Wie positioniert sich Berlin-Chemie mit Blick auf verschiedene Megatrends und welche Auswirkungen sind auf die Versorgung zu erwarten? Darüber spricht Christiane von der Eltz, Vorstandsmitglied Berlin-Chemie für den Geschäftsbereich Pharma Deutschland, im Interview mit Health Relations.
Regionalität, Digitalisierung und Nachhaltigkeit: Diese drei Megatrends identifiziert Berlin-Chemie als besonders relevant für die Entwicklung der Gesundheitsversorgung in Deutschland in den kommenden Jahren. Und diskutierte sie beim 18. Kongress für Gesundheitsnetzwerker mit rund 370 Teilnehmenden aus unterschiedlichen Bereichen des Gesundheitswesens.
 

Health Relations: Frau von der Eltz, lassen Sie uns die drei Megatrends im Einzelnen durchgehen. Welche Herausforderungen und Chancen für die Gesundheitsversorgung sind Ihrer Ansicht nach mit der Digitalisierung verbunden?

Christiane von der Eltz:Die digitale Transformation ist für mich längst überfällig. Digitalisierung trägt zum einen zur Verbesserung der Versorgung bei, da zum Beispiel Patientendaten besser gebündelt und ganzheitlich ausgewertet werden können. Auch für die Auswertung großer Datenmengen im Sinne der wissenschaftlichen Forschung und der Versorgungsforschung ist die Digitalisierung ein Muss. Spannend fand ich auf dem Gesundheitsnetzwerkerkongress auch zu hören, dass gerade im Bereich der Früherkennung mit den sogenannten Wearables große Fortschritte gemacht werden, zum Beispiel bei der Früherkennung von Herzerkrankungen oder von Depressionen.

„Eine bessere und umfassendere Patientenversorgung liegt im Interesse aller Akteure im Gesundheitswesen.“

Health Relations:Sehen Sie weitere Vorteile?

Christiane von der Eltz: Zum anderen kann die Digitalisierung auch zur Vereinfachung und Einsparung von Ressourcen beitragen. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ein nicht zu unterschätzender Effekt. Natürlich bedarf es bei der Umsetzung der Telematikinfrastruktur auch einer entsprechenden Regulierung, wie sie mit dem Digitalgesetz und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz auf den Weg gebracht worden sind. Eine bessere und umfassendere Patientenversorgung liegt im Interesse aller Akteure im Gesundheitswesen. Wir selbst nutzen die Digitalisierung bereits intensiv, zum Beispiel in der Therapiebegleitung, wo wir mit unserem digitalen Therapiebegleiter TheraKey für chronisch kranke Patienten seit kurzem auch künstliche Intelligenz einsetzen. Aus Sicht der Pharmaindustrie sehe ich hier vor allem auch Chancen, dass wir Zugang zu großen Datenmengen bekommen, die wir mit KI auswerten können und damit die Forschung und Entwicklung besser voranbringen können.

Health Relations: Welche Szenarien ergeben sich daraus für die Versorgung 2030?

Christiane von der Eltz: Betrachtet man die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz in den letzten Jahren, so wird und sollte sich bis 2030 sicherlich auch einiges in der Gesundheitsversorgung verändern. Aus der Patientensicht wird die elektronische Patientenakte die Koordination der Versorgung erheblich verbessern, und die Ausweitung von Telemedizin und telepharmazeutischer Beratung den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen von Arztpraxen und Apotheken für alle erleichtern.

Der Einsatz von mobilen Gesundheitsanwendungen und Wearables wird es ermöglichen, eine noch umfassendere Diagnose und Gesundheitsüberwachung durchzuführen. Außerdem wird es in der Pflege große Fortschritte durch Roboterunterstützung geben. Aus der Sicht der Ärzte und Apotheker erwarte ich eine Unterstützung der Diagnosestellung und Therapiefindung durch KI, um nur einen kleinen Teil der Möglichkeiten zu nennen.

Health Relations: Wie blicken Sie auf den Wandel hin zu einer klimabewussten, nachhaltigen Versorgung?

Christiane von der Eltz: Das oberste Ziel der Gesundheitsversorgung ist es, die Gesundheit der Menschen zu erhalten oder zu verbessern. Der Klimawandel kann diese Gesundheit gefährden und hat damit für alle in unserer Branche eine besonders Relevanz. Ökologische Nachhaltigkeit muss zu einem integralen Bestandteil unserer Gesundheitssysteme werden.

„Ökologische Nachhaltigkeit muss integraler Bestandteil unserer Gesundheitssysteme werden.“

Health Relations: Wie leben Sie das bei Berlin-Chemie?

