Die meisten Kliniken Deutschlands sind auf einen Terroreinsatz nicht eingestellt. Um das zu ändern, bietet die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) seit heute Schulungen für das ärztliche Führungspersonal an.
Bereits im September 2016 legte die
DGU zusammen mit dem Sanitätsdienst einen
5-Punkte-Plan vor, um das nötige Wissen zur medizinischen Versorgung von Terroropfern strukturiert zusammenzufassen. Ein wichtiger Bestandteil dieses Plans ist der heute startende Kurs
„Terror andDisasterSurgicalCare“ (TDSC®) für Chirurgen und Fachkollegen.
HealthRelations sprach mit
Prof. Dr. Benedikt Friemert über notwendige Vorbereitungen auf einen Terroreinsatz.
HealthRelations: Herr Prof. Friemert, vor welche konkreten Herausforderungen wird man bei einem Terroreinsatz als Klinikum gestellt?Bei einem Terroranschlag haben Sie in sehr kurzer Zeit sehr viele Patienten, die in die Klinik kommen – und zwar in die nächstgelegene.Prof. Friemert: Bei einem Terroranschlag haben Sie in sehr kurzer Zeit sehr viele Patienten, die in die Klinik kommen – und zwar in die nächstgelegene. Ein großer Teil der Patienten wird durch Passanten gebracht, die zwischen weniger schweren und schwerwiegenden Verletzungen nicht unterscheiden können. Die Passanten bringen die Patienten auch nicht in die aufgrund des Schweregrads der Verletzungen vorgesehene Klinik, so wie das der Rettungsdienst machen würden, sondern eben in die nächstgelegene.
Das heißt, in der ersten Phase kommen relativ viele Patienten selbständig in die Notaufnahme, die noch nicht schwerverletzt sind, aber natürlich versorgt werden müssen. Dann kommen Patienten, die von Passanten gebracht werden und schon schwerer verletzt sein können. Erst danach kommen die
schwerstverletzten Patienten, die vom Rettungsdienst gebracht werden, und deren Behandlung wesentlich dringlicher ist, was logistische Probleme nach sich zieht.
HealthRelations: Können Sie konkrete Beispiele benennen, wie organisatorisch in einem Klinikum nach einem Terrorattentat vorzugehen ist?Wenn sie die Patienten erst einmal alle in die Notaufnahme hereinlassen, dann sind hier sehr schnell alle Kapazitäten besetzt.Prof. Friemert: Die Sichtung der Patienten sollte man zum Beispiel nicht mehr in der Notaufnahme machen. Wenn sie die Patienten erst einmal alle in die Notaufnahme hereinlassen, dann sind hier sehr schnell alle Kapazitäten besetzt. Die Sichtung sollte deshalb vor die Klinik erfolgen, damit man nur diejenigen Patienten in die hochwertigen Versorgungsräume hereinlässt, die es auch wirklich brauchen. Das ist also ein Punkt, der anders gehandhabt werden muss als bei einem Verkehrsunfall.
Außerdem ist der Schutz der Klinik selbst zu beachten. Denn es kann ja durchaus sein, dass der sogenannte „Second Hit“, den Terroristen planen und auch durchführen, die Klinik trifft.
https://youtu.be/wnBLVAdRf_0
Ende April 2017 fand die bundesweit bislang größte Anti-Terrorübung in Kiel mit rund 1.500 Einsatzkräften statt. Health Relations: Bei dem zweieinhalbtätigenTDSC-Kurs, der ab heute von der Akademie für Unfallchirurgie GmbH (AUC) zum ersten Mal angeboten wird, geht es also um eine organisatorische und eine fachspezifische Schulung? Prof. Friemert: Ja, genau.
