Digitale Transformation – Chancen für die Gesundheit von morgen!, so der Titel des Lightning Talks, den Boehringer-Ingelheim-CFO Michael Schmelmer auf der diesjährigen re:publica hielt. Warum der Pharma-Konzern die re:publica als Bühne entdeckt hat und welche Themen bei der digitalen Transformation ganz oben stehen? Wir haben nachgefragt.
Michael Schmelmer ist zwar re:publica-Neuling, aber er kennt Events wie diese. Immerhin stammt er
ursprünglich aus der Tech-Branche. In diesem Jahr stellte der CFO von Boehringer Ingelheim einige Digital-Projekte seines Unternehmens vor.
Digitale Transformation – Chancen für die Gesundheit von morgen – das bedeutet: Mehr Geschwindigkeit bei klinischen Studien und der Medikamenten-Herstellung, der Diagnose-Support durch KI und Sprachanalyse bei psychischen Krankheiten wie Schizophrenie oder gezielte molekulare Forschung mit ADAM, dem 'Advanced Design Assistant for Molecules'. Das sind nur einige Punkte, die auf der digitalen Agenda des Pharma-Konzerns stehen. Zweifelsohne passt diese Thematik in den Diskurs der re:publica. Gesundheit in digitalen Zeiten ist einer der Bestandteile des Veranstaltungsprogramms. Dennoch ist die Konferenz ein für Pharma eher unbekanntes Terrain. Ein Gespräch über den Blick über den Tellerrand, neue Bühnen und Kollaborationen, Social Media und Authentizität.
Michael Schmelmer ist seit sieben Jahren für Boehringer Ingelheim tätig, seit rund eineinhalb Jahren als CFO, zuvor als CIO. Im Vorfeld war er für das Unternehmen Infineon Technologies tätig.© Andreas Reeg
Health Relations: Herr Schmelmer, mit welchen Zielen ist Boehringer Ingelheim zur re:publica gereist?Michael Schmelmer: Lernen. Sie kennen meinen Werdegang. Ich bin sehr technologieaffin, nicht 'nur' Financer. Ich habe die letzten 15 Jahre in der Technologie gearbeitet: Deshalb liegen mir Veranstaltungen wie diese. Und: Das Thema Digitalisierung beschäftigt uns. Wir sind auch hier, um Boehringer Ingelheim bekannt zu machen und kritisches Feedback zu unseren Themen zu erhalten. Und wir suchen Talente.
Health Relations: Lernen heißt in diesem Fall: Gezielt schauen, was andere Branchen machen und worüber die digitale Szene spricht?Michael Schmelmer: Das Thema Austausch ist uns wichtig. Wir sind im Austausch mit den unterschiedlichsten Branchen und treiben das Thema auch intern voran. Unsere Data Science Chefin kommt aus der Flugindustrie, ich komme aus der Halbleiter-Branche. Wir bringen das crossfunktionale Know-how rein. Hochinteressant für uns ist die Automobilindustrie im Bereich autonomes Fahren. Mit dieser arbeiten wir zusammen. Die haben Bilderkennung, Spracherkennung, die wissen damit umzugehen. Wir können uns austauschen, denn wir haben hier kein kartellrechtliches oder Intellectual-Property-Thema.
"Dieses Unternehmen hat so viele Transformationen hinter sich, dass ich sicher bin: Wir kriegen die digitale Transformation auch hin."
Health Relations: Das ist der Bereich Forschung und Entwicklung. Wie verändert sich die Ansprache der Ärzte im Rahmen der Digitalisierung? Denn die braucht es doch auch, um das Thema voranzutreiben.Michael Schmelmer: Die Art, wie wir auf den Arzt zugehen, ändert sich auch in Deutschland massiv. Wir bieten unterschiedlichste Kommunikationsplattformen an, auch eDetailing zusammen mit konventionellen Kanälen, um ein 360-Grad-Bild zu bekommen. Das ist toll, aber ich sehe das schon fast als Must-have. Das, was ich heute hier gezeigt habe, Sprachanalyse und Früherkennung von Indikationen wie Alzheimer, das sind hochinnovative Themen. Da wird es spannend. Und auch deshalb sind wir hier.
Health Relations: Dennoch fährt dieses Must-have in Deutschland mit angezogener Handbremse, oder?Michael Schmelmer: Für Deutschland gebe ich Ihnen recht. Wir sitzen zwar in Deutschland – aber unser Markt ist die Welt. In China zum Beispiel läuft vieles digital über WeChat, da kommen Sie gar nicht drum herum. Unsere Go-to-Market-Modelle in den USA sind digital. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind dort viel klarer als hier. Das macht es einfacher. Dort können wir lernen!
