Der Pitch in Krisenzeiten: Legitim oder unsolidarisch?
Nicole Tappée: Grundsätzlich finde ich es wichtig, im Vorfeld zu klären: Für welche Aufträge lässt man überhaupt pitchen, für welche nicht. Der Pitch hat sich in meinen Augen negativ entwickelt. Alles ist auf einmal Pitch. Selbst für kleinere Aufträge oder sogar Ideenskizzen, die vom Volumen her früher nicht pitchwürdig gewesen wären, ruft man heute oftmals zum Wettbewerb auf oder schreibt die Aufträge neu aus. Unternehmen vergessen oft, wie aufwändig ein Pitch für eine Agentur ist. Es kann mitunter sein, dass in einen 100.000 Euro-Auftrag im Vorfeld Arbeitsstunden im Wert von 50.000 Euro fließen, je nach Aufgabenstellung. Dass Corona also die Frage nach dem Sinn von Pitches in den Raum stellt, finde ich grundsätzlich gut – aktuell war sie aber schon vor der Krise.
Health Relations: Sie würden also durchaus Superunion-Chef Tobias Phleps entsprechen, der in einem Debattenbeitrag schrieb: "Pitches sind unnötig und eine große Ressourcenverschwendung"?Nicole Tappée: Nur bedingt. Sicherlich, vor dem Hintergrund, dass Pitchhonorare heute nicht mehr selbstverständlich sind, kann man das überspitzt so sehen. Ich muss aber auch sagen, dass ich es schade fände, wenn die Pandemie so einen starken Einfluss auf unser Geschäft hat. Denn im Grunde arbeiten wir ja alle gerade unter denselben Bedingungen, alle sitzen im Homeoffice und alle Pitches sind digital. In den ersten zwei Wochen nach dem Lockdown hätte ich einen Pitch unangemessen gefunden. Aber jetzt, unter den genannten Voraussetzungen sind Pitches in meinen Augen gut und fair. Wenn sie denn pitchwürdig sind und wirklich alle teilnehmenden Agenturen unter denselben Bedingungen arbeiten. Das muss sichergestellt sein.
Health Relation: Was sind denn in Ihren Augen eigentlich pitchwürdige Aufträge?Nicole Tappée: Jenseits der attraktiven Umfänge auch Aufträge für Indikationen, in denen wir bereits viele Erfahrungen gesammelt haben und mit allen relevanten KOLs in den jeweiligen Bereichen verknüpft sind. Es gibt auch Pitches, die prestigemäßig interessant sind und in unser Portfolio passen. Ich persönlich bin ein Social Media Freak. Wenn ein Auftrag dieses abdeckt, bin ich natürlich sehr interessiert an ihm.
Was man auch nicht unterschätzen darf: Pitches sind zwar ein Aufwand, aber auch ein Konzeptionstest. Sie machen wach im Kopf, das wiederum ist auch gut für die Arbeit mit bereits bestehenden Kunden.
Health Relation: Laut GWA-Präsident Benjamin Minack ist jetzt nicht der Moment, mithilfe eines Pitches neue Geschäftsbeziehungen zu starten, sondern vor allem auf gewachsene Partnerschaften zu setzen. Geschäftsbeziehungen, die unter den jetzigen Bedingungen entstehen, seien vielleicht nicht so belastbar wie bereits existierende Zusammenarbeiten…Nicole Tappée: Auch hier kann ich nur betonen: Nicht jeder Auftrag ist pitchwürdig, und das schon vor Corona. Wenn ich mit einer Agentur zufrieden bin, warum muss ich dann pitchen lassen oder den Auftrag neu ausschreiben? Ich verstehe, dass Unternehmen manchmal einfach neue Impulse suchen, gerade, wenn man schon länger zusammen arbeitet. Das kann man aber kommunizieren und anders lösen. Indem man mit der Agentur spricht. Indem man zum Beispiel Partneragenturen für bestimmte Fragestellungen ins Boot holt. Sich Input als Ergänzung holt, ohne gleich zum Pitch auszurufen. Diese Fairness sollte auch außerhalb von Corona bestehen. Es wäre natürlich schön, wenn die Krise dazu führen würde, dass Agenturleistungen mehr gewürdigt werden.
