Nikolay Kolev, Doctolib: „Wir möchten zum technologischen Rückgrat der Gesundheitsbranche in Europa werden“
Erfahren Sie,
- warum Doctolib Siilo gekauft hat,
- welchen Unternehmen der eHealth-Markt gehört,
- wo die Reise in Sachen Digitalisierung für Deutschland hingeht,
- was mit der Einführung der ePA für alle zu erwarten ist,
- wann endlich die digitale Transformation für Ärzt:innen spürbar wird,
- welche anderen Player auf den Gesundheitsmarkt drängen.
Was ist KIM?
Der Kommunikationsdienst KIM (Kommunikation im Medizinwesen) ermöglicht es Praxen, medizinische Dokumente elektronisch und sicher über die Telematikinfrastruktur (TI) zu versenden und zu empfangen. Die KBV bietet einen eigenen KIM-Dienst speziell für Niedergelassene an. Der Dienst ist eine wichtige Grundvoraussetzung für die Erstellung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU).Ähnlich wie KIM ist der TI-Messenger (TIM) ein sicheres Übermittlungsverfahren. Hinter TIM verbirgt sich ein Sofortnachrichtendienst, der den sicherheitstechnischen und datenschutzrechtlichen Anforderungen des Gesundheitswesens Genüge tut.
"Es ist wichtig, eine klare Governance für das Gesundheitswesen mit verbindlichen Standards zur Interoperabilität und standardisierten Schnittstellen zu etablieren."Health Relations: Worauf kommt es dabei an?Nikolay Kolev:Worauf es ankommt, ist, dass die unterschiedlichen Systeme anbieterübergreifend miteinander kommunizieren können, denn Digitalisierung muss immer im Kontext der Versorgung stattfinden. Die steigende Anzahl der Anbieter zeigt, wie wichtig es ist, eine klare Governance für das Gesundheitswesen mit verbindlichen Standards zur Interoperabilität und standardisierten Schnittstellen zu etablieren. Das bedeutet im Zweifelsfall auch, dass Unternehmen Schnittstellen zu direkten Wettbewerbern bereitstellen, um Kund:innen eine Anpassung und Erweiterung der Lösungen zu ermöglichen. Health Relations: Es werden ja immer mehr Stimmen laut, die dafür auch gesetzliche Vorgaben fordern. In diesem Bereich wird sich also vermutlich noch etwas tun. Aber schauen wir einmal in die Zukunft und die Frage, wo die Reise in Sachen Digitalisierung in Deutschland hingeht? Der Markt ist ja durch besonders strenge Datenschutzrichtlinien geprägt.Nikolay Kolev:Gute Digitalisierungsvorstöße passieren bisher an unterschiedlichen Enden und der pandemiebedingte Digitalisierungsschub hat bewiesen, wie digitale Tools Versorgungsprozesse optimieren und Gesundheitsfachkräfte entlasten können. Aber damit digitale Anwendungen ihren vollständigen Nutzen entfalten, müssen sie einfach zu bedienen und auf den Alltag von Ärzt:innen und Fachangestellten zugeschnitten sein. Hier gibt es definitiv noch Verbesserungsbedarf. So gaben im Praxisbarometer Digitalisierung der KBV, 54 Prozent der Ärzt:innen an, dass die fehlende Nutzerfreundlichkeit digitaler Anwendungen die weitere Digitalisierung der Praxen hemmt. Health Relations: Wie kann man das ändern? Nikolay Kolev:Damit wir sicherstellen können, dass die Services für Anwender:innen einfacher zu bedienen sind, ist es wichtig, sich mit Leistungserbringern und Verbänden auszutauschen, um die Bedürfnisse der Nutzer:innen zu verstehen - und mit anderen Anbietern zu kooperieren und die bestmögliche Lösung bereitzustellen. Nur so kann auch die flächendeckende Akzeptanz und Nutzung von elektronische Patientenakte (ePA) und eRezept gewährleistet werden, die wiederum maßgeblich dafür ist, dass handfeste Einsparungen möglich sind, die zurück in das Gesundheitssystem investiert werden können. Dabei muss zu jederzeit sichergestellt sein, dass der Schutz sensibler Gesundheitsdaten gewährleistet wird. Der Erhalt konsequenter Datenschutzrichtlinien ist daher unerlässlich.
