Es hatte sich schon lange angekündigt: Amazon bietet nun rezeptfreie Medikamente auf seiner Plattform an. Was bedeutet das für die Pharmabranche und das Pharma Marketing? Health Relations hat nachgefragt.
In der Branche munkelte man es schon lange – nun ist es Realität.
Klammheimlich ist Amazon in den Medikamentenversand eingestiegen. Es gab keine Pressemitteilungen, Werbemaßnahmen oder große Ankündigungen. Aus Amazons Presseabteilung heißt es lediglich: "Wir haben dazu keine Ankündigung gemacht." Verständlich, denn das Thema ist heikel: Der Versandriese gilt ohnehin schon als Datenkrake, der umfangreiche Profile seiner Kunden erstellt. Da bereitet der Gedanke, dass das Unternehmen nun auch noch erfährt, welche Arzneien jemand bestellt, vielen Kritikern zusätzliches Unbehagen.
Prime Now: Erste Tests schon in 2017
Prime Now in München: rezeptfreie Medikamente, apothekenexklusive Nahrungsergänzung und Apothekenkosmetik, sowie alles für die Hausapotheke © Amazon
Eine erste Testphase gab es jedoch bereits in 2017. Damals kooperierte der Konzern mit einer Münchner Apotheke.
Amazon Prime Now-Kunden konnten rezeptfreie Medikamente über die Plattform ordern. Die Lieferung erfolgte binnen einer Stunde oder innerhalb eines vorher vom Kunden festgelegten Zwei-Stunden-Fensters. Anscheinend verlief der Test zufriedenstellend, denn inzwischen steht der Dienst auch überregional und nicht nur für Prime-Now-Kunden zur Verfügung.
Für die Online-Apotheken ist das eine Entwicklung, die sie in ihrer Existenz bedrohen könnte. Amazon kann durch die Massenabnahme von Produkten ganz andere Preise anbieten, mit denen die Versandapotheken einfach nicht mithalten können. "
Es wird wohl eine Frage der Zeit sein, bis der Konzern den Markt übernommen hat und die Regeln bestimmt", so die Einschätzung von Frank-Oliver Kraus, Geschäftsführender Gesellschafter und Managing Partner der Agentur
KreativRealisten.
Für die Pharmakonzerne ist Amazon zunächst lediglich eine attraktive, reichweitenstarke Plattform für den Verkauf ihrer Produkte, so der Experte. Alex Gorsky, Chef von
Johnson & Johnson, dem größten Gesundheitskonzern der Welt, hatte sich
im Mai gegenüber dem Handelsblatt erfreut geäußert: "Wenn das eine Möglichkeit ist, den Vertrieb von Medikamenten effizienter zu gestalten und gleichzeitig die Sicherheit zu gewährleisten, dann wäre das positiv."
Neue Möglichkeiten für das Marketing
Was das Marketing angeht,
bietet Amazon nämlich völlig neue Möglichkeiten: So können Werbetreibende über die Amazon Advertising Platform (AAP) auf alle relevanten Werbenetzwerke zugreifen und diese mit den anonymisierten Käuferdaten von Amazon verbinden.
Kein anderer Konzern ist im Besitz so präziser Informationen über Kaufverhalten und Kaufinteressen.
Hinzu kommen verschiedene Werbeformate, die der Versandriese anbietet: "Sponsored Products" sind produktbezogene Anzeigen in den Suchergebnissen. Die "Headline Search Ads" sind eine Art Banner, die über den Suchergebnissen platziert werden.
Sie können das Markenlogo enthalten und einen sehr starken, sogar aggressiven Branding-Effekt haben, wenn sie über ganze Kategorien oder gar auf Suchanfragen zu Wettbewerbern geschaltet werden. Das dritte Werbeformat sind die "Product Display Ads". Diese werden unter dem Warenkorb-Button auf einer einzelnen Produktseite geschaltet.
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Amazon Sponsored Products
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Amazon Sponsored Brands
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Amazon Product Display Ads
Amazon denkt schon weiter
Eine schöne neue Marketing-Welt? Ja und nein. Denn es gibt auch Schattenseiten. "Mit Amazon zu arbeiten ist ein bisschen, wie mit den Haien zu schwimmen:
Man muss aufpassen, nicht gefressen zu werden", sagt Kraus. Er fährt fort: "Sind erst einmal die Online-Apotheken aus dem Markt verdrängt, kann Amazon die Preise für OTC-Medikamente so weit stressen, dass Pharmaunternehmen kaum noch Gewinne machen."
Mit anderen Worten:
Pharmaunternehmen werden dem Amazon-Kanal gelernte Marketing- und Contentstrategien nicht aufzwingen können. Entweder denken sie um, oder es wird genau umgekehrt ablaufen.
Für Amazon ist der Einstieg in den Arzneiversand nur der Anfang gewesen.
Der Großkonzern ist schon einen Schritt weiter: Kürzlich gab er eine Übernahmevereinbarung für das amerikanische Unternehmen PillPack bekannt. PillPack ist eine Online-Apotheke in den USA, die Patienten vorsortierte Dosen von Medikamenten nach Hause liefert. Die Firma liefert Amazon wichtige Lizenzen für den Medikamentenhandel – und Kundendaten. PillPack hat eine Apothekenzulassung in allen 50 Bundesstaaten der USA.
Die Entwicklungen zeigen Amazons Ziel, breit in die Gesundheitswirtschaft einzusteigen. Für die Pharma-Marketing-Landschaft bedeutet das weitere Umwälzungen, auf die es sich einzustellen gilt.
Frank-Oliver Kraus, Geschäftsführer, KreativRealisten, © KreativRealisten
Die KreativRealisten in Köln agieren seit 1973 in der zweiten Inhabergeneration für Healthcare- und Industrieprodukte sowie Dienstleistungen. Rx-, OTC- und Medizintechnik-Produkte gehören ebenso wie die Telemedizin und das betriebliche Gesundheitsmanagement zu den Beratungsfeldern der Gesellschaft für strategische Marketingkommunikation.