Best Case Krisenkommunikation: Roche & die Kesslergrube
Roche eine Auszeichnung für vorbildliche Information und Kommunikation. Was war geschehen?
Ein kurzer Rückblick:
Über ein Vierteljahrhundert wurde ein Kiesgruben-Areal, die Kesslergrube, in Grenzach-Wyhlen als Mülldeponie genutzt. Zehntausende Tonnen an Bauschutt, Hausmüll und Industrieabfällen wurden hier deponiert. Auch chemische Abfälle, Roche zählte zu den Industrieentsorgern. 1976 schloss man die Mischdeponie mit einem Erddeckel; buchstäblich wuchs Gras über die Sache. 2011 kam die Kesslergrube wieder auf die Agenda. Nach jahrelangen Untersuchungen wurde die Sanierung angeordnet. Das Grundwasser war verunreinigt – mit teils hochgiftigen Substanzen. Kosten insgesamt für alle Entsorger: 239 Millionen Euro. Es wurden drei Ablagerungsbereiche unterschieden: Die Roche-Grube (Perimeter 1), die Geigy-Grube (Perimeter 2) und der weniger belastete Perimeter 3. Roche erstellte einen Sanierungsplan für den vom Unternehmen verantworteten Bereich, 2014 erfolgte die behördliche Genehmigung. Weniger als ein Jahr später war die Baustelle eingerichtet und lief auf Hochtouren. Das Pharmaunternehmen hat die Sanierungsarbeiten von Beginn an transparent kommuniziert und zum Beispiel eine Website mit Informationen und virtuellen Baustellenführungen entwickelt und die Zusammenarbeit mit Universitäten gesucht.
Holger Büth ist Communications Manager bei Roche Pharma AG und gibt Einblicke in die komplexen und gut orchestrierten kommunikativen Maßnahmen rund um die Sanierung der Kesslergrube.
Es hätte ein waschechter Skandal werden können. Stattdessen gab es für das Unternehmen "Damit ist dieses Großprojekt, das aktuell das umfangreichste seiner Art in Deutschland ist, auch für die verbleibende Zeit bis zum Projektabschluss im Frühjahr 2023 bestens aufgestellt."Health Relations: Wie haben Sie die kommunikativen Maßnahmen geplant. Können Sie uns einen Überblick geben?Holger Büth: Roche strebt mit ihrer Altlastensanierung der Kesslergrube eine möglichst vollständige Entfernung der bestehenden Belastung in Boden und Grundwasser an. Die 2015 gestartete und voraussichtlich bis Frühjahr 2023 andauernde Sanierung ist komplex und auch mit Beeinträchtigungen für die Anwohner:innen und Anrainer:innen verbunden. Roche hat deshalb bereits in der Projektplanungsphase seit 2012 den Dialog mit allen betroffenen Anspruchsgruppen aufgebaut und informiert kontinuierlich umfassend, transparent und auf eine leicht verständliche Art über den Sanierungsprozess. Die Kommunikationsplanung erfolgte begleitend und verzahnt mit der Projektplanung erstmals 2012 und wurde 2014 auf den im selben Jahr durch die Behörden freigegebenen Sanierungsplan neu ausgerichtet. Health Relations: Das klingt nach einer 360-Grad-Kommunikation.Holger Büth: Dialog ist tragende Säule des Projekts: Umweltsanierungsprojekte können einen beträchtlichen Umfang erreichen, viele Ressourcen binden, hohe Kosten verursachen und den Ruf betroffener Unternehmen schädigen. Die Roche Pharma AG hat dies als Bauherrin frühzeitig erkannt und lässt das Sanierungsprojekt für den von ihr verantworteten Teil der Altablagerung Kesslergrube in Grenzach-Wyhlen durch interne Fachexperten, ein professionelles Projektmanagementteam und internationale spezialisierte Unternehmen abwickeln und sorgt mit einem proaktiven und dialogorientierten Kommunikationsmanagement des Projekts für Transparenz und Vertrauen bei allen involvierten Ziel- und Anspruchsgruppen. Damit ist dieses Großprojekt, das aktuell das umfangreichste seiner Art in Deutschland ist, auch für die verbleibende Zeit bis zum Projektabschluss im Frühjahr 2023 bestens aufgestellt. Health Relations: Wen galt es denn in den Dialog miteinzubinden? Holger Büth: Zielgruppen sind Nachbarn und Anrainer, Einwohner:innen von Grenazch-Wyhlen, die interessierte Öffentlichkeit, Mitarbeiter:innen, Behörden, Schulen und Universitäten in Deutschland und in der Schweiz, Umweltorganisationen wie der BUND, NABU, Greenpeace, etc., alle im Landkreis Lörrach und im Gemeinderat Grenzach-Wyhlen vertretenen Parteien, alle Rheinnutzer (u. a. verschiedene Wassersportclubs, Fischereiverein, Wasserkraftwerke, Energie- und Wasserversorgungsbetriebe, Wasserschutzpolizei etc.), Behörden und Ministerien aus dem In- und Ausland, andere produktionsintensive Unternehmen oder Konzerne mit geplanten Sanierungsvorhaben, Unternehmen aus der Region und Industrieverbände inkl. Mitglieder, Fachpresse, Tagespresse, populäre Wissenschaftsmedien, Radio, TV, Online- und Soziale Medien. Health Relations: War von Anfang an klar, mit welchen Bündel an Maßnahmen Sie das Ganze begleiten werden?Holger Büth: Ja, wir haben direkt im Anschluss die behördliche Freigabe unseres Sanierungsvorhabens in 2014 die Gesamtkommunikation bis Projektende akribisch durchgeplant. Natürlich haben wir immer direkt auf die Veränderungen der Medienlandschaft, die Corona-Pandemie und andere äußere Einflüsse reagiert und insbesondere unsere digitalen Informations- und Dialogangebote erweitert. Dazu gehören beispielsweise Online-Besuchertouren sowie -Fachreferate – insbesondere für unsere Student:innengruppen der Universität Freiburg, Universität Basel, ETH Zürich, Karlsruher Institut für Technologie, Hochschule Stuttgart etc. Health Relations: Was war das Ziel der kommunikativen Maßnahmen, was wollten Sie genau erreichen – über die Information hinaus?Holger Büth: Klare Ziele waren:
- Die von Roche kommunizierten und gelebten Werte “Nachhaltigkeit” und “Verantwortung” gegenüber den verschiedenen Zielgruppen glaubwürdig zu vermitteln.
