Dr. Johannes Jacubeit war Arzt im OP, bis er ins Start-up-Business wechselte und die App "LifeTime" auf den Markt brachte. Sein Ziel: Arzt-Patienten-Kommunikation ohne Papier.

Im Mai 2016 launchte Dr. Johannes Jacubeit (35) seine App "LifeTime". Mit ihr können Befunde und medizinische Dokumente unkompliziert digital zwischen Praxiscomputer und Patienten-Smartphone ausgetauscht werden. Die Übertragung erfolgt zwischen der ​LifeTime-App für Patienten und dem LifeTimeHub, der Hardware für den Praxistresen, oder per LifeTime-Desktop, der Software für den Praxiscomputer. Damit hat der Patient die eigenen Gesundheitsdaten wie Röntgenbilder und Arztbriefe immer dabei – auf seinem Handy. Er kann Befunde digital empfangen oder einscannen. Die Dateien sind verschlüsselt, nur er selbst hat Zugriff darauf. Alles in einer App. Ohne Berge von Papier, die Patient und Arzt horten. Das ist es, was Johannes Jacubeit erreichen will: Eine effiziente, komfortable und zeitgemäße Arzt-Patienten-Kommunikation, die ohne Papier auskommt. Bisher nutzen vorwiegend Hamburger Ärzte die App. Doch 2018 wollen Jacubeit und sein Team national expandieren. Wir haben mit dem Arzt und Gründer Dr. med. Johannes Jacubeit gesprochen. Health Relations:Was genau treibt einen Arzt dazu, die Branche zu wechseln und ein Start-up zu gründen?Johannes Jacubeit: Da muss ich wahrscheinlich vor meinem Arztdasein ansetzen. Ich habe Medizin studiert – sicherlich auch, weil ich aus einer Arztfamilie komme. Schon während des Studiums habe ich viel rechts und links gemacht, habe programmiert, mich mit anderen Dingen beschäftigt. Ich bin dann nach dem Studium ganz bewusst in eine kleine Klinik gegangen, in der ich operieren gelernt habe. Und ich wollte wissen, ob ich das mein Leben lang tun möchte. Ich hatte fast ein Jahr lang paradiesische Verhältnisse, weil ich quasi vom ersten Tag an im OP stand. Aber ich habe mich in jeder freien Minute nicht mit den neuesten OP-Techniken, sondern mit Marketing, Growth Hacking und Skalierung beschäftigt. Also all dem, was man nicht in der Medizin findet. Aber das, was mich dann wirklich getrieben hat, diesen Schritt zu gehen, war die absolut fehlende Digitalisierung in meiner alltäglichen Arbeit als Arzt. Alles, was man an Interaktion mit iPads oder Handys kennt, ist nicht vorhanden. Ich musste Medikamente in Büchern nachschlagen, auf Papier Laborwerte anschauen oder bei Kollegen anrufen und Befunde anfordern, die dann per Fax kamen. Das war, was die Effizienz meiner Arbeit anging, einfach eine Katastrophe. Health Relations: Das war der Katalysator?"Ärzte innovieren keine Technik, sondern Medizin. Dennoch haben sie eine sehr klare Vorstellung davon, wie Abläufe sein könnten. Sie werden bisher nur wenig gefragt und einbezogen." Johannes Jacubeit: Ja. Vor etwas über dreieinhalb Jahren habe ich mich hingesetzt und angefangen, dafür eine Lösung zu programmieren. Mit der ersten funktionierenden, rudimentärsten Hardware bin ich zu meinen medizinischen Kollegen gerannt, habe denen ein iPad in die Hand gedrückt, habe mein iPhone gezückt, auf dem Smartphone auf "Teilen" gedrückt – und auf dem iPad tauchten meine Gesundheitsdaten auf. Alle waren begeistert und äußerten den Wunsch, die Interaktion würde zwischen Arztcomputer und Patientenhandy laufen. Denn sie hatten natürlich alle statt eines iPads einen älteren Windows-Rechner in der Praxis stehen. Daraus entstand die Frage: Warum bauen wir eigentlich kein System, das so funktioniert wie "AirDrop" für Mediziner? Health Relations:Fühlen Sie sich hier in Ihrem Unternehmen heimischer als in einer