Studie: Ärzten fehlt es an digitaler Gesundheitskompetenz
Ärztinnen und Ärzte in Deutschland haben Nachholbedarf in Sachen digitale Gesundheitskompetenz. Das ist eines der Ergebnisse der Studie „Professionelle Gesundheitskompetenz ausgewählter Gesundheitsprofessionen in Deutschland“ (2023) der Hertie School und Universität Bielefeld in Kooperation mit der Stiftung Gesundheitswissen.
Diskutiert die Healthcare- und Pharmabranche über Gesundheitskompetenz (Health Literacy), stehen dabei in der Regel Patient:innen im Mittelpunkt der Überlegungen. Wie lässt sich ihr Gesundheitswissen verbessern? Wie können Sie ihre Gesundheit (oder Gesundung) selbst aktiv unterstützen? etc. Die kürzlich erschienene Studie aber rückt einen anderen Aspekt in den Fokus: die Fähigkeiten von Ärzt:innen und Pflegepersonal, die Gesundheitskompetenz von Patient:innen zu fördern.
Insgesamt 300 Allgemeinmediziner:innen, hausärztlich tätige Internist:innen und 600 Fachpflegepersonen aus der Bundesrepublik wurden in einer Onlinebefragung zu vier verschiedenen Feldern von Health Literacy befragt. Die Studie zeigt, dass sie ihre Fähigkeiten in Sachen Gesundheitskompetenz als recht positiv einschätzen und die damit verbundenen Aufgaben als gut zu bewältigen. Dennoch offenbaren sich in allen vier Befragungsfeldern auch Herausforderungen. Für Healthcare- und Pharmarmarketing eröffnen sich spannende Einblicke, an welchen Stellen sie Ärzt:innen noch intensiver Unterstützung anbieten könnten.
Digitale Gesundheitsinfos bereiten Ärzt:innen Schwierigkeiten
Die größten Schwierigkeiten bereitet Ärzt:innen demnach der Bereich professionelle digitale Gesundheitskompetenz: Im Punktesystem der Studie erreichen sie hier nur 53,1 von 100 möglichen Punkten. Besonders herausfordernd finden Ärzt:innen es, ihre Patient:innen in der Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit gefundener digitaler Gesundheitsinformationen zu unterstützen. Ein Drittel der Befragten hat außerdem Probleme, ihnen beim Finden relevanter Gesundheitsinformationen Hilfe zu leisten.
Am zweitschwierigsten empfinden die Befragten den Bereich Informations- und Wissensvermittlung. Die Ärzt:innen erreichen hier 60,6 von 100 möglichen Punkten. Fast 45 Prozent geben an, dass ihnen der Umgang mit fehl- oder falschinformierten Patient:innen schwerfällt. Auch die Einschätzung kultureller Unterschiede und inwieweit diese das Verständnis erschweren, stellt viele Ärzt:innen vor Herausforderungen. Und nicht zuletzt tut sich mehr als ein Viertel der Befragten schwer, das Vorwissen der Patient:innen richtig einzuschätzen.
Ergebnisse einordnen, Fachinformationen beurteilen
Im Bereich Informations- und Wissensmanagement kommen die befragten Ärzt:innen auf 65,8 von 100 möglichen Punkten. Die größte Herausforderung in diesem Feld: Knapp ein Viertel der Ärzt:innen geben an, dass es für sie eher oder sehr schwierig sei, statistische Ergebnisse korrekt einzuordnen. Auch mit der Frage, wie vertrauenswürdig Fachinformationen sind oder wie es um ihre wissenschaftliche Evidenz steht, tut sich ein Teil der Befragten schwer.
Am einfachsten erscheint den Befragten der Bereich patientenzentrierte Kommunikation, hier erreichen die Ärzt:innen 72,7 von 100 möglichen Punkten. Gut elf Prozent berichten, dass es ihnen schwerfällt, gemeinsam mit Patient:innen Ziele festzulegen und über das weitere Vorgehen zu entscheiden. Auch Patient:innen genug Raum zu geben, um Fragen zu stellen, bereitet einem Teil der Befragten Probleme. Dagegen geben fast 90 Prozent der Ärzt:innen an, dass es einfach für sie ist, eine respekt- und vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre zu schaffen.
An dieser Stelle scheinen sich die Ergebnisse allerdings nicht mit denen bevölkerungsbasierter Studien zu decken: „Aus Befragungen wissen wir, dass Patientinnen und Patienten sich oft nicht ausreichend abgeholt, mitgenommen und in die Ziel- und Entscheidungsfindung einbezogen fühlen. Auch werden Ausführungen und Erklärungen nicht immer verstanden“, erklärt Professorin Dr. Doris Schaeffer von der Universität Bielefeld in einer Pressemitteilung zur Studie. Schaeffer hat die Durchführung der Studie gemeinsam mit Professor Dr. Mujaheed Shaikh von der Hertie School in Berlin geleitet.
Was heißt das für Pharma?
Pharmaunternehmen können die digitalen Fähigkeiten von Ärztinnen und Ärzten gezielt unterstützen, indem sie ihnen praktische Werkzeuge an die Hand geben, wie sie mit den Herausforderungen rund ums Thema Gesundheitskompetenz besser umgehen.- Beurteilung vertrauenswürdiger digitaler Informationen: Pharma hat nicht selten ein Vertrauensproblem: Ärzt:innen sind sich der Tatsache bewusst, dass Pharmaunternehmen gewinnorientierte Organisationen sind. Sie haben Sorge, dass die bereitgestellten Informationen mehr dem Produktmarketing dienen könnten als dem objektiven Wissenstransfer. Hier ist eine große Transparenz in Bezug auf die bereitgestellten Daten notwendig.
- Gesprächsleitfäden für die Patientenkommunikation: Da Ärzt:innen Schwierigkeiten im Umgang mit fehl- oder falsch informierten Patient:innen haben, könnten Pharmaunternehmen praxisnahe Leitfäden erstellen, die Strategien für den effektiven Dialog mit Patient:innen aufzeigen.
- Interpretation von Studiendaten: Es zeigt sich, dass die korrekte Einordnung statistischer Ergebnisse und die Beurteilung von Fachinformationen eine Herausforderung darstellt. Pharmaunternehmen könnten Hilfestellungen bei der Interpretation eigener wissenschaftlicher Daten geben. Sinnvoll können hier Visualisierungen und Einordnungen durch einen Experten sein, die Studienergebnisse interpretieren und vergleichen.
Fazit
Die Studie zeigt einige Optimierungsfelder auf, was die professionelle Gesundheitskompetenz von deutschen Ärzt:innen und Pflegefachpersonen angeht. Als Folge fordert das Autorenteam mehr Informations- und Aufklärungsarbeit sowie mehr Sensibilisierung für das Thema Gesundheitskompetenz. Es gelte zum Beispiel, das Digital-Knowhow der Gesundheitsprofessionen zu stärken. Ausbildungen und Studiengänge genauso wie Fort- und Weiterbildungen sollten den Autor:innen zufolge kritisch auf die Frage hin überprüft werden, ob sie genug vorbereiten auf neue und an gesellschaftlicher Bedeutung gewinnende Aufgaben. Und last not least gelte es, die Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem verbessern als wichtige Basis, um eine bessere Aufgabenbewältigung möglich zu machen.