Telemedizin in der Altenpflege
Rund eine halbe Million Pflegekräfte werden nach derzeitigem Kenntnisstand im Jahr 2030 fehlen, sagte Prof. Dr. Remmers zu Beginn seines Vortrages. Welche telemedizinischen Lösungen können dem Pflegenotstand entgegenwirken?
Jeden Mittwoch findet in diesem Wintersemester die ceres Ringvorlesung an der Uni Köln statt, in der digitale Entwicklungen der Medizin thematisiert werden. Am 6. Dezember referierten Prof. Dr. phil. Hartmut Remmers von der Universität Osnabrück und Prof. Dr. Peter Haas, der an der Fachhochschule Dortmund tätig ist, über den Nutzen von Telemedizin in der Altenpflege. Remmers sprach über das Projekt Dorfgemeinschaft 2.0, das die Uni Osnabrück in Zusammenarbeit mit verschiedenen Projektpartnern realisiert. Ziel ist die Schaffung eines digitalen Versorgungssystems in der ländlichen Region „Grafschaft Bentheim/Südliches Emsland“ im Südwesten Niedersachsens. Das Projekt richtet sich sowohl an Senioren als auch an Pflegekräfte bzw. Angehörige. Digitale Angebote wie ein Virtueller Dorfmarktplatz und E-Mobilität soll den älteren Menschen lokale Lebensmittel und einen individuellen Transport zugänglich machen. Smart-Home-Technologien und eine rollende Praxis vermindern den Versorgungsaufwand für Ärzte und das Pflegepersonal. https://youtu.be/Pw_mK9sXBiYFallbeispiel Frau Fischer
Prof. Remmers verdeutlichte den Nutzen von Telemedizin innerhalb des Projekts mit Hilfe eines fiktiven Fallberichts. Die alleinstehende Gerda Fischer ist motorisch eingeschränkt, möchte aber in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben. Deshalb ist sie damit einverstanden, dass verschiedene digitale Helfer in ihrem Haus installiert werden, wie beispielsweise Sensoren im Badezimmer, die den Wasserfluss im Raum tracken. Als sie im Badezimmer ausrutscht, stellen die Sensoren fest, dass der Wasserhahn seit über zehn Minuten durchgehend läuft. Sensoren, die an Frau Fischer befestigt sind, geben außerdem die Information weiter, dass sie sich in dem selben Zeitraum nicht mehr im Bad bewegt hat. Automatisch wird dann eine Nachricht an den Sohn gesendet, der Hilfe verständigen kann.Theorie vs. Praxis
"Es ist nicht leicht, ältere Menschen davon zu überzeugen, sich an dem Projekt zu beteiligen."Das Projekt Dorfgemeinschaft 2.0 läuft seit zwei Jahren und hat ein Volumen von knapp 6 Millionen Euro (85 Prozent Förderanteil durch das BMBF). In der Ausführung scheint es noch in den Kinderschuhen zu stecken. "Es ist nicht leicht, ältere Menschen davon zu überzeugen, sich an dem Projekt zu beteiligen", sagte Prof. Remmers. Geplant sei die Einrichtung von Smart-Home-Lösungen exemplarisch in einigen Haushalten. "Wir schauen, was mit welchen Personen unter welchen Bedingungen möglich ist." Am 31.10.2020 läuft die Bezuschussung des Projekts aus. Man darf gespannt sein, welche der Projektbausteine bis dahin in der Praxis getestet wurden.Nach ihren Vorträgen beantworteten Prof. Dr. phil. Hartmut Remmers (links) und Prof. Dr. Peter Haas die Fragen der Zuhörer.Was ist ethisch vertretbar?
Prof. Haas sprach in seinem Vortrag Telematik in Medizin und Pflege unter anderem über ethische Verantwortung. "Ihr verwaltet Schicksale und nicht Schrauben", sage er immer zu seinen Studierenden, um auf die Verantwortung hinzuweisen, die Entwickler digitaler Medizintechnik tragen. Elektronische Rechenmaschinen seien längst keine simplen Denkmaschinen mehr, sondern auch Erledigungsmaschinen (Stichwort: Homeshopping), Produktionsmaschinen ("Zahnprothesen können bereits passgenau gedruckt werden"), Sozialmaschinen dank der sozialen Netzwerke und Traummaschinen, beispielsweise mittels VR-Technologie.Telemedizin 0,75
„In Deutschland sind wir noch bei 0,75“Was die digitalen Innovationsfelder der Medizin angeht, würden manche bereits von 4.0 sprechen. "In Deutschland sind wir noch bei 0,75", sagte Haas. Ein Grund für die rückständige Entwicklung der Telemedizin sei in der Gremienarbeit zu finden. "Wir haben in Deutschland das Problem, dass zu wenig Finanzierung zu bekommen ist." Wenn es zu einer Entwicklung komme, müsse man sich immer die Frage stellen, warum gerade diese Innovation notwendig sei. "Ziel des Technologieeinsatzes ist es, einen Wertebeitrag zu leisten." Eine größere Versorgungsgerechtigkeit in strukturschwachen Regionen zu schaffen oder die Rechtzeitigkeit von medizinischer Intervention zu verbessern – darüber könne man sich Gedanken machen. "Es gibt hunderttausende Apps, aber in der Regelversorgung finden sich fast keine Anwendungen. Ausdenken können wir uns viel. Aber wichtig ist Nutzen und Nutzbarkeit!", sagte Prof. Haas. Begeisterten Applaus gab es an diesem Abend des. 6. Dezember für ein Nikolausgedicht, das sich Prof. Haas, passend zum Thema der Ringvorlesung, ausgedacht hatte. "Ich hoffe, dass Sie ein bisschen Licht in die Entwicklung bringen und auf dem Nachhauseweg das hohe Lied des E-Health singen“, appellierte er an die Zuhörer.Für den Heimweg: Nikolausgedicht à la Telemedizin von Prof. Haas
„Aus der weiten Welt komm' ich hierher und ich muss euch sagen, es e-healtht sehr, in vielen Büros, in vielen Ritzen, sah ich findige EDVler sitzen, die für Kassen, Leistungserbringer und Patienten sich Hardware und Software ausdenken. Nicht alle davon sind von nützlichen Arten, auf nützliche Dinge müssen wir in Deutschland noch warten. Ich hoffe, dass Sie ein bisschen Licht in die Entwicklung bringen und auf dem Nachhauseweg das hohe Lied des E-Health singen.“