- Die Sicherheit für Mensch und Umwelt bei allen Sanierungsarbeiten in den Vordergrund zu stellen.
- Die verschiedenen Zielgruppen für die gewählte Sanierungsmethode und die temporären Begleitindikationen wie Lärm und Geruch zu sensibilisieren und zu gewinnen.
- Die von den Sanierungsarbeiten direkt Betroffenen in den Dialog einzubinden und deren Bedürfnisse weitestgehend in die Projektplanung/-ausführung aufzunehmen.
- Die Reputation von Roche als nachhaltig agierendes Unternehmen zu stärken, das positive Image in der Region weiter zu festigen und dazu beizutragen, die Sanierung termin- und budgetgerecht durchzuführen.
"Für uns war das Sanierungsprojekt nie eine Krise. Aber wir haben für alle potenziellen Krisenfälle Maßnahmen vorbereitet"Health Relations: Haben Sie ihre Ziele erreicht? Wenn ja, wie messen Sie dieses?Holger Büth:Seit 2012 gab es mehr als 1.700 eigeninitiierte Medienberichte in Print, Online, Radio, TV über das Sanierungsprojekt. Der Tenor der Medienberichterstattung ist durchweg neutral bis positiv. Das interaktive Besucherzentrum und Baustellenrundgänge zählte mehr als 7.500 Teilnehmer:innen und über 500 Besuchergruppen seit April 2019 bis März 2020, seitdem war das Besuchermanagement aufgrund Corona eingeschränkt möglich. Wir erleben eine weitere Stärkung der Unternehmensreputation in der Region Deutschland/Schweiz und sind ein Best-Practice-Beispiel für andere Unternehmen, die auch Altlasten sanieren wollen oder müssen. Wir haben Beispielcharakter: Zahlreiche Unternehmen/Ministerien wie beispielsweise Evonik, Sanofi, Bayer oder Audi sowie chinesische und israelische Delegationen – Behörden und Ministerien – informierten sich vor Ort über die von Roche eingesetzte Sanierungsvariante. Health Relations: Gab es auch Rückschläge?Holger Büth: Nein. Wir haben immer vorausschauend und proaktiv kommuniziert. Das galt auch bei Zwischenfällen auf der Baustelle. Health Relations: Aus Ihrer Sicht: Wurde durch eine umfassende strategische Kommunikation aus der Krise eine Chance? Holger Büth: Absolut. Für uns war das Sanierungsprojekt nie eine Krise. Aber wir haben für alle potenziellen Krisenfälle Maßnahmen vorbereitet. Gerade die Chancen, die sich uns kommunikativ boten und immer noch bieten, haben wir bei der Kommunikationsplanung genutzt. Im Rahmen einer SWOT-Analyse haben wir alle Chancen, die sich aus unserem Vorhaben entwickeln können, definiert und auch konsequent genutzt. Dazu gehörten vor allem die breite Unterstützung aus der Bevölkerung sowie ein hohes Potenzial, mit der von uns gewählten Sanierungsvariante unsere Reputation in der Region weiter zu stärken. Health Relations: Ihre Empfehlungen, was sind die tragenden Säulen einer guten Krisenkommunikation?Holger Büth: Das sind zum eine konsequente Offenheit und Dialogorientierung zu leben. Und zum anderen, sich frühzeitig im Projekt mit den Krisenpotenzialen zu beschäftigen und sich auf diese reaktiv vorzubereiten. Das ist ein großes, aber wichtiges, aber am Ende erfolgreiches Investment. Die bereits in der Projektplanungsphase (2012) gestartete proaktive und konsequent dialogorientierte Kommunikation zwischen Roche und den verschiedenen Ziel- und Anspruchsgruppen hat zum einen erreicht, dass die Anwohner:innen und Anrainer, die Anspruchsgruppen gut informiert und somit auf Augenhöhe mit Roche über das Projekt sprechen können. Zum anderen besteht beiderseits ein belastbares Vertrauen, weil Roche jederzeit persönlich auf Bedenken, Ängste oder Fragen eingeht und dabei immer lösungsorientiert vorgeht. Dieser Dialog hat dazu geführt, dass es während des gesamten Sanierungsprojekts bis heute keinerlei öffentliche Widerstände oder Einsprachen von Einzelpersonen, Gruppen, Organisationen etc. gab.