil sie sich nicht festlegen wollten. Wir haben aber darauf bestanden, um unser Konzept der Nachhaltigkeit auch hier beizubehalten. Wenn man in den Personalcafeterien immer alles vorrätig haben muss, wird auch einfach viel weggeworfen. Wegen Corona haben allerdings derzeit die Cafeterien geschlossen und das Personal isst auf den Stationen. Dort liefern wir das Essen hin. Und das kommt inzwischen bei den meisten sehr gut an. Künftig wollen wir es auch ermöglichen, dass die Mitarbeiter noch eine Wunsch-Uhrzeit angeben können. Dann bekommen sie das Essen in Top-Qualität, wenn es in ihren individuellen Zeitplan passt. Wir legen Wert darauf, leichte Gerichte anzubieten. Wer möchte, kann sich also bei uns auch als Mitarbeiter gesund ernähren. Frittierte Schnitzel mit schwerer Soße, Pommes und anderes Junk-Food haben wir gar nicht im Angebot. Welche Rolle spielt das Essen für die Mitarbeiter in Zeiten von Personalmangel?Ralf Meyer:Kliniken werden insgesamt mehr investieren müssen, um für Mitarbeiter attraktiv zu sein – da gehört eine gute und flexible Küche natürlich dazu. Man hat jetzt ja erkannt, dass Personal sehr wichtig ist – und gerade in Krisenzeiten wie den vergangenen Monaten werden die Mitarbeiter stark beansprucht. Und da sind gutes Essen und ein schöner Aufenthaltsraum Faktoren, die auch einen Ausgleich schaffen. Man will ja zumindest seine Pausen so angenehm wie möglich verbringen. Bei uns im Haus hat man das aber schon erkannt. (Dieser Artikel erschien als Erstveröffenltichung auf www.aerztestellen.de, dem Stellenmarkt des Deutschen Ärzteblatts).
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