Klinik?Johannes Jacubeit: Medizin fasziniert mich, und die Arbeit mit Patienten macht viel Spaß, aber die Strukturen und der Innovationsstau in der Medizin sind einfach katastrophal. Ärzte nehmen das zum großen Teil einfach hin. Denn in ihrem Fokus steht die Arbeit mit Patienten und deren Behandlung. Da das Fax schon lange ein fester Bestandteil im Arbeitsalltag war, wird dieser Kommunikationskanal als gegeben hingenommen. Aber ich möchte nicht in einer Welt leben, die unpraktisch ist und oftmals nicht funktioniert. Health Relations:Das heißt, der Wille zur digitalen Transformation kommt nicht von den Ärzten selbst, sondern muss von außen auf die Entwicklung einwirken?Johannes Jacubeit: Er muss auch von den Ärzten ausgehen. Bei der digitalen Transformation muss man sie einbinden und abholen, wo sie stehen. Denn Ärzte innovieren keine Technik, sondern Medizin. Dennoch haben sie eine sehr klare Vorstellung davon, wie Abläufe sein könnten. Sie werden bisher nur wenig gefragt und einbezogen. In der Regel wird ein System von oben vorgegeben, und das funktioniert meistens nicht. Das heißt: Die Transformation kommt aus der Ärzteschaft, man kann nur nicht erwarten, dass Ärzte dafür operativ Lösungen entwickeln. Health Relations:Das heißt, Ärzte finden keinen, der sie abholt? Ist das einer der Gründe, warum die Branche in Deutschland in Sachen Digitalisierung gnadenlos hinterher hinkt?Johannes Jacubeit: Wir haben vor rund 15 Jahren in Deutschland eine Infrastruktur erdacht, die damals "Wir schauen uns verschiedene Patientengruppen und deren Bedürfnisse an. (...) Wir stehen auch in Kontakt mit einem Verein für ältere Menschen ab 65 plus, die natürlich auch häufiger zum Arzt gehen. Und diese sind digital affiner, als man vermuten könnte." fortschrittlich war. Diese wurde bis jetzt nicht umgesetzt. Das heißt, die gesamte Branche hat gewartet, dass etwas passiert, und hat selber nichts umgesetzt, weil man ja laufende Prozesse nicht kolportieren wollte. Ich glaube, dass das Warten der deutschen Gesundheitsbranche auf eine irgendwann existierende Infrastruktur, die ganz viele Probleme hätte lösen sollen, dazu geführt hat, dass in dem Bereich kaum einer innoviert hat. Das andere ist, dass die Vergütungsstrukturen in Deutschland darauf ausgerichtet sind, dass es ausreichend ist, wenn Kliniken überhaupt Technologie nutzen können. Da reden wir nicht über Innovationen. Für die ist hier kaum Budget. Wenn man sich das im internationalen Vergleich anschaut, hängt Deutschland deutlich hinterher. Health Relations: Im Mai 2016 ging LifeTime an den Start. Mit lokalem Schwerpunkt, denn im Wesentlichen sind es Hamburger Ärzte, die die App bisher nutzen, oder?Johannes Jacubeit: Ja, das stimmt. Derzeit nutzen rund 300 Ärzte LifeTime. Der Hintergrund ist, dass die Wege für uns in Hamburg kurz sind, weil die Stadt in unser Unternehmen investiert hat und wir dadurch natürlich auch politische Unterstützung erhalten haben. Und es macht Sinn, wenn man am Anfang steht, die Aufwände gering zu halten. Hier können wir einfach direkt den Arzt besuchen, wenn etwas nicht funktioniert. Das ist in München mit mehr Aufwand verbunden. Ein weiterer Grund ist das Argument der kritischen Masse. Auch wenn noch nicht alle Ärzte in Hamburg unser System nutzen, hat der Patient das Gefühl, es werden mehr. Und für Ärzte ist es wichtig, dass die Kollegen mitmachen und dass man darüber spricht. Damit Word-of-Mouth funktioniert, muss man eine gewisse lokale Abdeckung erreichen. Jetzt sind wir an dem Punkt, an dem wir schauen, wie es in anderen Städten funktionieren kann. Health Relations: