Immer noch hindert die gläserne Decke Ärztinnen in Kliniken daran, auf der Karriereleiter nach oben zu klettern. Eine aktuelle Studie über Chancengleichheit im Krankenhaus zeigt, wie Entscheider die alten Strukturen aktiv aufbrechen können. Wir sprachen mit der Studienautorin Dr. Andrea Rothe und warfen einen Blick auf die praktischen Ergebnisse im Klinikum Karlsruhe.
Dr. Andrea Rothe © München Klinik
Die sogenannte
Geschlechterschere legt offen, dass viele Ärztinnen nach wie vor in puncto Karriere „verloren gehen“. Und je höher die Position, umso undurchdringlicher wird die
gläserne Decke. Mit gerade mal zehn Prozent sind Chefärztinnen in bundesdeutschen Kliniken vertreten. Der Wettbewerb um talentierte Kräfte macht dies auch zu einem wichtigen Thema für Arbeitgeber. „Es gibt jede Menge hochkompetenter Ärztinnen, die mitgestalten wollen. Viele haben den Ehrgeiz voranzukommen, erleben aber, dass sie ausgebremst werden. Denn ab einer bestimmten Stufe ihrer Laufbahn sehen sie, dass ihre männlichen Kollegen an ihnen vorbeiziehen, obwohl die oft viel weniger berufliche Erfahrung haben“, erklärt Dr. Andrea Rothe, Leiterin der Stabsstelle Betriebliche Gleichbehandlung der München Klinik.
Wie das geändert werden kann, beleuchtet die Studie „
Chancengleichheit im Krankenhaus: Innovative Wege zur Fachkräftesicherung“. Vier kommunale Klinken haben sich mit verschiedenen Projekten daran beteiligt: München Klinik, Klinikum Region Hannover, Städtisches Klinikum Karlsruhe und Städtisches Klinikum Solingen, letzteres in Kooperation mit den Kliniken der Stadt Köln. Nun liegen die Resultate auf dem Tisch. Die zwei größten Erfolgsgeschichten waren
Cross-Mentoring-Programme für aufstiegswillige Ärztinnen und
Sensibilisierungs-Trainings für Führungskräfte.
Karrierebeschleuniger: Cross-Mentoring-Programme
Mit den Cross-Mentoring-Programmen konnten geeignete Kandidatinnen – von Assistenzärztinnen bis zu leitenden Oberärztinnen – gefunden und gefördert werden. Unter anderem wurden dazu Tandems aus je einer erfahrenen Führungskraft und einer Nachwuchs-Ärztin gebildet. Ein weiteres Modul war die kollegiale Beratung, in der die Mentees offen über ihre Probleme sprechen konnten, beispielsweise ihre Erfahrungen als Frau im Team. Dabei stellte sich heraus, dass viele Ärztinnen innere Barrieren haben, ihre Erfolge zu betonen, weil sie fürchten, als überheblich zu gelten. „Die Cross-Mentoring-Programme erwiesen sich insgesamt als sehr wirksames Instrument. Denn die Ärztinnen bringen in der Regel die Fachlichkeit bei Weitem mit, aber es fehlt offensichtlich eine
Kultur der Ermutigung. Viele denken der Chefarzt müsste doch erkennen, wie toll sie sind. Doch das passiert nicht. Man muss schon selbst hingehen und den Wunsch nach beruflicher Förderung klar artikulieren!“, betont Andrea Rothe.
"Führungskräfte ziehen immer Leute nach, die ihnen ähnlich sind und im Zweifelsfall ist dies eher ein Mann als eine Frau."
Wichtig fürs Gelingen: Um teilzunehmen, standen zwei Wege offen. Chefärzte und Chefärztinnen durften ihre Kandidatinnen vorschlagen, interessierte Ärztinnen konnten sich aber auch selbst melden. Durch diese beiden Zugangsmöglichkeiten werden, so Rothe, „eben genau die mitgenommen, die man oft übersieht“. Das betrifft insbesondere Ärztinnen, die wegen ihrer Kinder noch in
Teilzeit arbeiten. Diese sind meist Ende 30, Anfang 40 und das gilt für eine „typische“ angehende Oberärztin als fast schon zu alt. „Dabei sind diese Frauen in der Regel hervorragend ausgebildet, seit langem im Beruf und meistens diejenigen, die auf Station die Arbeit wegschaffen. Aber sie geraten aus dem Blick der Chefärzte als potenzielle Führungskräfte, obwohl sie dafür oft bestens geeignet wären“, erläutert Andrea Rothe.