Christiane von der Eltz: Natürlich ist das auch bei Berlin-Chemie ein wichtiges Thema. Wie können wir weiterhin nachhaltig am Standort Berlin produzieren und arbeiten? Das reicht von der Deckung unseres Energiebedarfs über zahlreiche Herausforderungen bei den Lieferketten bis hin zur umweltgerechten Entsorgung unserer Abfälle. Es fängt auch schon bei kleinen Dingen an, wie der Verwendung von Mehrweggeschirr in unserer Cafeteria oder der Ladestation für das E-Auto auf dem Parkplatz.

Natürlich machen wir uns auch Gedanken darüber, wie wir Umweltrisiken bei der Herstellung, Anwendung und Entsorgung von Medikamenten minimieren können. Dabei arbeiten wir auch mit vielen externen Partnern zusammen, zum Beispiel im Projekt GreenCHEM, einem Zusammenschluss von Forschung und Industrie, um Innovationen im Bereich der Grüne Chemie voranzutreiben.

Health Relations: Und welche Rolle spielt die Regionalisierung in der Gesundheitsversorgung?

Christiane von der Eltz:Das Thema „Regionalisierung“ beschäftigt Politik und Fachkreise seit geraumer Zeit unter den Aspekten der bedarfsgerechten Allokation, der Entlastung des Gesundheitssystems vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und letztlich der Gestaltung einer umfassenden Gesundheitsversorgung. Als Anbieter von Arzneimitteln und Medizinprodukten müssen wir diese Entwicklung im Auge behalten, um zu entscheiden, welche Auswirkungen dies auf unsere zukünftigen Vertriebsstrategien hat.

Das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz

Am 22. Mai 2024 hat das Bundeskabinett den Entwurf des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG) beschlossen. Darin ist eine Stärkung der hausärztlichen Versorgung zu erkennen. Instrumente zur Stärkung regionaler Versorgungsstrukturen wie die Gesundheitskioske, Primärversorgungszentren oder die Gesundheitsregionen waren bereits im ersten offiziellen Referentenentwurf nicht mehr enthalten, was zu Kritik von verschiedenen Seiten geführt hatte. Beobachter gehen jedoch davon aus, dass einige dieser Punkte im Verlauf des nun folgenden parlamentarischen Verfahrens wieder ins Gesetz aufgenommen werden. Ziel des BMG ist es, Patientinnen und Patienten den Zugang zur Versorgung zu erleichtern.

Health Relations: Sehen Sie weitere Megatrends, die sich auf die Gesundheitsversorgung auswirken?

Christiane von der Eltz:Sicher gibt es noch eine Reihe weiterer Trends, wie zum Beispiel das Thema Langlebigkeit und das Bestreben der Bevölkerung, möglichst lange gesund und selbstbestimmt zu leben. Stichwort „Longivity“. Im Bereich der Gesundheitsversorgung spielt hier vor allem die Aufklärung über einen gesunden Lebensstil und das Thema Prävention eine große Rolle.

"Das deutsche Gesundheitssystem ist noch stark auf die Behandlung von Krankheiten und weniger auf die Prävention ausgerichtet."

Bisher ist das deutsche Gesundheitssystem jedoch noch stark auf die Behandlung von Krankheiten und weniger auf die Prävention ausgerichtet. Hier würde vielleicht ein Blick in unsere Nachbarländer helfen, die meines Erachtens schon weiterdenken, wie zum Beispiel die Niederlande, wo ich selbst einige Jahre gelebt habe.

Health Relations: Welche anderen Akteure sind hier aus Ihrer Sicht noch gefordert? Was braucht es, um ein gemeinschaftliches Ziel zu verfolgen?

Christiane von der Eltz:Natürlich kann man die genannten Punkte nur angehen, wenn man crossfunktional über verschiedene Bereiche hinweg zusammenarbeitet. Sektorale Budgets können dabei Investitionen in neue Technologien und innovative Versorgungsmodelle behindern, da die Finanzierung oft in engen, sektorspezifischen Grenzen erfolgt. Unterschiedliche Budgetierungs- und Vergütungsmodelle können dazu führen, dass Gesundheitsdienstleister nicht optimal zusammenarbeiten.

Zudem sollten die einzelnen Sektoren über einheitliche Qualitätsstandards verfügen, um eine gleichbleibend hohe Versorgungsqualität zu gewährleisten. Um diese Herausforderungen zu überwinden und Fortschritte in der Gesundheitsversorgung zu fördern, könnten eine integrierte Versorgung sowie die Bereitstellung von Mitteln für sektorübergreifende Innovationsprojekte, insbesondere im Bereich digitale Gesundheit, förderlich sein.