Wie wird der Kongress der Zukunft aussehen: ein Präsenzevent, eine virtuelle Veranstaltung oder sogar hybrid? Dazu hat sich Andreas Oertel, Kommunikationsberater bei der Agentur ART.media, in diesem Gastbeitrag Gedanken gemacht.
Mein erster Kongressbesuch in der Corona-Zeit: Ich treffe einen alten Wegbegleiter und strecke ihm unüberlegt die Hand entgegen. Mein Gegenüber erwidert die Geste, bevor er blitzartig wieder zurückzieht und seinen Ellenbogen zur Begrüßung anbietet.
Die anstehende Kongresssaison wird anders sein, als wir es aus den letzten Jahren kennen. Während sich die einen Veranstalter in den
virtuellen Raum flüchten, stemmen die anderen
Präsenzveranstaltungen unter massiven Sicherheitsauflagen. Wiederum andere setzen auf eine
hybride Lösung, eine Mischform aus realem Event und virtuellem Raum. Doch welcher Kongresstyp wird sich auch nach der Corona-Phase durchsetzen? Kann ein digitales Event überhaupt den persönlichen Kontakt zwischen den Besuchern herstellen? Und wie funktioniert das mit der
Leadgenerierung im virtuellen Raum?
Früher war alles besser – die Präsenzveranstaltung
Eine oft gehörte Aussage auf Kongressen: Ein digitales Event kann das Live-Erlebnis und den persönlichen Kontakt niemals ersetzen. Vor Ort können die Repräsentanten eines Unternehmens ihre Key Opinion Leader direkt ansprechen und mit ihrem Charme und ihrer Eloquenz beeindrucken. Der Preis sind allerdings die schweren Beine nach einem ereignisreichen Kongresstag, ein hoher zeitlicher und materieller Aufwand durch die Anreise sowie
vorprogrammierte Terminkonflikte durch parallel stattfindende Ereignisse. Während der Corona-Pandemie kommt hinzu, dass durch die sich ständig verändernden Rahmenbedingungen die
Planungssicherheit leidet. Viele Veranstaltungsorte werden für mehrere Jahre im Voraus gebucht und können nicht so einfach storniert werden.
Wie könnte die Zukunft der Kongresse aussehen?
Inhalte können von Zuhause live oder auf Abruf angeschaut werden,
Live-Diskussionen oder Fragenrunden bieten die Möglichkeit der Interaktion und auch die virtuelle Industrieausstellung macht es möglich, einen Video-Chat mit einem Unternehmensvertreter zu führen. Viele Sponsoren und Aussteller könnten allerdings bemängeln, dass im Digitalen die
Unternehmenspräsenz bei weitem nicht so stark wahrgenommen wird. Hier sind kreative Lösungen seitens der Kongressveranstalter gefragt. Auch wenn wir im virtuellen Raum die Schwerkraft außer Kraft setzen können und den eindrucksvollsten Messestand der Welt bauen können, so wird eine Installation am Veranstaltungsort einen viel größeren Eindruck hinterlassen. Aber: Was digitale Konferenzen betrifft, stehen wir gerade am Anfang der Evolution.
- Stichwort persönlicher Kontakt: Videochats bieten bereits jetzt die Möglichkeit, sich in Echtzeit und von Angesicht zu Angesicht auszutauschen
- Auf Grundlage eines Webcam-Bildes können individualisierte Avatare erstellt und über die Industrieausstellung geschickt werden. Das Gespräch mit dem Geschäftspartner ist dann nur noch ein Mausklick entfernt.
- Im nächsten Schritt werden auch Virtual Reality-Technologien im Veranstaltungsbereich flächendenkend Einzug halten, was dem Live-Erlebnis sehr nahekommt.
Auf Grundlage eines Webcam-Bildes können individualisierte Avatare erstellt werden. © sh240 / Adobe Stock
Wie funktioniert Leadgenerierung im virtuellen Raum?
