„Die Pharmareputation zeigt einen deutlichen Anstieg“
Michael Kickuth: Ich bin jetzt in meinem dritten Monat bei MSD Deutschland und habe die ersten Wochen genutzt, ganz viel mit meinen Kollegen zu sprechen, um mir ein Bild zu machen.
Health Relations: Mit welchem Ergebnis?Michael Kickuth:MSD Deutschland hat eine sehr klare Vision, wo die Reise hingehen soll und hat bereits vor knapp zwei Jahren eine Transformationsinitiative gestartet, um diese Vision umzusetzen. Dabei geht es um folgende Fragen: Wie verändert sich unser Umfeld? Wie wollen wir unser Geschäftsmodell gestalten, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein?
Health Relations: Und welchen strategischen Schwerpunkt wollen Sie persönlich in Zukunft setzen?Michael Kickuth: Für mich ist es faszinierend zu sehen, was bereits erreicht wurde. Aktuell liegt für mich der strategische Schwerpunkt damit weniger darin, neue Impulse zu setzen, sondern vielmehr darin, das Momentum fortzusetzen, um eine nachhaltige Umsetzung zu erreichen. Hier liegt meines Erachtens die Krux: Mit vielen der strategischen Themen, mit denen wir uns beschäftigen, setzen sich auch andere Pharmaunternehmen auseinander. Insofern ist es wichtig, dass wir die Mitarbeiter bei der Transformation wirklich mitnehmen. Wir sollten das Talent und die Neugier unserer Mitarbeiter nutzen, um schneller auf Veränderungen reagieren zu können. Ich bin überzeugt davon, dass die Nachhaltigkeit der Umsetzung am Ende der wichtigste Faktor sein wird.
Health Relations: Die Digitalisierung spielt in der strategischen Ausrichtung eines jeden Pharmaunternehmens inzwischen eine wichtige Rolle. Aber meinen Sie, dass die Pharmafirmen für die digitale Transformation, bei der es um die Entwicklung völlig neuer Arbeitsprozesse geht, auch gut vorbereitet sind?Michael Kickuth: Ich glaube nicht, dass Pharma per se schlechter als andere Industrien auf die Veränderungen vorbereitet ist. Aber ich denke, dass der Veränderungsdruck in der Vergangenheit weniger ausgeprägt war. Meiner Einschätzung nach spielen hier drei Faktoren eine Rolle: Erstens ist die Industrie hoch reguliert und wir können Patienten nur begrenzt direkt ansprechen. Zweitens hatten Daten außerhalb von randomisierten Studien für Zulassungsbehörden sowie für GBA/IQWiG weniger Relevanz und drittens waren die Ärzte häufig zufrieden mit dem klassischen Vertriebsmodell, sodass der Veränderungsdruck eher gering war.
Health Relations: Sie sind neuer Leiter Strategie bei MSD. Was haben Sie als erstes getan? Welche strategischen Schwerpunkte wollen Sie in Zukunft setzen?"Die Fähigkeit, in Zukunft unsere Entscheidungen datenbasiert zu treffen, wird unser Geschäftsmodell stark beeinflussen"Health Relations: Das beschreibt die Vergangenheit. Wie sieht es in der Gegenwart aus? Michael Kickuth: Ich glaube fest daran, dass sich das gerade ändert. Zum einen wirkt COVID-19 hier wie ein Katalysator und sowohl die Patienten- als auch die Arztinteraktion verändert sich. Im ersten Halbjahr 2020 wurden z.B. prozentual mehr Patienten in den USA telemedizinisch behandelt als persönlich. Ein Jahr zuvor lag die Quote bei gerade mal 2 Prozent. Ich glaube, dass einige dieser Veränderungen auch die Zeit nach COVID-19 überdauern werden. Das hat auch Implikationen darauf wie sich unser Vermarktungsansatz ändern muss. Gleichzeitig sehen wir auch in der Gesundheitspolitik den Willen zur Veränderung. Deutschland ist eines der ersten Länder weltweit, in denen elektronische Gesundheitslösungen eine Erstattung bekommen können. Ich glaube daran, dass sich hier für alle Akteure im Gesundheitswesen Chancen ergeben, da wir alte Denkmuster hinterfragen und Patientenlösungen so neu denken können. Health Relations: Das sind Entwicklungen, die sich auch