MSD-Strategie: Weg vom Bauchgefühl, hin zur Messbarkeit
Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die RX-Kommunikation? Müssen sich Pharma-Unternehmen strukturell neu aufstellen? Nur zwei von vielen Fragen, auf die Pharma Antworten finden muss. Auf Health Relations stellen führende Branchen-Köpfe ihre digitalen Strategien vor. In dieser Folge: Florian Hunger-Reichardt, Director Digital Transformation bei MSD, und Melanie Stahr, MSD-Manager Corporate Communications / External Affairs.
"Wir sind ein großer Tanker. Für uns ist es wichtig, zu lernen, mit der Geschwindigkeit der Welt da draußen mithalten zu können." Florian Hunger-Reichardt ist seit einem Jahr als Director Digital Transformation im Bereich External Affairs und Digital Transformation für MSD Sharp & Dohme tätig. In dieser Zeit haben er und sein Team das Unternehmen in Sachen Mindset auf den Kopf gestellt und eine Digital-Strategie entworfen, die es fit für die Zukunft machen soll. Geschwindigkeit ist eines der elementaren Themen in diesem Kontext. MSD beschäftigt laut eigenen Angaben in Deutschland rund 2.100 Mitarbeiter. International arbeiten rund 69.000 Menschen in 140 Ländern für den Pharma-Konzern. Das ist es, was Hunger-Reichardt mit den Worten "großer Tanker" beschreibt. "Wir waren und sind einer der weltweit erfolgreichsten Pharmakonzerne, haben erstklassige Produkte. Darauf können wir stolz sein. Aber das wird in Zukunft nicht reichen. Wir müssen noch mehr an den Kunden heranrücken, ihm zusätzlichen Service und Informationen bieten. Wir müssen neue Standards schaffen.""Wir müssen wegkommen vom Bauchgefühl, müssen Annahmen in die Überprüfbarkeit, in die Messbarkeit überführen."Aus Sicht von Florian Hunger-Reichardt kann MSD dabei viel von anderen Branchen auch aus dem Consumer Segment lernen. Zum Beispiel von Amazon Prime oder Netflix, deren Geschäftsmodelle darauf basieren, die individuellen Needs des Kunden zu realisieren und zeitnah zu befriedigen. Mithilfe digitaler Kanäle, einer ausgefeilten Infrastruktur und einer 24/7 Unternehmenskultur haben diese Unternehmen eine niet- und nagelfeste Customer Journey entwickelt. Genau das ist es, was MSD in Zukunft erreichen möchte. Das Schlagwort heißt Customer Centricity. "Aufgrund unserer Größe haben wir uns in der Vergangenheit zu stark um uns selber gekümmert und teilweise vom Kunden entfernt. Das ändern wir. Unser neues Operating System stellt den Kunden in den Mittelpunkt", erklärt Hunger-Reichardt den Change im Unternehmen. "Wir versuchen nicht mehr, unsere Kunden in Excel Sheets zu pressen. Wir müssen stattdessen herausfinden, was die Needs unserer Customer sind. Wir müssen wegkommen vom Bauchgefühl, müssen Annahmen in die Überprüfbarkeit, in die Messbarkeit überführen. Wir müssen KPIs definieren, diese auf die einzelnen Kanäle anwenden und analysieren, welcher Content und welche Maßnahmen für den Arzt relevant sind. Und wir müssen lernen, dem Kunden noch besser zuzuhören." Warum? "Weil wir überzeugt sind, dass Increased Customer Value zu Business Value führt." Zentrales Tool in der B2B-Kommunikation ist die gebrandete Plattform MSD Connect. Hier stellt der Konzern Ärzten und Wissenschaftlern weiterführende Infos und Materialen zu unterschiedlichen Themengebieten zur Verfügung. Laut Unternehmen sind derzeit circa 49.000 Ärzte auf der Plattform registriert. Das ist ausbaufähig, so Hunger-Reichardt. "Und das funktioniert nur über relevante Inhalte und individualisierten Service." Genau das zu bieten aber ist die Königsdisziplin. Wie finde ich heraus, was dem Kunden wirklich gefällt? Was ist das Gelbe vom Ei? Um diese Rückschlüsse zu ziehen hat MSD bereits neue Schlüsselpositionen wie etwa die des Data Analysten oder des Experience Designers geschaffen.
