„Die Produkte von Google und Co. prägen die Erwartungshaltung der Patienten“
Axel Bindewalt:Google ist bekannt dafür, mehr als nur eine Suchmaschine im Internet zu sein, die Daten sammelt und Konsumentenverhalten analysiert. Seit längerer Zeit sind Unternehmen wie Google bereits auf dem Healthcare-Markt aktiv. Mit Tochterunternehmungen wie Verily oder DeepMind arbeitet Google an Lösungen für den Gesundheitsmarkt in den unterschiedlichsten Bereichen. Insbesondere die Ansammlung und Auswertung von Daten sind für diese Firmen besonders interessant, denn hierin steckt das größte Potential, sowohl den Markt, die Verbesserung der Versorgung und der Diagnostik als auch die Prognostizierung von Erkrankungen der Zukunft anzugehen.
Health Relations: Wie wird sich der Markt in Zukunft entwickeln?Axel Bindewalt:Experten auf dem Gesundheitsmarkt sprechen schon jetzt davon, dass die gesteuerte Ansammlung von Daten und der Einsatz von künstlicher Intelligenz für die Patientenversorgung der Zukunft immer essenzieller werden. Ein Beispiel ist die durch künstliche Intelligenz unterstütze Auswertung im Bereich der bildgebenden Diagnostik. Bei einem MRT erkennt das Programm durch die Ansammlung von Daten anhand von bestimmten Erkennungsmerkmalen veränderte Gewebsstrukturen, die dem bloßen Auge möglicherweise nicht direkt auffallen würden. Auf dem Gebiet der Datensammlung und deren gezielter Auswertung sind die Tech-Giganten die Profis, und der Gesundheitsmarkt kann von ihrer Technologien profitieren.
Health Relations: Kürzlich wurde bekannt, dass Google Fitbit kauft. Warum sind Wearables so spannend für den Markt?
Axel Bindewalt: Wearables, wie zum Beispiel Smartwatches, sind für den Gesundheitsmarkt sehr interessant, denn mit ihnen lassen sich ohne den Einsatz von medizinischem Personal Gesundheitsdaten wie Herzfrequenz, Puls und Bewegung aufzeichnen. Ich selbst bin Besitzer einer Smartwatch und nutze sie für die verschiedensten Auswertungen über meinen Körper. Neben der Sammlung von Daten über den Gesundheitszustand des Trägers, der so seinen Körper selbst im Auge behält, stecken in der Technologie für Smartwatches weitere Potenziale: Beispielweise können durch Sensoren bei Epilepsieerkrankten und sturzanfälligen Patienten Frühsymptome erkannt werden, die automatisch einen Notruf auslösen. Die Versorgung von Patienten beginnt damit schon zuhause, ohne dass dafür eine andere Person anwesend sein muss.
Health Relations: Wie Sie eben sagten, hat Google bereits andere Unternehmen aus dem Healthcare-Bereich im Portfolio, warum also wollte man gerade Fitbit kaufen? Axel Bindewalt: Betrachtet man den Markt für Wearables sind hohe Absatzzahlen für die Zukunft prognostiziert und die Erwartungen vielversprechend. Bisher hatte Google noch keinen größeren Zugang zu diesem Markt. Mit dem Kauf von Fitbit und zu Beginn des Jahres durch den Zukauf von Technologien von Fossil, hat sich das nun geändert. Google könnte die Verbreitung ihres eigenen Betriebssystems weiter forcieren. Aber neben den Absatzzahlen für Wearables sind natürlich die Daten, die durch diese Geräte erhoben werden, für Google interessant. In einem Statement des Geschäftsführers von Fitbit wurde betont, dass Google die Daten nicht für Werbezwecke nutzen wird. Dennoch ist das Sammeln von Gesundheitsdaten für einen Konzern, der sich zunehmend weiter auf dem Healthcare-Markt etablieren wird, ein großes Asset.
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Health Relations: Dass Google Interesse am Healthcare-Markt hat, ist bekannt. Was macht diesen Markt für das Unternehmen so interessant?Smartphone-Apps und kabellose Anwendungen beschleunigen Wachstum im Gesundheitsmarkt
Health Relations: Was bedeutet der Eintritt von Google, Amazon und Co. in den Gesundheitsmarkt für etablierte Player?Axel Bindewalt:Daten zum Kundenverhalten haben die Analyse dieser Daten mittlerweile perfektioniert. Jeder von uns kennt das Gefühl, dass er über etwas spricht und ihm dazu auf einmal eine passende Werbung gezeigt wird. Das liegt nicht daran, dass Amazon oder Google uns belauschen und bei unseren Unterhaltungen zuhören, sondern daran, dass durch Daten, die wir an jeder Stelle in unserem Alltag generieren, unser Kaufverhalten prognostiziert und vorherbestimmt werden kann. Unser Verhalten kann somit auch gelenkt und unsere Entscheidungen beeinflusst werden. Stellen Sie sich die Implikation für den Gesundheitsmarkt vor, wenn Ihnen zum Beispiel ihre Smartwatch sagt, dass ihre Herzfrequenz über einen längeren Zeitraum zu hoch ist und Sie einen Arzt aufsuchen sollten, oder Sie möglicherweise Werbeblocker mit entsprechenden Medikamenten sehen. Amazon und Google haben schon jetzt mit spannenden Business-Ideen begonnen, die Gesundheitsversorgung für ihre Mitarbeiter zu verbessern. Health Relations: Sie sprechen von Amazon Care, richtig?Axel Bindewalt: Ja, Amazon Care ist ein Programm, bei dem das Unternehmen seinen Angestellten eine Art virtuelle Arztpraxis zur Verfügung stellt. Dies ist aber noch nicht flächendeckend auf dem Markt verbreitet. Jedoch müssen auch große etablierte Player diese Unternehmen engmaschig beobachten und ihre Marktaktivitäten ernst nehmen. Die baldige