langfristig auf den Pharmamarkt auswirken. Welche Themen werden speziell für das Marketing besonders wichtig?Michael Kickuth: Ich glaube, die Fähigkeit in Zukunft unsere Entscheidungen datenbasiert zu treffen, wird unser Geschäftsmodell stark beeinflussen: Unser gesamtes Geschäftsmodell basiert auf Daten. Die werden jedoch entweder in randomisierten Studien gewonnen, wenn es um unsere Produkte geht oder durch Marktforschung, wenn wir uns z.B. die Frage nach Kundenbedürfnissen stellen. Der gesamte Wert unserer Produkte beruht damit auf Daten einiger weniger strukturierter Untersuchungen. Wenn wir es in Zukunft schaffen, die Daten außerhalb unserer klinischen Studien besser zu strukturieren und auszuwerten, bin ich mir sicher, dass wir einen deutlichen Mehrwert für den Patienten und das Gesundheitssystem insgesamt generieren können. Health Relations: Wie könnte so etwas beispielsweise aussehen?Michael Kickuth: Ein Beispiel dafür ist eine Real-World Studie im Bereich Influenza. Hier wurden neben den traditionellen Patientendaten für fast 30.000 Studienteilnehmer auch Biodaten aus normalen Fitbit-Uhren ausgewertet. Man konnte so sehen, dass Patienten sogar bevor sie Symptome aufwiesen, eine stark erhöhte Herzfrequenz hatten. Damit konnten die Daten sehr gut einen Hinweis auf eine tatsächliche Influenzainfektion geben. Solche Daten sind für alle Akteure hochgradig interessant, weil sie dabei helfen, den Patienten früher und zielgerichteter zu therapieren. Das ist insbesondere bei Infektionserkrankungen wichtig und entlastet das Gesundheitssystem. Wenn wir aus solchen Daten digitale Gesundheitslösungen entwickeln und es schaffen, mit wirksamen Therapien zu verknüpfen, ergeben sich große Chancen.
"Insgesamt sehe ich optimistisch in die Zukunft"Health Relations: Wie so viele Bereiche hat Corona auch das Marketing stark beeinflusst. Welche Veränderungen hat es bei MSD gegeben?Michael Kickuth: Corona hat viele der Trends beschleunigt, die sich bereits vor Corona abgezeichnet haben. Insofern war bei MSD eher die Frage, wie der bisher eingeschlagene Weg zur Transformation weiter konsequent fortgesetzt werden kann, beziehungsweise wo er angepasst werden muss. Health Relations: Welche durch Corona bedingten Veränderungen sind vorübergehend und welche werden bleiben?Michael Kickuth:In der Verhaltensforschung spricht man davon, dass es ca. zwei bis drei Monate dauert, bis man sein Verhalten nachhaltig umgestellt hat. Deshalb glaube ich schon, dass einige von den Veränderungen, die wir sehen, langfristig sein werden. Unsere Kunden und auch wir haben gesehen, dass bestimmte Dinge nicht unbedingt ein Face-to-face-Meeting erfordern. Ich glaube, dass wir alle in Zukunft viel bewusster überlegen, welche Art der Interaktion für welchen Zweck am besten geeignet ist. Ich gehe deshalb davon aus, dass wir auch nach COVID-19 weniger klassische Meetings haben werden und bewusst andere, digitale Kanäle in verstärktem Masse nutzen werden. Health Relations: In den letzten Wochen haben Pharmafirmen viele positive Schlagzeilen gemacht. Was denken Sie, wie schlägt sich das auf das Image der Pharma nieder? Michael Kickuth:Insgesamt sehe ich optimistisch in die Zukunft. Wir sehen aktuell, dass die Reputation der Pharmaindustrie in der Wahrnehmung der Bevölkerung seit langer Zeit erstmalig einen deutlichen Anstieg zeigt. Ich glaube, dass die Leute in Zeiten von Corona sehen, dass die Pharmaindustrie weniger das Problem darstellt, sondern vielmehr ein Teil der Lösung sein kann. Wenn wir mit dieser Situation verantwortungsvoll umgehen, glaube ich, dass wir hier eine große Chance haben, der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, welchen Beitrag die Pharmaindustrie für die Gesellschaft leisten kann.