Health Relations: Digitalisierung auf allen Ebenen, das wird auch in Ihrem aktuellen Geschäftsbericht deutlich. Für Boehringer Ingelheim ein Strategie-Wechsel?Michael Schmelmer: Wenn das so klingt, ist das falsch. Wir sind schon länger digital unterwegs. Aber wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir liefern können. Neben den innovativen Beispielen, die ich hier präsentiert habe und von denen wir Prototypen haben, haben wir bereits weitere Ideen umgesetzt. Zum Beispiel den Einsatz von Algorithmen in 'New Therapeutic Concepts'. Das läuft. Wir haben in der Tiergesundheit ein Projekt laufen, in dem wir vorhaben, ganze Ställe zu digitalisieren. Luftfeuchtigkeit, Wasserverbrauch, Futterverbrauch. Da bauen wir ein Monitoring auf. Aber das machen wir nicht in Deutschland, das machen wir in den USA. Weil es uns hierzulande die rechtlichen Rahmenbedingungen und die fehlende Connectivity schwer machen.
https://twitter.com/BoehringerDE/status/1122078109216444417
Health Relations: Thema Außenwirkung: Ich möchte auf Ihre aktuelle Social-Media-Kampagne auf Facebook, Twitter und LinkedIn eingehen. In kurzen Spots erklären Sie als CFO höchstpersönlich digitale Tools. Und duzen die Zuschauer sogar. Eine bewusste Entscheidung, um modern und fresh zu wirken?Michael Schmelmer: Wir haben den Spot so gemacht, wie ich bin. Vor eineinhalb Jahren gab es einen Crossmove, in dem Boehringer Ingelheim einen Technologen wie mich, der Luft- und Raumfahrt studiert und BWL im zweiten Studium gelernt hat, zum CFO gemacht hat. Ich bin seit insgesamt sieben Jahren bei Boehringer, habe die Technologie-Transformation vorangetrieben und das Digital Lab gegründet. Ich komme aus einer anderen Kultur. Insofern: Mit dem unkomplizierten Du möchten wir nichts gezielt transportieren, sondern ich wollte authentisch bleiben.
"Das Digital-Thema zwingt uns ja geradezu, nach draußen zu gucken. Und auch Kollaborationen zu bilden."
Health Relations: Was will die Kampagne außerdem erreichen?Michael Schmelmer: Wir brauchen mehr Talente, die Pharma verstehen und bereit sind, digital zu arbeiten. Das war der Grund, warum ich vor zwei Jahren in meiner damaligen Funktion als CIO nach fünf Jahren Social-Media-Abstinenz wieder an die Öffentlichkeit gegangen bin. Anders hätten wir keine 50 Leute nach Ingelheim gebracht, die in unserem
Digital Lab BI X hochinnovativ arbeiten. Wir sind an diesem Punkt auf unseren normalen Kommunikationskanälen nicht mehr weiter gekommen, also gingen wir raus und nutzten neue Medien. Wir haben auch unseren Internetauftritt komplett überarbeitet und mit
bix-digital.com (Webauftritt des Digital Labs von Boehringer Ingelheim, Anm. der Red.) einen zusätzlichen Auftritt geschaffen. Aus diesem Kernel heraus wollen wir neue Ideen implementieren und das Unternehmen voranbringen. Boehringer Ingelheim gibt es jetzt fast 135 Jahre. Dieses Unternehmen hat so viele Transformationen hinter sich, dass ich sicher bin: Wir kriegen die digitale Transformation auch hin.
Health Relations: Hat Ihre Social-Media-Kampagne neben dem Recruiting weitere Kommunikationsziele?Michael Schmelmer: Es geht darum zu zeigen, was digital schon da ist. Immer wieder lesen wir: Deutschland hinkt hinterher. Wir wollen zeigen: Ja, aber es gibt auch schon eine Menge Projekte, die laufen. Wir sind mit dieser Kampagne sicherlich auch mal ein bisschen transparenter als sonst. Das ist ein bewusster Schritt.
"Google und Co haben auch gelernt, dass sie kollaborieren müssen."
Health Relations: Transparenz ist für Pharma ein immer wichtigeres Thema, oder?Michael Schmelmer: Das Digital-Thema zwingt uns ja geradezu, nach draußen zu gucken. Und auch Kollaborationen zu bilden, bei
Opnme.com zum Beispiel. Auf dieser Plattform stellen wir externen Wissenschaftlern Moleküle zur Verfügung, mit denen wir nicht weiterkommen. Diese können sich die Forscher bestellen. Das ist Open Source für Wissenschaftler, ein sehr erfolgreiches Tool. Allein im letzten Jahr haben wir über diese Plattform mehr als 1.700-mal unsere Moleküle verschickt.
Health Relations: Wie gehen Sie als Unternehmen damit um, dass digitale Tech-Konzerne wie Google ebenfalls den Healthcare-Markt für sich entdeckt haben. Haben Unternehmen wie Boehringer Ingelheim hier nicht einen Wettbewerbsnachteil?Michael Schmelmer: Wir haben einen großen Vorteil gegenüber den großen Tech-Firmen: Wir haben Know-how, das die nicht haben.
Health Relations: Das diese sich einkaufen können…Michael Schmelmer: Nein, das können die nicht einkaufen. Wir haben Erfahrung in der kompletten Wertschöpfungskette: mit dem Umgang mit Patientendaten, mit dem Markt, mit der Compliance, mit der Medikamenten-Zulassung. Das alles können sie nicht einkaufen. Und dazu kommt ein Riesenvorteil: Uns kennt der Arzt. Das Thema Vertrauen ist ein Asset. Sie können sich sicher sein, dass die großen Tech-Firmen den Markt nicht alleine bearbeiten werden. Wichtig ist aber, dass wir als Unternehmen den Nutzen haben.
Health Relations: Heißt: Dann sind wir wieder bei der Kollaboration?Michael Schmelmer: Genau. Google und Co. haben auch gelernt, dass sie kollaborieren müssen. Zum Thema Vertrauen und Gesundheitsdaten bei großen Tech-Firmen, dazu muss ich, denke ich, nichts weiter sagen.