Der neue Chefarzt eckt an, ihm laufen die Ärzte weg. Heute überlassen Kliniken die Führungskräfteentwicklung nicht mehr dem Zufall. Coaching kann dabei helfen, hochkompetente Führungskräfte für ihre Aufgaben mit Personalverantwortung besser zu qualifizieren.
Der Chefarzt ist häufig der letzte Entscheider. An seiner Persönlichkeit hängen viele Prozessketten, die die Produktivität eines Krankenhauses vorantreiben. Hinzu kommt seine Vorbildfunktion. Ärzte möchten ihre Chefs respektieren, von ihnen lernen und wertgeschätzt werden. Das alles können Krankenhäuser nicht dem Zufall überlassen. Coaching zählt daher bereits seit einigen Jahren in vielen Einrichtungen zum Standard. Neben Pflege- und Verwaltungsdirektoren oder Geschäftsführern sind es vor allem die Chef- und Oberärzte, die in ihrer Führungsqualität gestärkt werden sollen. An welchen Stellen kann
Coaching in Krankenhäusern konkret helfen und worauf sollten Personalverantwortliche achten?
Für welche Ärzte sich Coaching eignet
Matthias Barkhausen ist Ärzte-Coach und Diplom-Psychologe, © Ansgar van Treeck
Welche Chef- und Oberärzte nehmen ein Coaching eigentlich in Anspruch? „Im Grunde sind es zwei Extreme“, sagt Ärzte-Coach und Diplom-Psychologe Matthias Barkhausen. „Einmal hochkompetente Mediziner, menschlich integer, mit vielen Ressourcen und Fähigkeiten. Sie möchten vor allem ihre
Führungswirkung reflektieren. Also Klarheit darüber gewinnen, was sie erreichen wollen und wie sie das bestmöglich tun.“
Ein Coach übernimmt hier die Rolle eines Sparringspartners, bei dem Ärzte ihre
Entscheidungen reflektieren können. Denn oft hilft es schon, wenn Dinge offen ausgesprochen werden. Gerade in Führungspositionen bekommen Menschen in erster Linie politische Antworten von Kollegen oder Mitarbeitern. Die nötige Offenheit geht auf der Chefetage meist verloren.
Die zweite Gruppe, die Unterstützung in einem Coaching sucht, sind Mediziner, die in einer neuen Rolle persönliche Mängel feststellen. Der Coach hilft in diesem Fall, menschliche Qualitäten auszubauen. Die geringste Nachfrage bestehe im Mittelfeld. Dabei könne Coaching gerade hier mit
Verhaltenstechniken und Persönlichkeitsentwicklung so viel bewirken.
Chefärzte für Krisenzeiten stark machen
Gerade in den letzten Monaten mussten Chefärzte viele Fertigkeiten an den Tag legen. COVID-19 zwang sie dazu, die Krankenhausorganisation neu aufzustellen, Prozesse und Strukturen zu überarbeiten. Dazu brauchte es ein gutes
Krisenmanagement. Das sei den meisten Krankenhäusern, nach Eindruck von Matthias Barkhausen, gut gelungen. Darüber hinaus sind die
Leadership-Qualitäten auf der höheren Hiearchieebene entscheidend. „Es kommt auf das an, was man in der Psychologie als Containment bezeichnet“, sagt der Coach. Gemeint ist, dass Führungskräfte wie eine Art „Behälter“ fungieren, in den Ärzte ihre Sorgen und Nöte abladen können. Die Chefs müssen dabei aktiv zuhören und es aushalten, keine konkrete Antwort auf Fragen zu haben. Das braucht große Charakterstärke und kann selbst erfahrene Chefärzte überfordern.
Durch Coaching Change-Prozesse vermitteln
Ein weiterer Bereich, in dem viele Krankenhäuser Unterstützung durch ein Coaching suchen, sind
Veränderungsprozesse. In der heutigen Zeit sind diese im medizinischen Sektor eher die Regel als die Ausnahme. Werden beispielsweise zwei Standorte zusammengelegt, müssen die Veränderungen auch dem Krankenhauspersonal schmecken. Zuweilen stoßen Chefärzte auf hartnäckigen Widerstand. Die Kommunikation ist dann entscheidend.