Das Ganze hat drei Aspekte. Zunächst beschäftigen wir uns mit dem
fachlichen Aspekt, auf den ich gerade eingegangen bin, dass man als Chirurg also auf Explosionsverletzungen reagieren kann. Das Zweite sind die
taktisch-strategischen Fragen, also wie man die Patienten, die in der Klinik angekommen sind, verteilt und innerhalb der jeweiligen Klinik bestmöglich behandelt. Auch diese Fragen werden wir im Rahmen einer Simulationsübung trainieren. Und als Drittes müssen Antworten auf die
organisatorischen Fragen gefunden werden: Wie schütze ich meine Klinik, wie organisiere ich die
Materialbevorratung, wie alarmiere ich das Personal und so weiter. Auf diesen drei Säulen steht die
Terrorpräventionsschulung.Health Relations: Wen haben Sie als Ausbilder für den Kurs gewinnen können?Prof. Friemert: Ein großer Teil der Instruktoren kommt aus der Bundeswehr, denn die Einsatzchirurgen und die Einsatzanästhesisten sind mehr oder weniger die Einzigen, die sich mit diesen spezifischen Themen aktuell hier in Deutschland auskennen. Wir möchten auch zivile, erfahrene Kollegen als Ausbilder gewinnen, aber die müssen wir natürlich erst einmal mit den Inhalten schulen. Letztlich soll es ein gemischtes Team werden.
Health Relations: Wenn ein Klinikbetreiber für das Personal einen solchen Kurs buchen möchte, wen meldet er an?Bei Terrorattentaten kommen viele Patienten gleichzeitig in den Schockraum. © iStock.com/megaflopp
Prof. Friemert: Der
TDSC-Kurs ist gedacht für
erfahrene Chirurgen, also zum Beispiel Oberärzte. Er ist aber auch an
Anästhesisten und alle, die in einer Extremsituation wie einem Terrorattentat medizinische Entscheidungen treffen müssen, adressiert. Diese Leute sind an den Kliniken in der Regel an der Entwicklung eines Krankenhaus-Alarmplans beteiligt, und da fließen auch die organisatorischen Dinge ein, die jedes Krankenhaus für sich spezifisch anders regeln muss. Dass ein Verwaltungsmitarbeiter bei dem Kurs mitmacht, ist aus meiner Sicht weniger sinnvoll, weil vor allem chirurgische und medizinische Inhalte thematisiert werden.
Die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) wird voraussichtlich im September eine Checkliste veröffentlichen, der die Verwaltungen und Verantwortlichen bei der Erstellung eines Krankenhaus-Alarmplans unterstützt und aufzeigt, wie eine Klinik bei einem Terrorattentat anders organisiert werden muss.Health Relations: Mit welchen Partnern führt die DGU die Kurse durch? Welche Partner werden noch benötigt?Prof. Friemert: Der wesentliche Partner ist die
Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), außerdem ist die
deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) dabei. Ein dritter und vierter Partner ist sehr wichtig:
Die Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin (DGV) und die
Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie (DGG).
Damit sind die wesentlichen Player im Boot, die wir für eine Terrornotfallversorgung brauchen. Für die Zukunft werden wir ein Konzept zusammen mit den Radiologen entwickeln – hier ist die zentrale Frage, wie die radiologische Diagnostik bei einem Terroreinsatz erfolgen kann. Auch die Labormediziner werden in Zukunft
eingebunden werden, die bei der Frage zur Verfügbarkeit von Blutkonserven Antworten liefern können. Aber die wichtigsten Partner sind mit den vier erstgenannten Gesellschaften schon gefunden.
Oberstarzt Prof. Dr. med. Benedikt Friemert ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, Septische und Rekonstruktive Chirurgie und Sporttraumatologie am Bundeswehrkrankenhaus Ulm. Zudem ist er Leiter der AG Einsatz-, Katastrophen- und Taktische Chirurgie der DGU. In insgesamt elf Auslandeinsätzen (darunter sieben in Afghanistan) hat er praktische Kenntnisse über Katastrophenchirurgie und Einsatzchirurgie sammeln können. Titelbild: © istock.com/hanohiki