Die pharmazeutische Industrie nutzt in ihrer Produktion laut IW vor allem Strom, Fernwärme und Gas. Wie bereitet sich die Branche auf die Energiekrise vor?
Wie energieintensiv ist die pharmazeutische Industrie in Deutschland eigentlich? Zuallerst: Die Energieintensität errechnet sich als Anteil der Energiekosten am Bruttoproduktionswert (BPW). In der Pharmaindustrie lag der Anteil im Jahr 2019 bei etwa 1 Prozent. Zum Vergleich: In der Chemieindustrie entfielen 3,5 Prozent des BWP auf die Energiekosten, in der Herstellung von Glaswaren, Keramik und der Verarbeitung von Steinen und Erden sogar 5,3 Prozent (Statistisches Bundesamt, 2022). Allerdings ist die Branche stark gasabhängig, und hier liegt vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Energiekrise das Problem.
Die Pharmaindustrie ist zudem auch abhängig von ihren Zulieferbranchen. Laut IW stammt ein Großteil der pharmazeutischen Vorprodukte aus der eigenen sowie der chemischen Industrie, die zu den engergieintensiven Branchen zählt.  Kommt es zu Lücken in der Lieferkette oder eine langfristige Unterbrechung der Gasversorgung, kann es zu Ausfällen in der Produktion kommen. Diese könnten zwar kurzfristig überbrückt werden, mittelfristig aber könne sie nicht ohne Einschränkungen aufrechterhalten werden (FAZ, 2022). Wie geht die Branche mit dieser Situation um?

Novartis

„Als global operierendes Unternehmen hat Novartis natürlich Notfallpläne für jedes Land, dies schließt eine mögliche Verknappung von Ressourcen ein“, antwortet das Unternehmen Novartis Pharma GmbH, auf Nachfrage. „Selbstverständlich beobachten wir die Lage und arbeiten eng mit den Behörden und Anbietern zusammen, um Patient:innen kontinuierlich mit Medikamenten versorgen zu können.“

Boehringer Ingelheim

Boehringer Ingelheim Fassbender über die Energiekrise

Jan Fassbender ist Leiter Global Facilities & Engineering (GFE) Deutschland bei Boehringer Ingelheim © Boehringer Ingelheim

Jan Fassbender, Leiter Global Facilities & Engineering (GFE) Deutschland bei Boehringer Ingelheim erklärt: „Als Unternehmen mit fünf Standorten in Deutschland beobachtet Boehringer Ingelheim die aktuelle Entwicklung der Energiesituation sehr genau. Bereits im Sommer hat Boehringer Ingelheim verschiedene Maßnahmen eingeleitet, um den Energieverbrauch im Allgemeinen – und insbesondere den Gasverbrauch – deutlich zu reduzieren.“ Gleichzeitig werde das Gas, das für verschiedene Prozesse noch erforderlich ist, schrittweise durch alternative – und wenn möglich regenerative – Energiequellen ersetzt. „Hinsichtlich der Energieversorgung der Standorte ist das Unternehmen demnach gut auf den Herbst und Winter vorbereitet, um – vor allem die Produktion – weiterhin sicherzustellen.“  Und wie sieht es mit den Mitarbeitenden aus? Bringen diese sich aktiv ins Geschehen ein? „Neben den Maßnahmen, die durch das Unternehmen eingeleitet worden sind, engagieren sich auch sehr viele Mitarbeiter proaktiv, um Energie in ihren Teams und Abteilungen einzusparen.“

Roche

„Wir haben für jeden Standort spezifische Back-up-Konzepte“

Holger Büth, Communications Manager bei Roche Pharma AG, erläutert im Interview, wie sich das Pharmaunternehmen auf die Herausforderungen der kommenden Monate und die Energiekrise vorbereitet.
Holger Büth, Communications Manager, Roche Pharma AG nüber Krisenkommunikation

Holger Büth, Communications Manager, Roche Pharma AG © Roche

Health Relations: Deutschland und die Energiekrise: Wie bereiten Sie sich auf den Herbst/Winter vor?Holger Büth:Unabhängig von der aktuellen Versorgungssituation optimieren wir ohnehin regelmäßig Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen in bestehenden Gebäuden. Hier können die größten Einsparungen erzielt werden. Dazu gehören u. a. der Einsatz neuer und effizienterer Technologien, eine gute Programmierung und Überwachung des Systems. Die Umsetzung solcher Maßnahmen braucht jedoch Zeit, und deshalb prüfen wir eine Reihe von Maßnahmen, die in diesem Winter umgesetzt werden können. Health Relations: Planen Sie mit „Notfallszenarien“?Holger Büth:Wir haben für jeden Standort spezifische Back-up-Konzepte. Dazu gehört beispielsweise der temporäre Umstieg von Gas auf Öl und Notstromdiesel. Am Standort in Penzberg wurden hierzu neue Lagertanks aufgestellt. Bei Roche in Mannheim haben wir ohnehin nur noch einen sehr geringen Bedarf an Gas, da wir dort seit 2018 Strom aus erneuerbaren Energien sowie Wärme aus der Abfallverwertung nutzen. Für die verbleibenden, produktionsbezogenen Anwendungen kann im Falle eines Gasausfalls in Deutschland ebenfalls Heizöl verwendet werden, denn unsere Kessel dort sind bivalent und können problemlos von einem Brennstoff auf einen anderen umgestellt werden. Am Standort Ludwigsburg wird kein Erdgas benötigt. Parallel dazu entwickeln wir Nachhaltigkeitsprojekte, die uns mittelfristig in die Lage versetzen sollen, unabhängiger von fossilen Brennstoffen (und Dritten) zu werden. Health Relations: Wie beziehen Sie Ihre Mitarbeitenden ein?Holger Büth: Wir haben eine globale “Ecologicals”-Community, die ausnahmslos durch die Mitarbeiter:innen getragen wird. Konkret heißt das, dass Mitarbeiter:innen aller deutschen Standorte diese Plattform nutzen, um Ideen zur Reduktion unseres ökologischen Fußabdrucks zu entwickeln und umzusetzen. Dazu gehören natürlich auch Energiesparmaßnahmen. In diesem Zusammenhang werden beispielsweise Energiesparwochen für alle Mitarbeitenden organisiert. Dazu gehören u. a. Tipps, wie jede/r einzelne Mitarbeiter:in durch ihr eigenes Verhalten am Arbeitsplatz (und auch privat) zur Energieeinsparung beitragen kann. Es gibt auch Energiescouts. Das sind Auszubildende, die sich für das Thema Umwelt interessieren und aktiv an der Optimierung von Energiemaßnahmen mitarbeiten möchten. Health Relations: Wie wirkt sich das Szenario auf Ihre Marketingaktivitäten aus? Stichwort höhere Kosten für Veranstaltungen oder für Druckmaterialien...Holger Büth: Wir setzen neben den klassischen Kommunikationskanälen und Dialogplattformen auf digitale und hybride Interaktionen. Daher betrifft unsere Marktaktivitäten nicht im erheblichen Umfang.