Insgesamt entpuppte sich das Mentoring-Programm vor allem in München als
Karrierebeschleuniger. 26 Mentees erreichten dort in den letzten Jahren ihr Ziel und wurden Oberärztin, leitende Oberärztin oder ließen sich in einer eigenen Praxis nieder. Und das Konzept wird fortgesetzt, mit derzeit 25 aktiven Mentees. Übrigens, ein solches Cross-Mentoring-Programm lässt sich in kleinen Häusern ebenfalls realisieren. So stand Solingen mit seiner kleineren Belegschaft zunächst vor der Herausforderung, dass der direkte Vorgesetzte auch die Mentorenschaft hätte übernehmen müssen. Die Lösung war, man ging eine Kooperation mit den Kliniken der Stadt Köln ein.
Case Study: Neue Arbeitszeitmodelle in Karlsruhe
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Birgit Mangold © Kümmerle[/caption]
Auch der Blick ins
Städtische Klinikum Karlsruhe zeigt handfeste Ergebnisse. Dort werden zwei Prozesse dauerhaft eingeführt. Erstens wird für die interne Führungskräfte-Entwicklung ein weiteres Modul entworfen, um weiblichen Nachwuchs besonders zu fördern. Dies beinhaltet Business Coachings, Workshops und Trainings on the Job. „Zweitens möchten wir verschiedene Lebenswelten vereinbaren, nicht nur Familie und Beruf, sondern auch Beruf und Privatleben“, beschreibt die
Gleichstellungsbeauftragte Birgit Mangold und führt aus: „Das hat bei uns schon in einem Bereich sehr gut geklappt, in der Onkologie. Hier haben wir mit den Mitarbeitenden neue Arbeitszeitmodelle erstellt, in Bezug auf gute Planbarkeit, und beispielsweise Schichtpläne mit relativ langem Vorlauf entworfen.“ Die verschiedenen Modelle ermöglichen auch einen strukturierten Wiedereinstieg nach der Elternzeit. Denn so ist bereits vor dem Ausscheiden bekannt, welche Arbeitszeiten zur Verfügung stehen und wie die Kinderbetreuungszeiten liegen sollten. Leider kam für die Umsetzung Corona in die Quere. „Aber die Kolleginnen und Kollegen warten nun darauf, dass wir zügig in medias res gehen“, sagt Birgit Mangold und fügt an: „Das sind aber nur Mosaiksteinchen im ganzen Diversity Management, da kommt noch mehr.“
Workshops für Geschäftsführung & Co.
„Nachhaltige Chancengleichheit kann nur erreicht werden, wenn die Organisation als Ganzes dieses Ziel unterstützt, kontinuierlich lernt und so ein Kulturwandel stattfindet“, fordert Andrea Rothe. Hierbei komme der Geschäftsführung, den Führungskräften sowie den Betriebsratsmitgliedern und der Personalabteilung aufgrund ihrer Einflussmöglichkeiten besondere Verantwortung zu. Daher wurden für diese Berufsgruppen
Sensibilisierungs-Trainings durchgeführt. „Gezielte Diskriminierung ist zum Glück selten geworden, aber es gibt viele unbewusste Vorurteile und Verhaltensweisen, um die sich diese eintägigen Trainings zum großen Teil drehten.
Eines der auffallendsten Denkmuster für mich ist der ‚similar to me‘-Effekt. Das bedeutet Führungskräfte ziehen immer Leute nach, die ihnen ähnlich sind und im Zweifelsfall ist dies eher ein Mann als eine Frau. Auf diese Weise wird die männliche Führungsebene quasi automatisch konserviert“, erläutert Rothe. Abschließend fand ein Workshop mit allen statt, um Maßnahmen zu erarbeiten, die konkret umgesetzt wurden. So wird künftig bei Ausschreibungen für Führungspositionen stärker auf die Wortwahl geachtet, um mit männlich besetzten Worten Frauen nicht von vornherein abzuschrecken.