Einführung einer elektronischen Patientenakte in Deutschland birgt immense Herausforderungen für alle Beteiligten des deutschen Gesundheitswesens, da diese noch nicht ausreichend technologisch vorbereitet sind. Gerade bei solchen Themen haben Unternehmen wie Google fortgeschrittene Technologien parat, um möglicherweise schnell Lösungen auf dem Markt anbieten zu können."Für die deutschen Akteure heißt es mehr und mehr: zusammen Angebote schaffen und aufeinander abstimmen."Health Relations: Und was bedeutet das für den deutschen Markt?Axel Bindewalt:Die Digitalisierung in der Gesundheitswirtschaft in Deutschland geht im Vergleich zum Herkunftsland der angesprochenen Technologieunternehmen, aber auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, weitestgehend schleppend voran. Zwar wird mit der Einführung der einheitlichen Telematikinfrastruktur und der elektronischen Gesundheitskarte die technologische Basis für den sicheren Austausch von medizinischen Informationen geschaffen. An neuen technologischen Entwicklungen wird aber meist erst mit großem Zeitverzug partizipiert. Wir befinden uns in einem agilen, technologischen Umfeld, in dem fortwährend neue Entwicklungen bewertet und für den Einsatz innerhalb unseres Gesundheitssystems geprüft und zeitnah umgesetzt werden müssen. Über die Entwicklung und den Einsatz von Prototypen müssen Innovationen frühzeitig auf Mehrwert getestet und anschließend in der Breite ausgerollt werden. Dabei sollten stets die Anforderungen des Patienten im Fokus stehen. Die mündigen Patienten fordern die Digitalisierung aktiv ein und haben durch das Wissen der Produkte von Apple, Google und Co. eine entsprechende Erwartungshaltung an den deutschen Versorgungsapparat, nicht nur in digitaler Hinsicht. Für sie ist eine geplante, strukturierte Behandlung über Anbieter und Institutionen hinweg wichtig: Vorsorge, Behandlung, Nachsorge in einem Stück gedacht. Für die deutschen Akteure heißt das mehr und mehr: zusammen Angebote schaffen und aufeinander abstimmen. Systempartnerschaften, Spezialisierung, Vernetzung und Reproduzierbarkeit werden wohl zu den wichtigsten Prämissen in der Medizin von morgen. Health Relations: Während Google eine Kooperation mit dem zweitgrößten US-Healthcare-Unternehmen Ascension eingeht und Unmengen von Gesundheitsdaten auswertet, um Ärzten ein Werkzeug zur Verfügung zu stellen, mit dem diese schneller an Gesundheitsdaten herankommen, werkelt man hierzulande noch an der elektronischen Patientenakte. Was sagt das über Deutschland und seinen Digitalisierungsstand aus?Axel Bindewalt:Wenn wir uns als Beispiel das Electronic Medical Adoption Model (von HIMSS Analytics) zur Messung des Digitalisierungsgrades in Krankenhäuser anschauen, wird deutlich, dass der Digitalisierungsgrad deutscher Krankenhäuser bezogen auf die EU nur unterdurchschnittlich ist. Insbesondere die schlechte Vernetzung von Krankenhäusern, Kliniken und Arztpraxen, sowie die schleppende Einführung von Kommunikationsstandards und Formaten stellt eine enorme Hürde für den Einsatz neuer digitaler Innovationen dar. Es fehlt dabei aber nicht an dem Bewusstsein für diesen Nachholbedarf, es fehlt insbesondere an Investitionen und strategischen Partnerschaften mit anderen Leistungserbringern und IT-Dienstleistern. Die Versorger müssen investieren und Innovationen fördern, nur so ist eine Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten. Health Relations: Wie können sich Staaten vor der Übermacht von Datenriesen wie Google und Amazon schützen?Axel Bindewalt:Ein Großteil der weltweit produzierten Daten wird zurzeit von einigen wenigen großen Technologieunternehmen kontrolliert, die ihre Marktmacht stetig ausbauen. Um diesem Risiko entgegenzuwirken, sind zum einen die gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Sicherung unserer Datensouveränität zu schaffen. Zum anderen müssen wir uns die Frage stellen, ob wir uns dem Wettbewerb annehmen oder als Konsumenten von anderen Wettbewerbern abhängig bleiben wollen. Wenn wir uns dem Wettbewerb annehmen, so sollte dies in Zusammenarbeit mit den Marktteilnehmern innerhalb Deutschlands bzw. der Europäischen Union sein. Wir sollten die intersektorale Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen E-Health-Experten und europäischen Technologiepartnern fördern und stärken. Health Relations. Was hat Deutschland anzubieten, was die großen Technologiekonzerne nicht haben?Axel Bindewalt: Eine Umorientierung, weg von den großen Technologieunternehmen, birgt Risiken, aber auch Chancen. Deutschland beheimatet mittlerweile eine breite Masse innovativer, junger Start-ups, die bereits jetzt eine Vielzahl von Themen, die die deutsche Gesundheitswirtschaft beschäftigt, adressieren. Die Chance besteht durchaus, hier gemeinsam an den richtigen Lösungen für den deutschen Gesundheitsmarkt mitzuwirken. Die Lösungen für den deutschen Gesundheitsmarkt müssen dabei stets die hohen Anforderungen an die Persönlichkeitsrechte und den Datenschutz der Endanwender im Auge behalten. Jedoch dürfen diese Anforderungen nicht dafür sorgen, dass der Zugang zum Wettbewerb für neue Marktteilnehmer erschwert wird.
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