Wie kann Pharma Ärzten die Angst vor der Digitalisierung nehmen?
Studie des Digitalverbands Bitkom von Februar dieses Jahres. Während sich Frauen und Jüngere mehr Tempo in puncto Digitalisierung wünschen, ist der digitale Graben zwischen Kliniken und Praxen noch groß – und könnte mit der Rückkehr zur persönlichen Begegnung noch weiter auseinanderklaffen. Health Relations sprach mit Ariane Schenk, Bereichsleiterin Health & Pharma bei dem Digitalverband über Lösungen für Pharmaunternehmen.
Health Relations: Rund 40 Prozent der Praxisärzte und -ärztinnen stehen der Digitalisierung skeptisch gegenüber. In Kliniken sehen hingegen 86 Prozent darin große Chancen für das Gesundheitswesen. Wie erklären Sie sich die größere Skepsis der Niederlassung?Ariane Schenk: Ärzte in Krankenhäusern wünschen sich mehr Tempo beim Ausbau digitaler Angebote und sie bemängeln, dass andere Länder deutlich weiter sind als Deutschland. Bei den Praxisärzten ist der Anteil derer, die das ebenso sehen, deutlich geringer. Das liegt zum einen daran, dass Niedergelassene selbst für die Anschaffung der digitalen Lösungen, ihre Integration in den Behandlungsalltag und auch die IT-Sicherheit verantwortlich sind – für Klinikärzte gilt das in der Regel nicht. Zudem sind unter den Klinikärzten auch viele junge Assistenzärzte. Jüngere sind der Digitalisierung gegenüber prinzipiell aufgeschlossener.
Sehen Ärztinnen und Ärzte die Digitalisierung eher als Risiko oder als Chance?Health Relations: Was heißt das für Pharmaunternehmen? Brauchen sie unterschiedliche Inhalte, Kanäle?Ariane Schenk: Die Ansprache sollte dies natürlich berücksichtigen. Niedergelassene Ärzte benötigen vor allem Informationen zu Kosten, Implementierungsaufwand und regulatorischen Vorgaben. Auch die präferierte Art der Kommunikation muss berücksichtigt werden (Health Relations berichtete). Nicht jeder Arzt und jede Ärztin nutzen E-Mails oder andere Dienste als Hauptkommunikationsmittel.
Health Relations: Wie kann – gerade bei Skeptikern – mehr Begeisterung für digitale Kontaktmöglichkeiten geschaffen werden?Ariane Schenk: Ärzte und Ärztinnen nutzen in der Kommunikation untereinander und mit ihren Patienten andere Anwendungen als die „herkömmlichen“. Ärzte müssten sich also zusätzliche Tools installieren, die sie ansonsten nicht nutzen. Das ist sicherlich eine Hürde. Aktuell ist geplant, Messenger-Dienste (TIM) in den Ärztealltag einzuführen. Virtuelle Plattformen für den Austausch anzubieten, kann helfen die Akzeptanz zu erhöhen – natürlich unter Berücksichtigung von Datenschutz und Datensicherheit.
Wie halten Ärzte und Ärztinnen überwiegend Kontakt zu …?Health Relations: Was können Pharmaunternehmen konkret tun, um die Digitalisierung voranzutreiben?Ariane Schenk: Die konkreten Maßnahmen, die Pharmaunternehmen anbieten können, sind groß. Mithilfe digitaler Anwendungen können sie Versorgungslücken schließen und die Therapie oder Diagnose unterstützen. Durch digitale Service-Angebote und Portale sorgen sie darüber hinaus für Transparenz, Aufklärung und Information. Gegenüber Ärzten und Ärztinnen als auch Patienten und Patientinnen. Im Idealfall bieten sie Informationen zielgruppengerecht und on demand an. Je mehr Ärzte und Ärztinnen diese Vorteile in ihrem Praxisalltag erfahren, desto offener werden sie der Digitalisierung gegenüberstehen.