"Damit digitale Anwendungen ihren vollständigen Nutzen entfalten, müssen sie einfach zu bedienen und auf den Alltag von Ärzt:innen und Fachangestellten zugeschnitten sein."Health Relations: Stichwort ePA: Gerade hat Gesundheitsminister die ePA für alle als Opt-out-Lösung festgelegt. Wie wird das Ihre Arbeit und die der Ärzt:innen verändern?Nikolay Kolev:Die ePA hat das Potenzial, zum Positivbeispiel eines gemeinsamen Datenraums zu werden. Eine solche flächendeckende Nutzung von standardisierten Gesundheitsdaten ist in einigen europäischen Ländern bereits vollständig etabliert und nicht mehr aus dem Gesundheitswesen wegzudenken. So laufen die Gesundheitsdaten aller Bürger:innen in Finnland z.B. in eine zentrale Datenbank. Ärzt:innen, Apotheken und Krankenhäuser sind gesetzlich dazu verpflichtet, medizinische Daten wie Rezepte, Behandlungsberichte oder Röntgenaufnahmen dort hochzuladen. Die bessere Informationslage ermöglicht es Ärzt:innen, Krankheiten früher und schneller zu erkennen und ihre Therapie genauer auf den Patient:innen einzustellen. Auch in Deutschland hätten wir durch eine aktivere Nutzung der ePA die Möglichkeit, einen besseren Informationsfluss zwischen Ärzt:innen sicherzustellen und die Patientenversorgung zu optimieren. Der Opt-Out ist dafür ein guter Start, garantiert allerdings noch keine dauerhafte Inanspruchnahme der ePA. Dafür braucht es eine konsequente Integration von Mehrwertanwendungen von verschiedenen Anbietern digitaler Gesundheitsdienste. In Frankreich haben wir etwa erfolgreich mit der französischen Regierung zusammengearbeitet, um eine Integration zwischen der elektronischen Patientenakte und Doctolib Telehealth zu schaffen, um einen Anreiz für eine aktive Nutzung zu setzen.
"Wenn wir das deutsche Gesundheitswesen an die aktuellen und zukünftigen Anforderungen, moderne Medizin und den demografischen Wandel anpassen wollen, dann müssen wir alle gemeinsam lernen, komplexe Lösungen gemeinschaftlich zu entwickeln."Health Relations: Bisher ist ja von einer echten digitalen Transformation für die Ärzt:innen noch nichts zu merken. Was muss Ihrer Meinung nach passieren, damit das Gesundheitswesen wirklich digital wird?Nikolay Kolev:Wenn wir das deutsche Gesundheitswesen an die aktuellen und zukünftigen Anforderungen, moderne Medizin und den demografischen Wandel anpassen wollen, dann müssen wir alle gemeinsam lernen, komplexe Lösungen gemeinschaftlich zu entwickeln. Nicht in "großen Würfen", sondern in vielen inkrementellen Schritten und konstruktivem Austausch, Iterations- und Feedbackschleifen. Dafür brauchen wir die Bereitschaft aller beteiligten Akteure zur Kooperation über verschiedene Sektoren hinweg, eine gezielte Förderung der Health-Tech-Branche und einen einheitlichen, innovationsfreundlichen Rechtsrahmen zur Nutzung von Gesundheitsdaten. Health Relations: Was braucht es dazu?Nikolay Kolev:Ganz entscheidend wird sein, die tatsächliche Nutzung von digitalen Gesundheitsdiensten in der Versorgung voranzutreiben. Die zunehmende Nutzung von KIM zeigt, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden und digitale Tools nachhaltig in den Praxisalltag integrieren. So wurden deutschlandweit 100 Millionen KIM-Nachrichten für eine sichere Standardkommunikation für die eAU oder den eArztbrief versendet. Auch mit unseren Messengern Doctolib-Team und Siilo können wir erste Erfolge beobachten. So vereinfachen unsere Tools bereits die Kommunikation und Koordination von ca. 500.000 Leistungserbringern in Europa. Die gerade verabschiedete Digitalstrategie des BMG stellt gute Ansätze bereit, um die Nutzung von digitalen Lösungen in Gesundheitseinrichtungen noch weiter voranzutreiben. Mithilfe der Erfahrungen unseres großen Netzwerks an Gesundheitsfachkräften möchten wir hier anknüpfen und das Digitalisierungsvorhaben bestmöglich unterstützen. Health Relations: Das digitale Gesundheitswesen wird ja ein ganz anderes sein als bisher, vermutlich mit ganz neuen Playern, die nicht originär aus dem Gesundheitswesen stammen wie Apple, Amazon und Co. Welche Rolle wollen Sie dabei spielen? Und wie sehen Sie die Interaktion der Unternehmen mit den Ärzt:innen?Nikolay Kolev: US-Tech-Konzerne wie Apple, Amazon, Microsoft und Google fassen zunehmend auch auf dem Gesundheitsmarkt Fuß. In vielen Bereichen haben europäische Unternehmen das Momentum verpasst, um sich auf dem Markt zu etablieren. Aber in der Gesundheitsbranche haben wir aber noch eine echte Chance, europäische Initiativen zu stärken, die Geschwindigkeit auf den Markt bringen. Wir bei Doctolib möchten zum technologischen Rückgrat der Gesundheitsbranche in Europa werden. Dafür möchten wir Prozesse und Strukturen entlang des gesamten Patientenpfads verbessern, Gesundheitsfachkräfte entlasten und ihnen mehr Zeit für die medizinische Versorgung verschaffen. Aber letztendlich liegt die Entscheidung darüber, welchen Anbieter von digitalen Gesundheitsdienstleistungen Ärzt:innen nutzen möchten, bei ihnen selbst. Angesichts der zunehmenden Anzahl von E-Health-Unternehmen, ist es daher wichtig, dass Ärzt:innen befähigt werden, die angebotenen Tools besser zu bewerten und einzuordnen. Daher unterstützen wir die Verwendung von Siegeln und Zertifizierungen aus Europa, um sicherzustellen, dass Anwender:innen eine fundierte Entscheidung treffen können.