Die Landesärztekammer Baden-Württemberg hat die Bewerbungsphase für Fernbehandlungs-Modellprojekte gestartet. Wir sprachen mit Pressechef Dr. med. Oliver Erens über den bisherigen Stand der Dinge.
Seit dem 27. März können sich Telemedizin-Anbieter bei der Landesärztekammer Baden-Württemberg (LÄK BW) mit ihrem
Modellprojekt zur Fernbehandlung bewerben – nach einer Änderung der dortigen Berufsordnung ist es nun möglich, "ärztliche Behandlungen, die ausschließlich über Kommunikationsnetze durchgeführt werden", von der LÄK BW genehmigen zu lassen. Wir haben bei Dr. Erens nachgefragt, wie es bisher so läuft.
Health Relations: Warum ist das Land Baden-Württemberg das erste, das einen Modellversuch in Sachen Telemedizin startet?Dr. Erens: Das liegt vor allem auch an unserer Grenze zur Schweiz: Da gibt es das Unternehmen
Medgate, das seit 17 Jahren in der Fernbehandlung Expertise hat, was daran liegt, dass es in der Schweiz Krankenversicherer gibt, die ihren Mitgliedern einen vergünstigten Tarif anbieten, wenn man zuerst den Arzt über das Callcenter anruft. Und es gibt den einen oder anderen Arzt aus Baden-Württemberg, speziell aus Südbaden, der jeden Tag nach Basel fährt, um dort per Telefon Patienten aus der Schweiz zu behandeln. Da ergab sich dann irgendwann die Frage:
Wäre das nicht auch vom Homeoffice aus zu machen? Unter anderem deshalb haben wir unsere Berufsordnung dahingehend geändert, dass der § 7 Absatz 4 zwar weiterhin den Passus enthält, dass eine Fernbehandlung ohne direkten Patientenkontakt nicht statthaft ist, wir aber ergänzt haben, dass im Rahmen von Modellvorhaben, die vom Kammervorstand genehmigt werden, diese Art der Behandlung möglich ist. Ziel ist es jetzt, zu prüfen, ob solche Fernbehandlungsangebote von Ärzten und Patienten angenommen werden.
Health Relations: Warum halten Sie diesen Schritt für notwendig?Dr. Erens:Die Technisierung der Gesellschaft ist in vollem Gange, und da ist es aus unserer Sicht unumgänglich, dass sich auch die Ärzteschaft mitbewegt.Die Technisierung der Gesellschaft ist in vollem Gange, und da ist es aus unserer Sicht unumgänglich, dass sich auch die Ärzteschaft mitbewegt. Das Novum daran ist die ausschließliche Fernbehandlung von Patienten. Wir zeichnen damit den Weg vor, damit sich Patienten künftig an Ärztinnen und Ärzte aus ihrem Einzugsbereich wenden können, denen sie nicht persönlich gegenübersitzen,
statt auf windige bzw. kostspielige Angebote aus dem Ausland zurückzugreifen. Das Qualitätssiegel der Landesärztekammer Baden-Württemberg stellt hingegen sicher, dass der Patient immer einen Facharzt am anderen Ende der Leitung hat.
Health Relations: Wie genau läuft so eine Bewerbung ab? Welche Bedingungen müssen erfüllt werden?Dr. Erens: Der Projektträger eines Modells muss eine unabhängige wissenschaftliche Evaluation gewährleisten und neben der technischen Machbarkeit beispielsweise auch die Finanzierung und die Vergütung der teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte sicherstellen. Das gesamte Projekt muss wissenschaftlich begleitet werden, um die Qualität der Behandlung zu garantieren. In Zweifelsfällen, wo das nicht klappt, werden wir die Genehmigung auch wieder entziehen. Wir stehen derzeit mit zahlreichen Interessenten in Kontakt, die früher oder später entscheiden werden, ob sie in die Bewerbungsphase eintreten. Das Ende eines Modells vereinbaren wir individuell mit dem jeweiligen Anbieter – die Laufzeit wird wahrscheinlich zwischen zwei und fünf Jahren betragen. Durch die Änderung unserer Berufsordnung bringen wir zwar diese Modellversuche auf den Weg, umgesetzt werden die Vorhaben aber von den Bewerbern selbst. Sie benennen einen „verantwortlichen Arzt“, der Mitglied unserer Kammer sein muss.
Der Arzt hat dafür Sorge zu tragen, dass die Regeln zur Berufsausübung wie Datenschutz oder die Haftpflicht beachtet werden – denn diese Parameter kommen bei einer Fernbehandlung besonders zum Tragen.
Health Relations: Mit welchen Modellen rechnen Sie? Was für Bewerbungen haben Sie bisher erhalten?Dr. Erens: Vorstellbar ist etwa, dass eine gesetzliche oder private Krankenversicherung zusammen mit einem technischen Anbieter und einzelnen Ärzten so ein Modellprojekt auf die Beine stellt oder auch, dass die Vertragsärzteschaft in Baden-Württemberg aktiv wird. Wir verzeichnen beispielsweise auch großes Interesse von Politikern, die sich Modellversuche in ihren Wahlkreisen vorstellen können.
Die meisten der bisherigen Interessenten wollen eine Telefonhotline realisieren, aber Smartphone-Apps und technische Gadgets sind ebenfalls denkbar. Wichtig ist, dass die technische Hürde nicht zu hoch gelegt wird.
Wir glauben, dass die Entwicklung nicht mehr aufzuhalten ist und die Musterberufsordnung mittelfristig angepasst wird.
Health Relations: Und wie geht es weiter?Dr. Erens: Die Landesärztekammer ist im "
Beirat für Digitalisierung in Medizin und Pflege" des baden-württembergischen Ministeriums für Soziales und Integration vertreten.
Es ist übrigens auch denkbar, dass das Land finanzielle Mittel, beispielsweise für die Evaluation eines Modellprojektes, zur Verfügung stellt. Das Thema "Digitalisierung im Gesundheitswesen" steht auf der Agenda des
Deutschen Ärztetages in Freiburg; Kammerpräsident Dr. Clever wird dort über unsere Aktivitäten berichten. Wir glauben, dass die Entwicklung nicht mehr aufzuhalten ist und die Musterberufsordnung mittelfristig angepasst wird.
Dr. med. Oliver Erens ist der Ärztliche Leiter für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Ärztlichen Pressestelle der Landesärztekammer Baden-Württemberg.Bild von Dr. Erens: © privatTitelbild: © istock.com/sshepard