Adhärenz-Apps werden ein unverzichtbares Element in der Therapie sein. Auch Dr. Johannes Schenkel, Referent für Telemedizin bei der Bundesärztekammer, ist davon überzeugt – aber es gibt noch viel zu tun für Pharma-Unternehmen.

Sie heißen "NesselApp" oder "MS und ich". Dahinter verbergen sich zwei Beispiele für Adheränz-Apps, die Patienten während der Therapie im Alltag unterstützen und digital begleiten. Die „NesselAPP“ hilft Patienten, ihren Krankheitsverlauf mit Text und Fotos zu dokumentieren. Das unterstützt den Arzt bei der Wahl der richtigen Maßnahmen in der Therapie.
Adhärenz Apps

Die „NesselApp“ ist eine Adhärenz-App, die den Austausch zwischen Arzt und Patient erleichtert, indem sie unterschiedliche Möglichkeiten der Dokumentation der Krankheit bietet.

MS und ich“ bietet Patienten die Möglichkeit, ein mobiles Tagebuch über ihr tägliches Wohlbefinden und ihre Therapie zu führen. Erinnerungsfunktionen helfen ihnen im Alltag beim „MS-Management" mit Android- und iOS-Smartphones.
Adhärenz Apps

„MS und ich“ ist eine Art digitales Tagebuch für MS-Patienten.

Das sind nur zwei von unzähligen medizinischen Apps, die derzeit veröffentlicht werden. Der Markt boomt. Längst kann man hier nicht mehr von einem kurzfristigen Trend sprechen. Die Digitalisierung schreitet rasant voran. Auch Dr. Johannes Schenkel, Neurologe und Referent für Telemedizin bei der Bundesärztekammer, registriert ein starkes Wachstum in diesem Segment. „Es gibt derzeit aber noch keine Studien oder Belege, die den Nutzen dieser Apps aufzeigen. Aber auch keine, die das Gegenteil darlegen“, so Dr. Johannes Schenkel. „Im Moment ist das eine Art Vakuum. Das ist ein dynamischer Markt, in dem wir uns bewegen.Und den wir erst einmal aus medizinischer Sicht beobachten und bewerten müssen.“ Unbestritten aber sei aus seiner Sicht, dass Adheränz-Apps in Zukunft ein fester Bestandteil der medizinischen Versorgung sein werden. „Smartphones und Apps sind Teil unseres Alltags. Sie werden auch Teil der gesundheitlichen Versorgung sein.“

Adhärenz-Apps. Der Arzt bleibt zentrale Ansprechperson

Adhärenz-Apps

Dr. Johannes Schenkel: „Die Therapie-Hoheit muss beim Arzt liegen.“

Es ist ein wesentliches Merkmal von Adhärenz-Apps, dass der Patient als aktiver Part innerhalb der Therapie aufgefasst wird. Das könne auch eines ihrer Potentiale sein: Dass der Patient sich bewusst mit seiner Diagnose und der Therapie auseinandersetzen kann, so Dr. Johannes Schenkel. Doch bei allen Vorteilen gilt es auch, die Risiken zu beurteilen. „Die Patientensicherheit muss gewährleistet sein, ein Nutzennachweis erbracht sein. Auch der Datenschutz sowie die Auswertung der Datenergebnisse müssen berücksichtigt werden. Wir müssen eine sinnvolle Auswertung der Daten sicherstellen. Und: Die Therapie-Hoheit muss beim Arzt liegen.“ Der Arzt ist und bleibt derjenige, der die Therapie festlegt und entscheidet, ob eine App zum Einsatz kommt. Sie ist Mittel zum Zweck und Teil der Therapie; sie ersetzt nicht das medizinische Fachpersonal.

Adhärenz Apps. Eine Herausforderung für Healthcare Player

Auch Player außerhalb des Gesundheitssystems wollen in der Branche Fuß fassen. Denn neben den bekannten Größen und Unternehmen drängen im Zuge des Medical-App-Booms auch kleine, unbekannte Start-ups auf den Healthcare-Markt. Das stellt für Ärzte eine Herausforderung dar. „Mediziner werden mit dieser Entwicklung konfrontiert, aber es mangelt an Transparenz und Orientierung. Wir hinken der sehr dynamischen Entwicklung hinterher.“ Das variiere allerdings je nach Fachgebiet, Ort und Versorgungsgebiet. „Mitarbeiter in Kliniken stehen dem Thema oft offener gegenüber und reagieren schneller, als kleine Praxen und Vertragsärzte.“ Für Pharmaunternehmen besteht Handlungsbedarf. Sie haben die Aufgabe, Mediziner und Healthcare-Unternehmen an das Thema Adhärenz-Apps heranzuführen, indem sie
  • dem wachsenden Wettbewerb auf dem Markt gerecht werden und mit entsprechendem Werbedruck auf ihre App aufmerksam machen,
  • in Workshops und/oder in Kooperationen mit Healthcare-Organisationen Ärzte aktiv mit ihren Produkten vertraut machen,
  • mit Studien und Daten für Transparenz sorgen und den Nutzennachweis erbringen,
  • mit den Ärzten gemeinsam zielorientiert das Potential für unterschiedliche Krankheitsbilder erarbeiten.
Fazit: Apps sind in der medizinischen Versorgung bald nicht mehr wegzudenken. Doch Healthcare Marketers, die in dem Bereich tätig sind, können sich auf dieser Prognose kaum ausruhen. Nicht jede App wird sich auf dem Markt behaupten können. Es wird sich herauskristallisieren, welche digitalen Therapie-Anwendungen dem Patienten wirklich nützen. Und welche nicht. Dr. Johannes Schenkel fasst es so zusammen: „Ich halte nichts von Pauschalaussagen. Aber ich bin überzeugt, dass Apps bei bestimmten Indikationen eine positive Auswirkung haben können.“