Insbesondere für Pharma-Unternehmen dienen medizinische Kongresse der
Leadgenerierung, also dazu, Ärzte für das eigene Produkt zu gewinnen. Dies gelingt Pharmareferenten, indem sie die Mediziner am Messestand ansprechen oder ihnen die Kontaktdaten über ein Gewinnspiel entlocken. Doch wie lassen sich
qualifizierte Kontakte im virtuellen Raum generieren, in dem die persönliche Ansprache nicht möglich ist? Virtuelle Events halten dem das Sammeln von Daten entgegen.
- Jeder Online-Teilnehmer hinterlässt seine Spuren – sei es durch die Anmeldung oder das Herunterladen von Unternehmensbroschüren und Publikationen.
- Bewegungsprofile verraten, wie lange sich ein vermeintlicher Interessent vor dem virtuellen Messestand aufgehalten hat.
- Durch Datenanalysen ist es auch möglich Zielpersonen auszumachen, die bis jetzt unter dem Radar der Marketing- und Sales-Verantwortlichen geflogen sind.
Natürlich bringt die „Sammelwut“ auch Datenschützer und Legal-Abteilungen auf den Plan. Umso wichtiger ist es, dass der virtuelle Kongressveranstalter neben der Technik-Expertise auch über ein bestimmtes Branchenwissen verfügt.
Das hybride Event findet real und virtuell statt. © THANANIT / Adobe Stock
Für wen eignen sich Hybrid-Veranstaltungen?
Viele Kongressveranstalter haben in der Corona-Zeit bereits Veranstaltungsorte gebucht und wären auf den Kosten hängengeblieben. Geboren war das
hybride Event, das real und virtuell stattfindet. So können unter Einhaltung der Hygienerichtlinien die Interessenten abgeholt werden, die den persönlichen Kontakt nicht missen wollen. Wer massive Sicherheitsbedenken in sich spürt, kann der virtuellen Begleitveranstaltung beiwohnen.
Doch lohnt sich der doppelte Aufwand? Schließlich müssen sowohl die
Kosten vor Ort als auch die für die technische Infrastruktur im virtuellen Raum gedeckelt werden. Wer sich nur für ein Veranstaltungsformat entscheidet, wird immer den Teil der Interessenten verlieren, der der anderen Lösung zugewandt ist. Deswegen rentieren sich Hybrid-Veranstaltungen insbesondere für Unternehmen, die ein Expansionskurs fahren.
Kaffeetrinken im virtuellen Raum
Alle vorgestellten Event-Formate haben ihre Daseinsberechtigung und sorgen in Corona-Zeiten für die nötige Flexibilität. Im Idealfall beherrscht der entsprechende Kongressveranstalter die komplette Klaviatur und kann dementsprechend zeitnah mit einer adäquaten Lösung reagieren. Bei der Auswahl eines digitalen Anbieters sollte unbedingt auf das Branchen-Know-how und die technische Expertise geachtet werden. Technische Pannen sind der Tod einer jeden digitalen Veranstaltung.
Wer sich beides leisten kann, sollte einen Hybrid-Kongress in Betracht ziehen. Präsenzveranstaltungen werden nicht von der Bildfläche verschwinden, büßen allerdings Anteile an die digitale Schwester ein.
Virtuelle Messen punkten hingegen mit neuen Möglichkeiten der Leadgenerierung, können ein Manko allerdings nichts völlig ausräumen: das Fehlen des
persönlichen Kontaktes. Allerdings gibt es schon ziemlich gute Lösungsansätze. Ein Beispiel: Der Kaffeeausschank an Messeständen gehört zum Standard. Nach einem erfolgreichen Austausch im virtuellen Raum erhält der Gesprächspartner einen Kaffee-Gutschein per Mail. Bei dem Einlösen in der Filiale einer Kaffeehauskette um die Ecke wird der Kaffee dann mit herzlichen Grüßen vom Unternehmen XY überreicht. Schöne neue Welt.