Mit spielerischen Apps kann man sich auf die Alltagswirklichkeit des Patienten einstellen – und Kunden an sich binden. Im Interview mit Zahnmediziner und Gamification-Experte Dr. Dr. Philipp Plugmann.
Pac-Man, Tetris oder Donkey Kong – in den 1980er-Jahren kamen die Videospiele. Heute nutzt man dafür Smartphones und Tablets, aber die Spielleidenschaft ist gleich geblieben. Warum also nicht die positiven Aspekte eines digitalen Games nutzen und sie auf andere Bereiche anwenden? Genau das versteht man unter dem Begriff Gamification. Es gibt immer mehr Unternehmen, die Computerspiele und Apps nicht nur im Spielekontext entwickeln – all das befördert den Einzug der Gamification auch in das Gesundheitswesen.
Ob als
innovative Präventivstrategie in der Medizin, als Instrument der Mitarbeiterführung oder durch eine Integration in die Wertschöpfungskette, die Einsatzmöglichkeiten von Gamification sind vielfältig, erklärt Zahnmediziner Dr. Dr. Philipp Plugmann, Lehrbeauftragter für "Innovationmanagement for technical products" an der
Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft und an der
FHM Bielefeld im Studiengang "MBA Innovation & Leadership".
Gehört heißt nicht verstanden, verstanden heißt nicht einverstanden, einverstanden heißt nicht angewendet, angewendet heißt nicht beibehalten
Auf die Frage, warum Gamification immer mehr zum Trendthema wird, hat Plugmann eine Erklärung: "
Es ist eine Kommunikationsform, die der Industrie hilft, mit Kunden oder mit potentiellen Kunden, den Versicherungen und Finanzinstituten mit ihren Versicherten sowie Anlegern und der Gesundheitswirtschaft mit ihren Patienten in Kontakt zu treten. Am Samstag war ich mit meiner Frau – sie ist auch Ärztin und arbeitet in der Inneren Medizin – auf dem
Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Bei einem Einführungsvortrag von Prof. Dr. Olaf Adam von der Ludwig-Maximilians-Universität in München über Patientenverhalten innerhalb des Gebietes der Ernährungsmedizin sagte dieser folgenden Schlagsatz: 'Gehört heißt nicht verstanden, verstanden heißt nicht einverstanden, einverstanden heißt nicht angewendet, angewendet heißt nicht beibehalten'.“
Die Ursache für diese Beobachtungen liege in der Alltagswirklichkeit, die es den Betroffenen schwer mache, die Verhaltensempfehlungen umzusetzen, so der Zahnmediziner. Er plädiert jedoch nicht dafür, Patienten Vorwürfe zu machen und so die Therapieansätze mit negativen Emotionen zu besetzen.
Man sollte sich auf die Alltagswirklichkeit der Patienten einstellen. Vielmehr sollte man sich auf die Alltagswirklichkeit der Patienten einstellen.
"Zum Beispiel kann der LKW-Fahrer nicht ständig von der Autobahn herunterfahren, um sich gesund zu ernähren und Entspannungsübungen zu machen", gibt er zu bedenken. "Hier setzen die Spiel-Apps an.
Der User wird spielerisch animiert, dranzubleiben."
Digitale Transformation des Customer-Relationship-Management
Das Prinzip funktioniert in nahezu allen Branchen. Und wie können MedTech- und Pharma-Firmen davon profitieren? "Die digitale Transformation des Customer-Relationship-Managements bedeutet, 'Ich gehe zum Kunden, bevor der Kunde digital woanders hingeht'“, sagt Plugmann und fährt fort:
"Gamification gibt Unternehmen die Möglichkeit, direkt beim Kunden und bei der Anwendung der Produkte und Services ein Just-in-Time-Feedback zu erhalten und so die verkauften Units der nächsten Generation zu verbessern."
Richtig eingesetzte Spiele-Apps sind ein gutes Instrument, um den Kunden besser zu verstehen oder seine Geschäfts- und Anforderungsprozesse zu verfeinern. „In Zeiten von Open Innovation, Lead-User-Innovation und Radical Innovation ist die
Interaktion mit den Marktteilnehmern essentiell, um auch das eigene Geschäftsmodell immer wieder zu überarbeiten", betont Plugmann.
Daten für die Verbesserung des Gesundheitszustandes
Für einen erfolgreichen Einsatz der Gamification gilt jedoch: Die User-Friendliness und die IT-Security müssen sichergestellt sein. Dazu erklärt Plugmann: "Unsere
wissenschaftlichen Untersuchungen haben ergeben, dass eine hohe Bereitschaft besteht, medizinische und nicht-medizinische Daten in eine App einzugeben, wenn dem User selbst eine
Verbesserung des eigenen Gesundheitszustandes in Aussicht gestellt werden kann.“ Größte Sorge dabei bereitet den Nutzern die Frage, ob die Sicherheit ihrer Daten gegeben ist. Daher sollte die bei Neu- und Weiterentwicklungen besonders im Blick der Anbieter stehen.
Plugmann hat die Vorteile der Gamification erkannt und nutzt sie sogar selbst in seinem Arbeitsalltag. "Ich habe vor zwei Jahren für meine Zahnarztpraxis die kostenlose 'Dr. Dr. Plugmann APP' entwickelt, die an Diabetes, Stoffwechselerkrankungen oder koronaren Herzerkrankungen leidenden Patienten motiviert, auch auf ihre Mundhygiene und den Zahnfleischzustand zu achten. Bei ausgewählten Patienten gehen wir in der Praxis auf dem iPad die App durch, die auch eine Historienfunktion hat und dem Patienten hilft, die Entwicklung zu verfolgen.“ Die App kommt so gut an, dass sie inzwischen auch von Kollegen genutzt wird.
Die Healthcare-Apps der Zukunft
Dass Gamification ein reines Trendthema bleibt, an dem das Interesse bald wieder abflacht, befürchtet der Zahnmediziner nicht. Vielmehr glaubt er, dass sich die Apps weiterentwickeln werden: "Alles wird immer individualisierter, und das bedeutet, dass uns in der Zukunft der
User sagen wird, welche Inhalte, welche Themen, welche Grafiken und Töne und welche Strukturierung er in der App haben möchte. Das beinhaltet auch die höchste Wahrscheinlichkeit, den Motivationsgrad zu steigern."
Schlüsseltechnologien werden dabei dann Virtual Reality bzw. Augmented Reality sein, so Plugmann. Wer mit der Zeit gehen will, sollte sich dem Thema also nicht verschließen.
Dr. Dr. Plugmann ist niedergelassener Zahnarzt mit Schwerpunkt Implantologie in Leverkusen. Er ist zudem externer wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung für Parodontologie am Universitätsklinikum Marburg und Lehrbeauftragter an der Hochschule Karlsruhe. Titelbild: © iStock.com/xijian
Bild von Dr. Dr. Plugmann: © privat