Health Relations: Nun üben wir das alle gerade. Wenn das Business wieder mobiler wird, was glauben Sie: Werden beispielsweise Pitches auf internationalem Niveau weiterhin digital stattfinden?Nicole Tappée: Ich bin sehr überzeugt, dass das Geschäft digitaler wird und dass wir das, was wir jetzt lernen, weiter brauchen werden. Wir müssen da jetzt enthusiastisch reingehen. Ein Beispiel aus unserer Agentur: Wir haben schon Konferenzräume, die sich für Videokonferenzen eignen, planen aber zusätzlich eine Pitchbox, wo man ganz anders präsentieren kann, vor einem anderen Hintergrund. In der Healthcare-Branche sind auch internationale Kongresse ein wichtiges Thema. Es gibt inzwischen so viele coole Formate, die überzeugen und belegen: Das geht auch digital. Ich bin sicher, dass das Digitale die analoge Welt ergänzen wird. Insofern sehe ich die jetzige Zeit auch positiv: Wir sind gezwungen zu lernen. Mir macht das richtig Spaß!
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Health Relations: Frau Tappée, eine Diskussion um den Sinn und die Rechtfertigung von Pitches während der Corona-Krise beschäftigt Teile der Agenturwelt. Darf man pitchen lassen, wenn das Business alles andere als normal läuft? Wie sehen Sie das?"Ich sehe die jetzige Zeit auch positiv: Wir sind gezwungen zu lernen. Mir macht das richtig Spaß!"Health Relations: Kommen wir ins Doing. Der digitale Pitch bringt sicherlich seine ganz eigenen Herausforderungen mit, oder?Nicole Tappée: Oh ja. Wir merken das gerade selber, da wir wieder an Pitches teilnehmen. Das läuft sehr gut und alle sind inzwischen daran gewöhnt. Aber natürlich ist die Art und Weise der Präsentation eine andere, weil das Emotionale entfällt. Der persönliche Kontakt, der Small Talk im Vorfeld. Es ist nicht jeder Mitarbeiter geeignet, gut im digitalen Umfeld zu präsentieren. Man schaut die ganze Zeit direkt in eine Kamera, das liegt nicht allen. Man hat als Präsentator die Aufgabe, die Zuschauer an sich zu binden, damit sie einem folgen und sich nicht ablenken lassen. Dafür braucht es eine exakte Dramaturgie und eine gute Informationsvermittlung im Vortrag. Das Timing von gesprochenem Text und Bild muss passen. Das ist eine Herausforderung.
Pilotprojekt: ASCO Direct Digital und Deutsches Ärzteblatt kooperieren
Das Annual Meeting 2020 der American Society of Clinical Oncology (ASCO), der weltgrößte Onkologiekongress, findet erstmals ausschließlich digital statt. Und erstmals gibt es eine Medienkooperation zwischen dem Deutschen Ärzteblatt und der Plattform ASCO Direct Digital, auf der Kongressinhalte für deutsche Ärzte digital aufbereitet werden. Mit spannenden Werbeoptionen für Pharma. Mehr zu diesem Thema lesen Sie hier.Info: Nicole Tappée
Die studierte Ernährungswissenschaftlerin Nicole Tappée (45) war 14 Jahre in Köln für die Kommunikationsagentur antwerpes tätig. 2013 wurde sie in den Vorstand berufen und verantwortete insbesondere den Bereich Kommunikation und Interne Prozesse. Zuvor arbeitete sie in Frankfurt bei Gianni PR und Fleishman-Hillard. Seit fast 2 Jahren ist sie Geschäftsführerin bei der MCG Medical Consulting Group. Hier lesen Sie mehr über sie.https://www.healthrelations.de/pfizer-deutschland-ueber-den-perfect-pitch/