Die Digitalisierung schreitet voran, aber zaghaft. Das belegen Erhebungen wie der eHealth Monitor 2020. Die Pharmabranche kann in diesem Kontext als Gestalter und Leader fungieren. Verschenkt sie hier wertvolles Potenzial?
Das Jahr 2020 stand ganz im Zeichen von COVID-19. Für die Digitalisierung war das Virus ein "Turbo Booster" in nahezu allen Bereichen unseres Lebens. Davon profitiert auch die Healthcare-Branche. Pünktlich zur Einführung von
DiGA und
ePA wurden Berührungsängste von Ärzten mit digitalen Tools abgebaut. Ein Indiz:
Der Boom der Telemedizin. Das klingt alles wunderbar, aber dennoch lohnt es sich,
die rosarote Brille abzusetzen und hinter die Fassade, auf die
nackten Zahlen und Daten zu schauen.
93 % der niedergelassenen Ärzte kommunizieren mit Krankenhäusern bislang vollständig oder überwiegend in Papierform.
Einige davon liefert der
eHealth Monitor von McKinsey. Er misst anhand von 30 Indikatoren – Krankenhäuser, Arztpraxen und Telemedizinanbieter, Apotheken, Krankenversicherungen sowie Patienten und Versicherte – jährlich die Fortschritte bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland. Der eHealth Monitor 2020 beruht im Wesentlichen auf den Daten 2019, die Auswirkungen der Pandemie sind hier nur im Ansatz erkennbar. Dennoch bestätigt er ein Fortschreiten der Digitalisierung. Ein Trend, der sich 2020 verstärkt haben dürfte.
Patienten sind offen für digitale Gesundheitsangebote
Darauf deuten erste Erhebungen wie beispielsweise eine repräsentative
Bitkom-Umfrage, durchgeführt im Mai 2020, hin. Patienten zeigen, so das Ergebnis der Umfrage, eine große Offenheit gegenüber digitalen Gesundheitsangeboten: So hat aktuell bereits jeder Dritte (32 Prozent) schon
einmal online einen Arzttermin vereinbart – vor einem Jahr waren es noch 26 Prozent. Ein weiteres Drittel (34 Prozent) kann sich vorstellen, Arzttermine künftig per Internet zu vereinbaren. Darüber hinaus haben 6 von 10 Patienten (62 Prozent) Interesse daran, Krankschreibungen künftig digital vorzunehmen – also per E-Mail, Messenger oder App. Fast jeder Zweite (45 Prozent) würde auf diesem Weg auch gern mit Ärzten und Krankenhäusern kommunizieren. Digitale Tools sind gerade
in der Kommunikation zusehends beliebter. Doch gilt das auch für Ärzte?
Ein Beispiel aus dem eHealth-Monitor: 93 % der niedergelassenen Ärzte kommunizieren mit Krankenhäusern bislang vollständig oder überwiegend in Papierform. Weniger als die Hälfte aller Gesundheitseinrichtungen (44 %) nutzt Formen der ePA zum Austausch medizinischer Daten. Der vergleichende
Blick ins europäische Ausland ist ernüchternd:
In Österreich und Italien setzen mehr als
80 % auf ePA-Varianten, in den Niederlanden 75 %. Das klingt nicht nach einem Siegeszug der Digitalisierung in Healthcare. Dabei sind auch in Deutschland praktizierende Ärzte keine Digitalmuffel.
Ärzte wünschen sich mehr digitale Angebote
Die ambulanten Ärzte wünschen sich durchaus mehr digitale Angebote, das Potenzial von eHealth wird erkannt. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Skeptiker in der Ärzteschaft.
Dennoch: So klar sich die positive Tendenz in Sachen Akzeptanz von eHealth in der Ärzteschaft abzeichnet, so deutlich ist auch deren Zaghaftigkeit erkennbar. Nur 14 % der Befragten erwarten eine Verbesserung der Arzt-Patienten-Beziehung, 43 % sogar eine Verschlechterung. Die Folge: Der Arzt als elementarer Treiber der Digitalisierung nimmt diese Funktion nur verhalten ein. Dabei gehört er laut
BMC Innovationspanel 2020 zu den großen eHealth- Profiteuren.
Wer ist Treiber, wer Nutznießer von eHealth?
Ärzte und Ärztinnen rangieren laut BMC Innovationspanel 2020 auf Platz 2 der größten Nutznießer von eHealth, treiben die Digitalisierung aber kaum voran.
Doch auch die pharmazeutische Industrie und die Medizintechnik nimmt als Treiber lediglich Platz 4 auf der Liste der Digitalisierungs-Förderer ein – hinter IT- und Dienstleistungs- sowie branchenfremden Unternehmen. Das ist schade. Denn auch wenn die Pharma- und MedTech-Branche bisher nicht zu den größten Profiteuren von eHealth zählen, ergibt sich genau an dieser Stelle die Chance, die Ärzte bei der Integration und Adaption digitaler Gesundheitsanwendungen und Dienstleistungen zu unterstützen.
Pharma muss Leadership-Funktion erkennen und annehmen
Aber wie kann die pharmazeutische Industrie Ärzte und Ärztinnen aktiv unterstützen?
Mit Belegen, Forschung, Kommunikation. Hier ist Luft nach oben. Laut eHealth Monitor 2020 befassen sich
55 % der eHealth-Publikationen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, der Einsatz von digitalen Lösungen für andere Volkskrankheiten wie Diabetes ist deutlich weniger erforscht (10%). Doch gerade in Zeiten von COVID-19 hat sich gezeigt, wie groß das Potenzial von Digitalen Gesundheitsanwendungen bei Indikationen wie beispielsweise Diabetes oder Depression sein kann. Zahlen und Fakten sprechen eine deutliche Sprache – und helfen dem Arzt, die Wirkung von eHealth objektiv beurteilen und die Vorteile für sich herausarbeiten zu können. Dabei geht es nicht nur um Faktoren wie dem
verbesserten Gesundheitsstatus des Patienten. Auch weitere
Argumente wie Zeitersparnis und Kosteneffizienz sind für Mediziner wichtig.
Dem
Außendienst kommt in diesem Kontext eine gewichtige Rolle zu. Denn er hat den direkten Draht zum Arzt, kennt dessen Bedürfnisse und Zweifel. Diese Beziehung ist unbezahlbar; das daraus resultierende Know-how fließt in Innovationen, Forschung und Entwicklung ein, hat darüber hinaus aber zusätzlich einen viel größeren Nutzen.
Mit dem
Wissen um die Bedürfnisse und Ansprüche der Ärzteschaft und denen der Patienten kann die Pharmabranche auch im politischen Rahmen aktiv sein und als Gestalter für ein zukunftsfähiges, innovatives, digitalisiertes Gesundheitssystem auftreten. Sie kann damit eine Leadership-Rolle übernehmen, die auf ihre Reputation und die eigene Brand abstrahlt. Die hier zitierten Daten zeigen, dass branchenfremde Tech-Unternehmen derzeit die größten Treiber der Digitalisierung auch in Healthcare sind. Der Run um die Leadership-Rolle ist längst eröffnet. Die Pharmabranche hat die besten Bedingungen, ganz vorne mitzulaufen.