Krankheiten verhindern, bevor sie ausbrechen? Pharmariese Janssen engagiert sich für die Disease Interception und versucht, alle Stakeholder an einen Tisch zu holen.
Dank immer tieferer Einsichten in die biologischen Prozesse und neuer digitaler Technologien kann die Medizin bereits heute individuelle Veränderungen im menschlichen Körper nachweisen, bevor sich die Erkrankung in klinischen Symptomen manifestiert.
Janssen forscht in verschiedenen Indikationen zu Möglichkeiten der Disease Interception, sowohl mit schon zugelassenen Therapien zur Behandlung bereits manifestierter Erkrankungen als auch neuen Behandlungsoptionen.
Wir sprachen im Rahmen des
House of Pharma & Healthcare mit Dr. Dorothee Brakmann und Dr. Christoph Bug, beide Mitglieder der Geschäftsleitung bei Janssen Deutschland.
Health Relations: Was genau ist "Disease Interception"?Dr. Christoph Bug: Disease Interception bedeutet, Krankheiten zu behandeln, bevor sie ausbrechen. Dabei geht es darum, die Entstehung von Krankheiten zu verhindern. Disease Interception zielt darauf ab, krankmachende Prozesse im Körper des Gesunden frühzeitig zu erkennen und so zu behandeln, dass ihre Progression wirksam gestoppt wird.
Bei Janssen haben wir einen eigenen Forschungsbereich, der sich mit dem Thema Disease Interception befasst. Wir sind uns sicher, dass unser und das Engagement anderer Forscher dazu führt, dass man in den nächsten fünf bis zehn Jahren die ersten Therapien sieht, die genau in diese Richtung gehen. Fest steht aber auch, dass mit der frühzeitigen Diagnose und Intervention viele Fragen verbunden sind. Aus diesem Grund suchen wir dazu bereits heute den Dialog, um gemeinsam im Diskurs Antworten zu entwickeln. Unser oberstes Ziel ist es, dass innovative Therapien beim Patienten ankommen.
Die Ärzte werden in Zukunft vor gänzlich neue Aufgaben gestellt werden.
Dr. Dorothee Brakmann: Disease Interception kann zum Beispiel bedeuten, eine drohende Erkrankung schon im Kindesalter zu verhindern. Das wirft gänzlich neue Fragen auf, weil das Kind, wenn es diagnostiziert wird, noch gar nicht krank ist. In unserem System ist aber nur angelegt, dass wir Kranke behandeln. Weitere Fragen sind: Ist ein frühes Screening sinnvoll, und will jeder Betroffene von seinen individuellen Erkrankungsrisiken wissen? Die Ärzte werden also in Zukunft vor gänzlich neue Aufgaben gestellt werden.
Health Relations: Inwiefern ändert sich damit die Rolle des Arztes?Dr. Christoph Bug: Wir werden in Zukunft Hochrisikopatienten identifizieren, die ein genetisches Profil oder Biomarker haben, von denen wir wissen, dass mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten Jahre eine bestimmte Erkrankung entsteht. Der Arzt wird dadurch eine andere Rolle haben, weil er eher Berater ist als derjenige, der anhand von Symptomen und Vorgaben Therapien einleitet. Das wird nicht nur die Arzt-Patient-Beziehung verändern, sondern führt zwingend auch zu vielen ethischen Fragen. Gibt es ein Recht, Informationen über eine drohende Erkrankung nicht haben zu wollen? Wie gehen Patienten mit dieser Situation um, in der sie noch gesund sind, aber ihr individuelles Erkrankungsrisiko kennen? Was ist, wenn es zwar ein Diagnoseverfahren, aber keine wirksame Therapie gibt?
Dr. Bug und Dr. Brakmann (ganz links und ganz rechts) moderieren einen Workshop zum Thema "Neue Diagnose- und Therapiemöglichkeiten" beim 7. House of Pharma & Healthcare. © Andreas Henn
Health Relations: Warum engagiert sich Janssen für eine Diskussion zu diesem Thema?Dr. Dorothee Brakmann: Wir möchten im gesellschaftlichen Diskurs Antworten finden, wie die Akteure des Gesundheitswesens in einer Zukunft zusammenarbeiten, in der neue Therapien und Möglichkeiten zur Verfügung stehen werden. Heute ist es so, dass bestimmte Punkte im Leben eines Versicherten für die Prävention herangezogen werden: Check-up 35, Check-up 45, und so weiter. Gleichzeitig führt die Digitalisierung dazu, dass der Patient immer mehr über sich selbst weiß. Werden wir in Zukunft für Diagnosen weiter zum Arzt gehen, oder werden wir von
Wearables überholt, die frühzeitig einen Hochrisikopatienten erkennen? Ich bin mir sicher, dass wir vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklung eher früher als später mit diesen Fragen konfrontiert werden.