Patienten nutzen die App kostenfrei. Wie viel zahlt ein Arzt im Monat für die Nutzung von LifeTime?Johannes Jacubeit: Der Arzt zahlt 9,90 Euro monatlich für die LifeTime-Software und kann monatlich kündigen, um die Hürden gering zu halten. Health Relations: Haben Sie Zahlen, wie viele Patienten die App verwenden?Johannes Jacubeit: Nein, keine genauen. Denn wir haben die Besonderheit gegenüber anderen Systemen auf dem Markt, dass wir keine Daten halten. Befunde und Begleitmaterialien werden in der Arztpraxis verschlüsselt und von uns übermittelt. Der Nutzer hat keinen Account bei uns. Anhand der teilnehmenden Ärzte können wir hochrechnen, wie viele Nutzer es ungefähr sein müssten. Wir gehen derzeit davon aus, dass sich die Download-Zahlen im fünfstelligen Bereich bewegen. Health Relations: Der Wille zur Transformation muss sich aus der Ärzteschaft selber generieren. Wie sieht es mit dem Patienten aus? Sind diese innerhalb der Entwicklung nicht auch ein wichtiger Katalysator?Johannes Jacubeit: Unbedingt. Was wir jetzt implementiert haben, ist die Möglichkeit, Dokumente zu scannen. Das wird sehr gut vom Patienten angenommen. Im Sommer, auf unserer jährlichen Keynote, werden wir vermutlich ein oder mehrere Features präsentieren, die den Wert der App für Patienten noch weiter erhöhen werden, unabhängig von der Interaktion mit einem Arzt. Health Relations: Sie versuchen auch, spitze Patientenzielgruppen über Influencer zu erreichen, oder? Zum Beispiel testete die an MS erkrankte Bloggerin Samira Mousa ihre App.Johannes Jacubeit: Genau. Wir schauen uns verschiedene Patientengruppen und deren Bedürfnisse an. Und wenn wir denen den Arztbesuch erleichtern und ihnen die Berge von Papier mit unzähligen Befunden abnehmen können, ist das natürlich super. Wir stehen auch in Kontakt mit einem Verein für ältere Menschen ab 65 plus, die natürlich auch häufiger zum Arzt gehen. Und diese sind digital affiner, als man vermuten könnte. Health Relations: Ein interessanter Punkt, gerade wenn wir uns den demografischen Wandel der Gesellschaft anschauen. Die zukünftigen Nutzer werden zu großen Teilen älter sein."Was wir nicht machen, ist, Werbung einzuspielen, bei der durch die Positionierung von verschiedenen Pharmazeutika auf die Therapie eingewirkt wird. Auch werden wir keine Daten verkaufen mal abgesehen davon, dass uns keine genauen Zahlen vorliegen. Daran hat vor allem die Pharmaindustrie Interesse. Dafür gibt es aber andere Player auf dem Markt, deren Businessmodell gezielt auf dem Verkauf von Daten basiert. Das ist aus meiner Sicht nicht erstrebenswert, auch wenn man damit viel Geld verdienen kann." Johannes Jacubeit: Richtig. Wir erhalten Feedback von unterschiedlichen Nutzern. Der Eindruck ist, dass Menschen ab 65 bis 70 Jahren viel Zeit haben, sich mit dem Smartphone zu beschäftigen. Die haben ein großes Interesse, die App zu nutzen. Denn sie ist super einfach und vom Interface ähnlich wie WhatsApp gehalten. Die Generation darunter, die jetzt im Berufsleben steht, tut sich generell etwas schwerer damit. Die haben keine Zeit, sich damit zu beschäftigen, da sie noch voll im Berufsleben eingebunden sind. Über die junge Generation müssen wir nicht sprechen, für die sind Apps wie unsere und der Umgang mit ihnen selbstverständlich. Health Relations: Das deutsche Gesundheitssystem arbeitet langsam, die Start-up-Welt tickt doch um einiges schneller. Führt diese Gegensätzlichkeit nicht zu Problemen?Johannes Jacubeit: Das ist die große Herausforderung, ganz klar. Wir brauchen einen langen Atem. Und dafür braucht man Investoren, die das