Health Relations: Die Therapie und Diagnose unterstützen – wie können Pharmaunternehmen das bestmöglich leisten?Ariane Schenk: Diesbezüglich sehe ich eine besondere Rolle im Bereich der datengetriebenen Medizin. Hier können Pharmaunternehmen die ärztliche Behandlung und Beratung unterstützen und sollten eng in die Therapie eingebunden werden. Auch in Bezug auf Real-World-Evidenz-Studien können Pharmaunternehmen den Ärzten Hilfestellung zur Datenerfassung und -strukturierung geben. Voraussetzung ist, dass Digitalisierung auch genutzt wird, um alle an der Behandlung Beteiligten miteinander zu vernetzen. Dazu gehört auch die direkte Kommunikation zwischen Pharmaunternehmen und Behandelnden.
Health Relations: Zur datengetriebenen Medizin gehören auch digitale Gesundheitsanwendungen. Hier besteht – laut Studie – allerdings noch großer Informationsbedarf. Jeder zehnte Arzt bzw. Ärztin weiß nicht, was eine App auf Rezept ist. Wie lässt sich die Awareness für DiGA steigern?Ariane Schenk: Diese Behandlungsmethode ist erst seit wenigen Monaten auf dem Markt. Daher herrscht hier noch großer Informationsbedarf. Pharma- und Medizintechnikunternehmen können hier eine wesentliche Rolle übernehmen. Durch ihre Vertriebsnetze verfügen sie zum einen über den Zugang zu Ärzten. Zum anderen haben sie Erfahrungen in Schulung und Beratung komplexer Produkte und Therapien. Hinzu kommt, dass sie die Anforderungen und Regularien, die mit der Bereitstellung einer DiGA verbunden sind, kennen. Das alles sind gute Voraussetzungen, um die App auf Rezept bei Medizinern bekannter zu machen. Wenn eine DiGA andere Produkte und Angebote dabei sinnvoll ergänzt, macht das die Überzeugungsarbeit sicherlich einfacher.
Health Relations: Viele Pharmaunternehmen setzen seit Corona-Beginn verstärkt auf Videotelefonie mit den Ärzten und Ärztinnen. Dass diese offener für diese digitale Kontaktmöglichkeit geworden sind, zeigt auch das erhöhte Angebot an Video-Sprechstunden. Dennoch bieten – laut Ihrer Studie – nur 17 Prozent der Niedergelassenen Video-Sprechstunden an. Wie erklären Sie sich das?Ariane Schenk: Tatsächlich haben Videosprechstunden im vergangenen Jahr einen regelrechten Boom erlebt. Das liegt an den klaren Vorteilen wie der Zeitersparnis und dem auch ohne Präsenz möglichen persönlichen Kontakt. Ärzte und Patienten berichten hier von positiven Erfahrungen. Der Anstieg kommt aber auch daher, dass die Regularien im Zuge von Corona gelockert wurden. Die Begrenzung der abrechenbaren Videosprechstunden auf 20 Prozent der monatlichen Patientenkontakte wurde vorübergehend aufgehoben. Trotz der klar erkennbaren Absicht, telemedizinische Angebote zu stärken, ist eine Gleichstellung mit dem Arztbesuch vor Ort allerdings noch nicht erreicht.
Welche Ärzte und Ärztinnen bieten Videosprechstunden an oder könnten sich vorstellen, das zu tun?Health Relations: Woran liegt das?Ariane Schenk: Für große Unsicherheit sorgt, dass es keine eindeutigen Regelungen gibt. Sonderregeln und länderspezifische Rahmenbedingungen erschweren die Handhabe für Ärzte, Hersteller und Therapeuten. Darüber hinaus unterliegen die Anbieter von Videosprechstunden besonderen Vorgaben bei Datenschutz, Informationssicherheit und Produktgestaltung. Es fehlt an langfristigen Verfahren der Zertifizierung und Akkreditierung. Eine flächendeckende Akzeptanz wird nur erreicht, indem die Ausnahmeregelungen, die den Ärzten während Corona eingeräumt wurden, langfristig erhalten bleiben. Dazu gehören insbesondere die volle Abrechnungsmöglichkeit und eine Entschlackung des bürokratischen Aufwands.
Die Videosprechstunde ist keine temporäre Anwendung in der Pandemie, sondern sie ist ein wichtiger Baustein zur Ergänzung der Versorgung. Und ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Digitalisierung unseres Gesundheitssystems.
Deutschlands Ärzteschaft ist gespalten, wenn es um den Einsatz digitaler Technologien im medizinischen Alltag geht. Zu dieser Erkenntnis kommt eine