Die Pharmaindustrie verspricht sich viel von einem europäischen Austausch von Gesundheitsdaten. Doch ohne die Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung wird das Thema nicht an Fahrt gewinnen können. Wie ist es um diese bestellt? Johnson & Johnson hat nachgefragt – und aufschlussreiche Antworten erhalten.
Die Erwartungen der Pharmaindustrie an den
European Health Data Space (EHDS) sind hoch. Schließlich soll er die Vernetzung der nationalen Gesundheitssysteme und den sicheren und effizienten Austausch von Gesundheitsdaten ermöglichen. Gesundheitsunternehmen hätten Zugang zu internationalen Datensätzen. Interoperabilität und Datenqualität wären sichergestellt, ein
digital-vernetztes Gesundheitswesen (DVG) geschaffen.
Was ist der European Health Data Space? (Europäischer Gesundheitsdatenraum)
Innerhalb der EU soll es einen Gesundheitsdatenraum („European Health Data Space – EHDS“) geben, damit Infrastruktur und Technologie besser zusammenwachsen. Innerhalb der EU kann dann beispielsweise jeder sein Rezept in jeder beliebigen Apotheke einlösen. Aber auch Daten sollen länderübergreifend ausgetauscht und genutzt werden. Hiervon könnten z.B. Patient:innen mit seltenen Erkrankungen profitieren. Problematisch ist bei der Initiative vor allem die Interoperabilität der Daten, so der vfa (Verband der forschenden Pharmaunternehmen): Jedes Land erfasst seine Daten nach anderen Schemata. Bis 2025 sollen die Grundlagen für den EHDS geschaffen werden. Wie diese genau aussehen könnten, wird in Deutschland unter anderem im Gesetz zur Nutzung von Gesundheitsdaten festgelegt.
Pharma-Lobby plädiert für Opt-Out-Regelung
Der jüngst veröffentlichte Entwurf stößt nicht bei allen Akteuren und Akteurinnen auf Begeisterung. Kritiker:innen bemängeln die
Opt-out-Funktion für Bürger:innen. Das bedeutet: Jeder und jede kann der Nutzung und Weitergabe von Gesundheitsdaten widersprechen, muss dies aber selbst aktiv initiieren. Die EHDS-Koalition, ein Zusammenschluss von Unternehmen und Institutionen aus dem Gesundheitsbereich, sieht in der Opt-out-Möglichkeit für Bürger:innen einen gangbaren Kompromiss.
Die
EHDS-Koalition ist laut
Lobbyregister des Deutschen Bundestages eine Initiative von Unternehmen, die sich für die Umsetzung des EHDS einsetzen. Mitglieder sind das Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V., AstraZeneca GmbH, DMI GmbH & Co. KG, Flatiron Health GmbH, Intuitive Surgical Deutschland GmbH, Janssen-Cilag GmbH, Johnson & Johnson, MSD Sharp & Dohme GmbH, Pfizer Pharma GmbH, Roche Pharma AG, Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. und Vision Zero e.V.
Aus ihrer Sicht ist die
Zustimmung zur Datennutzung ein solidarischer, verpflichtender Akt für die Bürger:innen. Wie auch immer man diesen Punkt bewerten mag: Fakt ist, die Sache ist komplex. Fakt ist auch, dass der Traum vom digital vernetzten Gesundheitswesen ohne die Akzeptanz der Bevölkerung wohl ein Traum bleiben wird. Doch wie ist es in Deutschland eigentlich um diese bestellt?
Datenhoheit: Was denkt die Bevölkerung in Deutschland?
Delia Strunz, Director Government Affairs & Policy Germany bei Johnson & Johnson. © J&J
„Wir haben uns entschieden, eine
repräsentative Bürgerbefragung in Auftrag zu geben“, sagt Delia Strunz, Director Government Affairs & Policy Germany bei Johnson & Johnson. „Es war uns wichtig, nicht nur eine Person zu Wort kommen zu lassen, sondern eine breitere Aussage zum Thema ‚Wunsch nach einem digital vernetzten Gesundheitssystem‘ zu ermöglichen.“
Vom 28. April bis 4. Mai 2023 führte das Marktforschungsinstitut Manufacts eine standardisierte Onlinebefragung durch. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren mindestens 18 Jahre alt und repräsentativ nach Alter und Geschlecht. Das sind einige der Ergebnisse.
Digital vernetztes Gesundheitswesen– was ist das eigentlich?
Gut die Hälfte der Befragten gibt an, zu wissen, worum es sich bei einem digital-vernetzen Gesundheitssystem handelt. Aber
46 % können mit dem Begriff wenig anfangen.