mitmachen. Sonst geht es nicht. Health Relations: Thema Investoren: Sie haben sich Ende 2017 einen größeren Geldgeber ins Boot geholt. Wie dem Handelsregister zu entnehmen ist, investiert die Beteiligungsgesellschaft des SAP-Gründers Hasso Plattner in LifeTime.Johannes Jacubeit: Ja, das ist richtig. Wie wir schon Anfang 2017 verkündet haben, gibt es eine Kooperation, aus der eine Anbindung der LifeTime-App an die nicht-kommerzielle, patientenzentrierte Gesundheitscloud des Hasso-Plattner-Instituts hervorgehen wird. Health Relations: Liquide Investoren gibt es also. Aber die Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie scheinen Sie zu meiden, oder? Über die connected-health.eu GmbH Info: "LifeTime" ist eine Marke der connected-health.eu GmbH. Die connected-health.eu GmbH wurde Ende 2014 von Dr. med Johannes Jacubeit in Hamburg gegründet. Ein interdisziplinär aufgestelltes Team arbeitet an Entwicklung und Vertrieb der Digital-Health-Lösung "LifeTime". Das Unternehmen und das Produkt wurden bereits mehrfach mit Innovations- und Entrepreneur-Preisen ausgezeichnet. Johannes Jacubeit: Es sind schon viele Branchenteilnehmer auf uns zugekommen. Wir haben aber bisher – bis auf die Zusammenarbeit mit unserem Investor – keine weiteren Kooperationen. Man muss in der Medizin ein wenig aufpassen, mit wem man sich einlässt. Was nicht heißt, dass ich den einen oder anderen Player nicht positiv wahrnehme und mir nicht vorstellen könnte, mit diesen zusammenzuarbeiten. Dennoch verfolgen wir einige Prinzipien: Was wir nicht machen, ist, Werbung einzuspielen, bei der durch die Positionierung von verschiedenen Pharmazeutika auf die Therapie eingewirkt wird. Auch werden wir keine Daten verkaufen mal abgesehen davon, dass uns keine genauen Zahlen vorliegen. Daran hat vor allem die Pharmaindustrie Interesse. Dafür gibt es aber andere Player auf dem Markt, deren Businessmodell gezielt auf dem Verkauf von Daten basiert. Das ist aus meiner Sicht nicht erstrebenswert, auch wenn man damit viel Geld verdienen kann. Es konterkariert aus meiner Sicht die Fundamente der Arzt-Patienten-Beziehung. Deshalb ist es uns wichtig, unabhängig zu bleiben. Health Relations: Aber Sie sind abhängig von Investoren. Wie wird sich LifeTime in Zukunft finanzieren?Johannes Jacubeit: Die 9,90 Euro-Monatsbeiträge der Ärzte werden nicht ausreichen, um uns selbst finanzieren zu können. Dafür ist die Audience zu klein. Das schaffen wir erst, wenn eine größtmögliche Abdeckung erreicht ist und wir zusätzliche Features implementieren, die wir monetarisieren können. Bis dahin sind wir auf Kapitalgeber angewiesen.Health Relations: Über welche Summe sprechen wir da bisher?Johannes Jacubeit: Insgesamt seit dem Launch über einen mittleren siebenstelligen Betrag. Health Relations: Was sind Ihre Pläne für 2018?
LifeTime

Dr. Johannes Jacubeit, Gründer und CEO von connected‑health.eu GmbH in Hamburg.

Johannes Jacubeit: Mehr patientenorientierte Features, die den Wert der App für diese steigern. Wir werden zudem auf unserer jährlichen Keynote ein weiteres Feature präsentieren, das die Ärzteschaft ganz massiv von uns gefordert hat. Und wir werden weiterhin viel Aufklärungsarbeit leisten müssen, um Unsicherheiten und Ängste zu entschärfen und um darzulegen, dass digital nicht automatisch unsicher heißen muss.Health Relations: Letzte Frage: Haben Sie jemals bereut, dieses Unterfangen gestartet zu haben?Johannes Jacubeit: Keine Sekunde. Wir haben hier ein tolles Team. Ich habe große Investoren gewinnen können. Und wir sind schon weit gekommen. Das ist doch großartig!
Beitragsbild: © LifeTime