Seit Anfang des Jahres können medizinische Apps von Ärzten verschrieben werden. Welche Voraussetzungen gibt es dafür und was bedeutet das für die Pharmaindustrie?
In einer ohnehin vom Handy beherrschten Welt, in der laut dem IT-Branchenverband Bitkom Gesundheits- und Medizinapps bereits von jedem zweiten Smartphone-Besitzer genutzt werden, scheint es logisch, solche auch verschreiben zu können. Um dies zu ermöglichen, hat Bundesregierung  daher im vergangenen Dezember das "Digitale Versorgungsgesetz" (DVG) eingeführt. Das Gesetz legt u.a. fest, wie Ärzte, medizinische Apps verschreiben können. Die Bundesregierung erhofft sich dadurch eine verbesserte Patientenversorgung. Diese Hoffnung ist nicht unberechtigt: So gibt es beispielsweise für Diabetiker inzwischen eine Fülle an Apps wie digitale Diabetes-Tagebücher oder Anwendungen zur Blutzuckerkontrolle, zur Verbesserung des Lebensstils, der Ernährung und für sportliche Betätigung, die den tagtäglichen Umgang mit der Erkrankung erleichtern können. Der Zeitpunkt scheint günstig: Laut einer Untersuchung des Branchenverbands Bitkom e.V. ist jeder vierte Arzt bereit, medizinische Apps zu verschreiben.

Zulassung und Kostenerstattung

Allerdings muss eine App gewisse Kriterien erfüllen, um verschreibungsfähig zu werden. So muss zunächst geklärt werden, ob es sich bei der verschriebenen Anwendung tatsächlich um eine medizinische App und nicht etwa um eine Gesundheitsapp handelt. Gesundheitsapps werden auch Healthapps genannt und dienen dazu, den Lebensstil des Anwenders zu verbessern. Zu dieser Kategorie gehören beispielsweise Entspannungs-, Bewegungs- oder Fitnessapps. Medizinapps hingegen richten sich gezielt an Patienten oder deren Angehörige. Es sind in erster Linie Apps, die dem Nutzer bei der täglichen Bewältigung einer Erkrankung zu unterstützen. Dazu zählen z. B. auch Diabetestagebücher. Ob eine App ein Medizinprodukt ist und demzufolge unter rechtlich strenge Anforderungen fällt, regelt das Medizinproduktegesetz (MPG). Das schreibt eine CE-Klassifizierung aller Medizinprodukte durch sogenannte Benannte Stellen (z.B. das DIMDI oder der TÜV) vor. Benannte Stellen sind staatlich autorisierte Stellen, die Medizinprodukte in Bezug auf ihre Übereinstimmung mit den vorgegebenen ISO-Normen überprüfen. Für die Zulassung werden die Apps außerdem durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geprüft. Das Institut untersucht, ob die Anwendungen den rechtlichen Anforderungen an Sicherheit, Funktionstauglichkeit und Qualität entsprechen. Außerdem müssen die Anwendungen die Datenschutzvorgaben erfüllen, grundsätzlich Datensicherheit garantieren und einen positiven Effekt auf die Patientenversorgung nachweisen. Das Institut wird ein "Verzeichnis erstattungsfähiger digitaler Gesundheitsanwendungen" anlegen. Die ersten Pharmaunternehmen haben sich bereits um die Aufnahme ihrer Anwendung in die Liste bemüht. Bisher gibt es 10 zugelassene Apps (bisher sind es etwa Anwendungen zu Behandlung von Angststörungen, Migräne, Schlafstörungen oder Tinnitus). Andere, wie beispielsweise die  Diabetestagebuch-App mySugr, sind noch im Aufnahmeprozess.

Apps mit Siegel

Verschiedene Verbände haben sich zusammengetan und eigene App-Siegel entwickelt. Dazu gehören u.a. Diabetes-Verbände, deutsche Atemwegsliga e.V., Deutsche Hochdruckliga, die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Ziel ist, empfehlenswerte digitale Anwendungen zu ermitteln, die Betroffene unterstützen. Außerdem soll offengelegt werden, welche Probleme aus dem Gebrauch erwachsen können. Hersteller von Apps können sich um die Zertifizierung oder ein Siegel bewerben.
Bei der Erstattung durch die Krankenkassen verhält es sich ähnlich wie bei der Erstattung von neuartigen Arzneimitteln: Im ersten Jahr erhalten die Hersteller einen festgelegten Preis, danach wird verhandelt. Ist ein „Nachweis positiver Versorgungseffekte“ noch nicht erbracht, besteht die Möglichkeit, die App nur befristet in den Krankenkassenleistungskatalog aufzunehmen.

Verzögerung durch Corona

Aufgrund der aktuellen Coronakrise erfolgte im letzten Jahr der EU-Beschluss, die MDR-Anwendung um ein Jahr auf 2021 zu verschieben. Was bedeutet das für das Verschreiben von medizinischen Apps? Sofern es sich dabei um digitale Medizinprodukte handelt, die als digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) in das BfArM-Verzeichnis aufgenommen werden soll, gilt: Digitale Gesundheitsanwendungen können bis zum neuen MDR-Termin entweder nach MDD oder und schon nach dem neuen MDR zertifiziert werden. Darüber hinaus gelten etwaige Übergangsfristen. Apps, die bereits in das BfArM-Verzeichnis aufgenommen wurde, entsprechen demnach den rechtlichen Vorgaben und können weiter verschrieben werden. In einem Report, der sich mit den Auswirkungen des DVG auf den Markt der Gesundheitsapps beschäftigt, rät das Beratungsunternehmen McKinsey den App-Herstellern, ihre Anwendungen so zu konzipieren, dass sie intuitiv nutzbar sind. Darüber hinaus sollten sie  als Ansprechpartner für Rückfragen zur Verfügung stehen.  Es ist außerdem damit zu rechnen, dass unter Umständen ein Mehraufwand für direkt und indirekt beteiligte Leistungserbringer entsteht – z.B. für Ärzte, Psychotherapeuten oder Pflegedienste. Diese müssen  mit Fragen vonseiten der Patienten rechnen. "Für den gesamten Anwendungszyklus sollte es einen Anlaufpunkt für Patienten und deren Fragen geben. Diese Fragen würden dann sinnvoll zwischen Arzt, Entwickler und Krankenkasse aufgeteilt und beantwortet. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, Haftungsfragen bei Schäden oder Fehlanwendungen vorab zu klären", heißt es in dem Report. Um mit neuen Apps erfolgreich in den Markt zu kommen, rät McKinsey, Produkte rasch einzuführen, um sich möglichst früh Marktanteile zu sichern. Außerdem lohnt sich eine  Kooperation mit Pharma-/Medizintechnikunternehmen, denn deren Außendienste haben den Zugang zu Ärzten und Versicherten (im Rahmen des Heilmittelwerbegesetzes). Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit der Integration einer App in ein bestehendes Angebot und kann so als Gesamtpaket angeboten werden. Ein Beispiel:  Roche vermarktet die App mySugr zusammen mit Blutzuckermessgeräten. Auch die Zusammenarbeit mit Krankenhäusern erleichtert den Zugang zu  Ärzten und Versicherten.
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