Nur wenige der Befragten beschäftigen sich intensiver mit dem Thema DVG.
Die Altersgruppe 18 bis 29 Jahre scheint sich noch am ehesten für das DVG zu interessieren. Dennoch ist es auffällig, dass die
Auseinandersetzung mit diesem für alle Altersgruppen relevanten Thema kaum stattfindet.
Rund ein Drittel der Befragten wünscht sich mehr Informationen über ein digital-vernetztes Gesundheitswesen. Das Informationsbedürfnis ist also da, wenn auch nicht besonders ausgeprägt.
Wem aber vertrauen die Befragten, von wem wünschen sie sich mehr Informationen?
Krankenkassen und Ärzt:innen sind über alle Altersgruppen hinweg die präferierten Informationsgeber. Fast ein Drittel sieht auch Gesundheitsunternehmen in Pflicht, über EHDS und DVG aufzuklären.
Das Interesse an Informationen über ein DVG ist also in Teilen vorhanden. Wie aber steht es mit der Akzeptanz eines digital vernetzten Gesundheitssystems? Sehen die Befragten eher Vor- oder Nachteile?
Das Potenzial ist da, ein Changemaker ist das DVG nicht, sagt die Mehrheit der Befragten. Spannend dabei ist: Nach dieser Frage nannte Manufacts den Teilnehmer:innen einige Beispiele für digitale Anwendungen, die ein DVG ermöglichen würde. Im Anschluss wiederholten sie ihre Frage. Wie schätzen sie das Veränderungspotential eines DVG für die Gesundheitsversorgung ein?
Mehr Wissen, mehr Zuspruch: Die Anzahl jener Menschen, die einem DVG ein hohes Veränderungspotential zutrauen, hat sich verdoppelt. Wie aber steht es um die Sorgen und Ängste der Befragten mit Blick auf das DVG?
Fast die Hälfte der Teilnehmer:innen hat Zweifel an der Datensicherheit in einem DVG. Dabei haben fast 50 Prozent der Befragten kaum eine Vorstellung davon, was ein digital-vernetztes Gesundheitswesen ausmacht. Wie genau setzten sich die
Befürchtungen zusammen?
Die Angst vor Datenverlust ist da. Gleichzeitig aber zeigt sich, dass rund ein Drittel der Befragten den Datenschutzbestimmungen vertrauen. Die Sorgen und Ängste um den Datenverlust scheinen diffus zu sein.
Fazit: Was zeigt die Befragung?
- Das digital-vernetzte Gesundheitswesen ist für viele eine unbekannte Größe. Fast 50 Prozent der Befragten konnten den Begriff nicht mit Inhalt füllen.
- Eine Auseinandersetzung mit dem Thema DVG findet nur eingeschränkt statt.
- Die Befragten wünschen sich mehr Information, die Mehrheit „ein bisschen“ mehr Informationen
- Gesundheitsunternehmen sind als Informationsgebende kaum relevant.
- Das Veränderungspotential eines DVG wird als moderat eingestuft – steigt das Wissen darüber, steigt auch die Bewertung des Potenzials.
- Fast 50 % der Befragten befürchten einen unsachgemäßen Umgang mit den Daten
Was heißt das für Gesundheitsunternehmen und Politik?
- Akzeptanz braucht Aufklärung. Genau daran scheint es in der deutschen Bevölkerung, mit Blick auf die Digitalisierung des Gesundheitssystems, zu haken. Hier sind alle Beteiligten gefordert.
- Der EHDS und das DVG laufen unter dem Radar. Viele Bürger:innen sind sich der Relevanz dieser Themen nicht bewusst. Hier sollte Awareness geschaffen werden.
- Die Informationen müssen zielgruppengerecht und leicht konsumierbar aufbereitet werden. Die Befragung zeigt, dass die Mehrheit nicht mit ihnen überschüttet werden möchte.
- Beispiele aus der Praxis helfen, zu verstehen, welche Auswirkungen ein digital-vernetztes Gesundheitswesen auf unser aller Leben haben kann. Mit ihnen steigen auch die Neugier und die Bereitschaft, sich auf das Thema einzulassen.
- Trust ist eine wertvolle Währung – und für den Erfolg eines DVG ausschlaggebend. Deshalb sollten alle Akteure und Akteurinnen transparent kommunizieren und klar benennen, welche Daten sie wofür benötigen. Wer das Vertrauen der Nutzer:innen verliert, gewinnt es so schnell nicht wieder.