Ein Coaching hilft, den eigentlichen Problemen auf den Grund zu gehen und den richtigen „Anpack“ zu finden. Sprich: Geht es um sachliche Beweggründe oder um persönliche Ängste? Beides braucht unterschiedliche Herangehensweisen, die der Coach gemeinsam mit dem Coachee entwickelt. Beispielsweise kann für eine solche Analyse die Teamsituation mittels Spielfiguren aufgestellt werden. "Häufig ist allein diese Aufstellung schon sehr aussagekräftig", sagt Matthias Barkhausen. „Wenn ich mitunter eine wichtige Person vergessen habe oder man sieht, dass formale Hierarchien im Alltag nicht eingehalten werden."
Konflikte unter Ärzten lösen
Wenn ein Chefarzt eine neue Stelle antritt, kann es schon mal knirschen. Unausgesprochene Spielregeln können dazu führen, dass die neue Führungskraft mit Kollegen aneckt. Ein Coaching unterstützt in diesem Fall, den
Konflikt zu lösen. Manchmal kann dabei schon ein
moderiertes Gespräch mit einem Coach die richtigen Impulse bieten. Meistens geht es aber um mehr, weiß Matthias Barkhausen. „Nämlich nicht um die zwei Zehntel des Eisberges über der Wasseroberfläche, die sichtbar sind. Sondern um die acht Zehntel, die darunter liegen." Dieser Teil hat viel zu tun mit der persönlichen Geschichte und Ausstattung eines Menschen. Bin ich beispielsweise ein ruhiger, harmoniebedürftiger Typ, wird es eine besondere Herausforderung für mich sein, meine Position klar zu vertreten.
Mit Coaching im Krankenhaus Führungswirkung reflektieren
Als Chef muss ich andere dazu bringen, etwas zu tun oder zu lassen, obwohl sie vielleicht ganz anders handeln wollten. Auch dabei kann ein Coaching helfen und Chef- und Oberärzten ihr
Verständnis von Führung erst einmal bewusst machen. Im Grunde komme es auf zwei Aspekte an, meint der Ärzte-Coach: „Das eine ist Vorbild, das andere ist Kommunikation. Heißt: Die Mittelbarkeit ist entscheidend, wenn man Chef ist.“ Dazu zählen Dinge wie Konfliktgespräche gekonnt durchzuführen und Wertschätzung auszudrücken. Oder auch die Delegation so hinzubekommen, dass ich mir Freiräume schaffe, aber gleichzeitig meine Mitarbeiter so fordere, dass sie Spaß an ihren Aufgaben haben.
Die Zukunft ist ein Mix aus Video-Training und Einzelcoaching
In COVID-19-Zeiten ist Präsenzcoaching, gerade in Kliniken, kaum möglich. Aber wie in so vielen anderen Branchen erlebt auch im Coaching die Digitalisierung derzeit großen Aufwind. Die Führungskräfteentwicklung wird via Video-Call oder telefonisch angeboten. Manchmal ist dadurch sogar schnellere Unterstützung möglich. Auch Matthias Barkhausen hat in den vergangenen Wochen viele Krankenhaus-Coachings via Zoom, Skype oder telefonisch geführt. Einige Coachees hat er noch nie persönlich kennengelernt.
Virtuelles Coaching funktioniert in den meisten Fällen genauso gut, sagt er. Die Zukunft sieht er in einer Kombination aus beidem. Gezielte Video-Trainings, die konkrete Inhalte vermitteln und anschließendem Einzelcoaching, in dem die spezielle Situation eines Arztes und seine Persönlichkeitsentwicklung besser behandelt werden kann.
Akzeptanz des Coaches ist die Basis
Wenn sich ein Krankenhaus für ein Coaching entscheidet, geht es erst einmal darum, den passenden Coach zu finden. Einfach im Netz recherchieren, das gestaltet sich für Personalverantwortliche oft schwierig. Der Coaching-Markt ist unübersichtlich, die Berufsbezeichnung nicht geschützt. Erschwerend hinzu kommt, dass die Akzeptanz gegenüber dem Coach da sein muss, damit die Maßnahme Erfolg hat. Ein Coach mit Feldkompetenz, der weiß, wie ein Krankenhaus funktioniert, erleichtert da gemeinhin den Zugang. Dabei muss den Ärzten aber vor allem eins klar sein: Der Coach löst nicht ihr Problem. Sondern er arbeitet gemeinsam mit den Coachees an Techniken und an der eigenen Persönlichkeit. Leistet also sozusagen Hilfe zur Selbsthilfe.