Schwanger und sicher im OP
Darüber hinaus ergaben sich während der dreijährigen Studienlaufzeit weitere Ansätze, beispielsweise für die
Vereinbarkeit von Job und Familie. Hierzu fand am Standort Neustadt am Rübenberge die Workshop-Reihe „Familienfreundlich von Anfang an“ statt. Dort wurden insbesondere die Möglichkeiten ausgelotet, während einer
Schwangerschaft Stationsarbeit zu leisten sowie im Operationsdienst tätig zu sein. Am Ende gab es konkrete Empfehlungen, wie dies sicher und gesetzeskonform gestaltet werden kann. Als vielversprechendes Projekt für die Zukunft wurde zudem
„Huckepack“ entwickelt: ein generationenübergreifendes Job-Sharing-Modell für Mitarbeitende im Rentenalter und in der frühen Familienphase.
"Dem müssten die Arbeitgeber dringend Rechnung tragen, mehr geeignete Stellen und vor allem Führung in Teilzeit ermöglichen.“
Gerade im Thema Teilzeit sieht die Studienautorin einen entscheidenden Knackpunkt: „Die meisten Ärztinnen steigen heute rund ein Jahr nach der Geburt wieder in den Beruf ein, allerdings fast immer in Teilzeit. Dem müssten die Arbeitgeber dringend Rechnung tragen, mehr geeignete Stellen und vor allem
Führung in Teilzeit ermöglichen.“ Dabei hat sie für die Umsetzung einen konkreten Tipp parat: „Es wäre wahrscheinlich günstig, dies 60 : 60 zu gestalten, sodass die Übergabezeiten gut klappen.“ Auch rät Andrea Rothe sollte man sich im Sinne von
Top-Sharing gemeinsam auf eine Stelle bewerben können. Diese Problematik betrifft übrigens nicht nur Frauen. Denn auch unter den jüngeren Ärzten gibt es immer mehr, die ihre Kinder aktiv miterziehen wollen. Deren Einstellung ist in der Regel jedoch, dass dies im Krankenhaus nicht möglich ist. Sie gehen dann, wie viele ihrer Kolleginnen, ebenfalls in die Niederlassung. "Dabei sollten wir doch die fähigsten Ärztinnen und Ärzte in den Krankenhäusern halten. Aber das gelingt so natürlich nicht. Also müssen wir die Rahmenbedingungen ändern, damit wir wirklich aus dem Pool der Besten wählen können."
Teilzeit in der Chirurgie
Die Uhr zurückdrehen, geht sowieso nicht. „Ich habe den Eindruck, dass viele Entscheider hoffen, dass sich alles irgendwie von alleine löst und wieder so wird wie früher. Doch die Zeiten haben sich unweigerlich geändert, es kommen einfach immer mehr Frauen nach.“ Und die gehen mittlerweile in alle Bereiche. Dazu gehört selbst die traditionelle
Männerdomäne Chirurgie, in der inzwischen viele Fachärztinnen arbeiten. Um die notwendige fachliche Expertise zu erwerben, bieten sich in der
Chirurgie Teilzeitmodelle von 9 bis 13 Uhr zwar eher nicht an, aber: „Da könnten Ärztinnen und Ärzte mit Teilzeitstellen beispielsweise ganze Tage arbeiten und hätten dafür dann auch ganze Tage frei“, empfiehlt Rothe ganz pragmatisch.
Die Veröffentlichung „Chancengleichheit im Krankenhaus: Innovative Wege zur Fachkräftesicherung“ basiert auf dem vom 01.07.2017 bis 30.04.2020 durch den Europäischen Sozialfonds geförderten Projekt „Fachkräftesicherung durch Gleichstellungspolitik im Krankenhaus (GiK)“.
Studiendownload
Download der Studie unter https://www.qubic.de/wp-content/uploads/2020/07/Chancengleichheit_Krankenhaus_rz_Online.pdf