Health Relations: Was bedeutet Disease Interception für die Finanzierung des Gesundheitssystems?Dr. Christoph Bug: Disease Interception ist auch eine Herausforderung für die Kostenträger, denn im derzeitigen System muss der langfristige Nutzen einer Therapie die Kosten, die im aktuellen Jahr dafür anfallen, rechtfertigen. Für Patienten und Gesellschaft hat es einen Wert, dass jemand weiter am Leben teilhaben kann, arbeiten kann, nicht erkrankt und eben keine jahrelange Therapie benötigt. Die Lebensqualität, die dadurch für Patienten erreicht werden kann, ist ein wichtiger Punkt. Der Nutzen, den die neuen Therapien über lange Zeit bringen werden, übersteigt die Kosten, die sie erstmal verursachen.
Bei klassischen Präventionsmaßnahmen wird mit der Gießkanne behandelt.
Dr. Dorothee Brakmann: Der entscheidende Unterschied zwischen Disease Interception und klassischen Präventionsmaßnahmen ist, dass dabei mit der Gießkanne behandelt wird und keiner weiß, ob der einzelne Patient am Ende wirklich davon profitiert. Bei Disease Interception wird gezielt in die Behandlung bestimmter Hochrisikopatienten investiert, um den Ausbruch einer Erkrankung zu unterbrechen beziehungsweise zu verhindern. Dadurch können langfristig Behandlungskosten sowie Folgekosten wie zum Beispiel Pflegekosten verhindert – und die Lebensqualität der Betroffenen deutlich gesteigert werden. In diesem Zusammenhang müssen wir sicherlich auch über neue Modelle der Preisbildung nachdenken, die risikojustiert sind und bei denen die Patienten länger nachbeobachtet werden.
Dr. Christoph Bug: Wir bei Janssen sind aber nicht diejenigen, die alle Antworten haben, sondern jene, die eine Diskussion über die Zukunft anstoßen wollen. Denn die Antworten auf diese Fragen kann man nur gemeinsam mit allen Akteuren im Gesundheitswesen finden. Deshalb haben wir im April 2018 auch das "
Janssen Open House" initiiert, zu dem wir verschiedene Stakeholder eingeladen haben, um diese Themen zu diskutieren. Zwar guckt jeder erstmal auf seinen Bereich, aber es ist gerade der Austausch wichtig, um diese schwierigen Zukunftsfragen zu beantworten. Das geht nur miteinander. Deshalb wird es das Janssen Open House auch 2019 wieder geben.
© Janssen Deutschland
Dr. Dorothee Brakmann übernahm 2018 die Leitung der Abteilung Gesundheitsökonomie, Marktzugang & Erstattung und ist Mitglied der Geschäftsleitung von Janssen Deutschland. Brakmann approbierte 1996 im Bereich Pharmazie und war sowohl als Apothekerin in einer deutschen öffentlichen Apotheke als auch als Krankenhausapothekerin in Großbritannien tätig. Danach arbeitete sie unter anderem für Kostenträger im Gesundheitswesen, entwickelte pharmakoökonomische Softwarelösungen für Apotheken und promovierte im Fach Drug Regulatory Affairs. 2008 wechselte Brakmann als Leiterin Gesundheitspolitik zu Janssen Deutschland.© Janssen Deutschland
Dr. Christoph Bug übernahm 2018 die Position des Medizinischen Direktors und ist Mitglied der Geschäftsführung von Janssen Deutschland. Bug promovierte 2001 an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt (Main) im Bereich Kardiologie. Zudem erwarb er einen International MBA am Instituto de Empresa in Madrid, Spanien. Im Jahr 2004 stieg der Mediziner bei Janssen ein und war zunächst in den Bereichen Gesundheitsökonomie und Erstattung sowie Public Affairs tätig. Nach einer leitenden Tätigkeit bei einem medizinischen Servicecenter kehrte er 2010 zu Janssen zurück.