"Es geht um das Thema Acceleration. Das Ziel ist Beschleunigung. Beispiel: So können wir es uns etwa nicht mehr leisten, eine Kampagne ein Jahr zu planen – um festzustellen, dass die Welt da draußen sich längst weiter gedreht hat."Neben der eigenen Plattform bespielt das Unternehmen auch andere Kanäle. Fremdportale wie Univadis, klassische PR-Auftritte in Print-Produkten, personalisierte Mails, die eigenen Newsletter und der nach wie vor wichtige Außendienst zählen zu den genutzten kommunikativen Tools. Hunger-Reichardt und sein Team probieren derzeit viele Kanäle aus, um beurteilen zu können, welche von ihnen relevant und für das Unternehmen handelbar sind. Social Media spielt hier eine große Rolle und ist Teil einer umfassenden Omnichannel-Strategie. Für MSD ist dieses Feld ein noch relativ unbearbeitetes. "Pharma und Social Media, das ist ein Clash of Cultures", berichtet Melanie Stahr. Seit eineinhalb Jahren ist sie als Manager Corporate Communications bei MSD tätig und unter anderem zuständig für den Bereich Social Media. "Viele Unternehmen stehen diesen Medien noch kritisch gegenüber. Natürlich sind auch unsere Beiträge strengstens geprüft und werden einer Risikobewertung unterzogen. Und wir beobachten intensiv die Kommentare. Ich sage immer: ‚Das Schlimmste, was passieren kann, ist, das nichts passiert.’ Wir kriegen Feedback von unseren Kunden, direkt und ungefiltert. Und können darauf reagieren. Das ist super. Natürlich ist das ein Risiko. Aber auch eine große Chance, den Arzt und Patienten besser kennenzulernen." https://youtu.be/rOv1HKt5two Ein Beispiel für mutige Kommunikation im Netz: „ENTSCHIEDEN. Gegen Krebs.“ ist eine Multichannel-Kampagne gegen bestimmte HPV-Erkrankungen, die MSD unter anderem zusammen mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V., dem Berufsverband der Deutschen Urologen e. V. oder der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung e.V. initiierte. https://youtu.be/v78H-fX2d4g "Es gab eine umfassende Risikobewertung im Unternehmen, denn das Thema Impfen ist in Deutschland ein sensibles. Trotzdem haben wir die Kampagne mit unseren Kooperationspartner innerhalb von acht Monaten auf die Beine gestellt und sind damit raus gegangen. Mit Erfolg. Das Ziel der Awareness wurde erreicht, das Risiko war dank guter Partner überschaubar", so Melanie Stahr.Die Definition von Standards und deren Messbarkeit sind zwei Säulen, auf denen die digitale Strategie von MSD basiert. Doch ohne die dritte funktioniert keine von ihnen: die Agilität. Der Tanker muss Geschwindigkeit aufnehmen, um sich weiterhin auf dem Markt erfolgreich positionieren zu können. Entscheidungsprozesse müssen verschlankt, die Kommunikation muss schneller und flexibler werden. Dafür müssen die internen Strukturen grundlegend geprüft, neu verknüpft und Mitarbeiter empowert werden. "Unsere Mitarbeiter sollen die Antenne nach draußen sein. Sie müssen selber entscheiden dürfen – und können –, was für den Kunden richtig ist und was nicht. Und rasch entscheiden", sagt Hunger-Reichardt. Das verlangt Vertrauen seitens der Unternehmensführung, flache Hierarchien und agile Teams, die abteilungsübergreifend funktionieren. Denn Silodenken ist eine Bremse in Entscheidungsprozessen. "Alle Mitarbeiter, die an einem Projekt arbeiten, müssen ein und das selbe Ziel verfolgen. Das funktioniert nur durch enge Zusammenarbeit. Das wiederum braucht Zeit und Übung." Um Agilität im MSD-Mindsetting zu implementieren, ruft der Konzern im Dezember diesen Jahres drei agile Marketingteams ins Leben, die relevante Business-Ziele in crossnationalen und abteilungsübergreifenden Teams in Sprints umsetzen. Hunger-Reichardt nennt dieses Projekt Leuchttürme. Sie werden ihn 2019 beschäftigen; er verspricht sich viel davon. "Es geht um das Thema Acceleration. Das Ziel ist Beschleunigung. Beispiel: So können wir es uns etwa nicht mehr leisten, eine Kampagne ein Jahr zu planen – um festzustellen, dass die Welt da draußen sich längst weiter gedreht hat." Auf diesem Modellprojekt basierend werden im kommenden Jahr im gesamten Unternehmen verteilt neue Positionen geschaffen, die agile Projekte leiten. Zusätzlich erschließt und prüft MSD unterschiedliche kommunikative Kanäle und Kooperationen. "Wir müssen weiter lernen und mutiger sein, gerade im Bereich Kommunikation", sagt Melanie Stahr. "Unsere medizinische Expertise ist unser Asset. Diese werden wir mit neuen, kreativen Ansätzen kombinieren." Das Ganze sei kein Selbstzweck. Was zählt ist das Ergebnis. "Der zufriedene Arzt", fasst Florian Hunger-Reichardt zusammen. Und fügt hinzu: "Das Momentum ist da, es ist Zeit, Fahrt aufzunehmen. Und zu liefern."
Learnings
- Blick über den Tellerrand: Lernen von anderen Branchen
- Drei Säulen-Prinzip: Agilität, Standards in der Kommunikation und Messbarkeit mithilfe definierter KPIs
- Erschließung unterschiedlichster kommunikativer Kanäle mit definierten Zielgruppen und KPIs
- An die Grenze gehen: Erfolgreiche Social-Media-Arbeit braucht Mut
- Aufbrechen alter Strukturen und Arbeitsprozesse durch Empowerment der Mitarbeiter. Jeder einzelne Mitarbeiter für sich ist immer schneller als der Tanker
- Implementierung des 24/7-Service-Gedankens im Unternehmen: Was will der Kunde? Wer ist mein Kunde?
- Bildung agiler Teams
- No more Silo
- Bildung von Kooperationen und Partnerschaften