Nils Giese, Edelman: Wie aus Storytelling Story-Caring wird
Nils Giese: Jeder in der Kommunikationsbranche redet von Storytelling: „Wir müssen Geschichten erzählen, um unsere Zielgruppe von uns zu begeistern und zu überzeugen“. Wenn dann noch eine tatsächliche Aktion der Story hinzugefügt wird, ist man beim Story-doing. Selbst, wenn alle den Anspruch haben „consumer centric“ zu erzählen, so drehen sich die meisten Geschichten – egal, ob wir von Konsument:innen- oder von Ärzt:innen-Kommunikation reden – um das eigentliche Produkt und das funktionale Leistungs- bzw. Wirkversprechen: „Ich bin besser, weil …“, „Meine Therapie ist innovativer, weil…“, Ich bin effektiver, weil…“. Was fehlt also? Die Perspektive des Menschen! Was ist das menschliche Bedürfnis? Was ist der nicht-erfüllte Wunsch?
Health Relations: Und Story-Caring schafft einen Unterschied und schließt diese Lücke?Nils Giese: Absolut! Storytelling transportiert „nur“ die funktionale Relevanz eines Produktes oder einer Marke. Story-Caring transfomiert Bedürfnisse der Zielgruppe in Lösungen.
Sehen Sie, wir leben in einer Welt, in der wir von überflüssigen Informationen und unzähligen Botschaften am Tag überrollt werden. Das Phänomen des „information overload“ betrifft nicht nur Konsumenten und Konsumentinnen, sondern auch Ärzte und Ärztinnen. Diese Zielgruppe betrifft das sogar noch mehr, weil sie oft noch weniger Zeit hat, Botschaften zu konsumieren. Das führt dazu, dass die Marken oder Produkte oder teilweise auch innovative Therapien nicht mehr als differenziert, wert- und sinnstiftend wahrgenommen werden und somit ihren Charakter bzw. ihre Durchschlagskraft verlieren: Inhalte werden maximal oberflächlich wahrgenommen. Aber sie berühren und bewegen einen nicht mehr. Hier kommt Story-Caring ins Spiel: Unsere Geschichten müssen sich um Menschen kümmern. Nur so spielen wir eine fühlbare Rolle und werden nicht sofort de-selektiert.
Health Relations: Story-Caring arbeitet also mit kundenzentrierten Ansätzen – und das alleine schafft Relevanz?Nils Giese: Storytelling kann durchaus relevanten Inhalt aussenden. Die Betonung liegt dabei auf Aussenden. Aber kommt es auch an? Was fehlt sind klassische Beziehungsmerkmale wie Interesse, Empathie, Vertrauen und Bindung. Dieser Dimensionen bedarf es aber, um aus reinem Sendungsbewusstsein eine Sender-Empfänger-Beziehung zu machen. Eine Kommunikations-Beziehung basiert doch auf zwei einfachen Wahrheiten, die wir gerne vergessen. Die erste Wahrheit ist: Kommunikation ist das, was ankommt und nicht das, was gesendet wird. Wenn sich eine Story nur mit dem Produkt beschäftigt, dann kommt beim Empfänger maximal an: „Tolles Produkt.“ Es kommt aber nicht an, was der Empfänger davon hat. Die Story bleibt eine Einbahnstraße. Sie lädt aber nicht zum Dialog oder gar zu dem erstrebenswerten „Customer Engagement“ ein.
Health Relations: Und die zweite Wahrheit?Nils Giese: Die zweite Wahrheit folgt daraus: Conversations happens when it's interesting.
Das hat überhaupt nichts mit kommerzieller Kommunikation zu tun, sondern das ist einfach eine menschliche Wahrheit. Wann unterhält man sich gerne? Wenn das Gespräch interessant ist. Wenn mir mein Gegenüber etwas Neues, etwas Interessantes oder etwas Spannendes erzählt, in dem ich mich wieder finde und was mir einen Mehrwert bietet, dann werde ich neugierig. Ich habe Lust mehr zu erfahren und beteilige mich an dem Gespräch, indem ich auch meine Meinung teile. So kommt es zu einem Gespräch. Ist der Inhalt langweilig oder austauschbar, ist das Gespräch relativ schnell zu Ende und ich suche mir einen neuen Gesprächspartner. Es reicht also nicht, nur über den rein faktisch-relevanten Inhalt zu kommen, so ist der Mensch nicht gepolt.
Health Relations: Herr Giese, was genau ist der große Unterschied zwischen Storytelling und Story- Caring?"Ich kann Ihnen eine Geschichte erzählen, wo sie danach weinen oder lachen oder neugierig sind. Aber damit habe ich mich immer noch nicht um Sie gekümmert oder etwaige Bedürfnisse befriedigt – trotz aller Emotionalität der Story."Health Relations: Aber das eine Story spannend, sprich emotional sein muss, um zu berühren, ist in der Kommunikation ja nicht neu, oder? Stichwort Love Brands.Nils Giese: Nein. Emotions-basierte Kommunikation ist definitiv nicht neu. Aber emotionale Kommunikation ist nicht gleich Story-Caring. Ich kann Ihnen eine Geschichte erzählen, wo Sie danach weinen oder lachen oder neugierig sind. Aber damit habe ich mich immer noch nicht um Sie gekümmert oder etwaige Bedürfnisse befriedigt – trotz aller Emotionalität der Story. Bringen wir Story-Caring auf den Punkt: Story-Caring ist der Beginn und Ausbau einer vertrauensvollen Kommunikations-Beziehung zwischen Sender und Empfänger, ausgelöst durch Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Zuneigung. Entscheidend sind die letztgenannten „Kümmerer“-Dimensionen: Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Zuneigung. Da man sich Formlen besser merken kann, nenne ich das ganze gerne die „Triple A Formula". Abgeleitet aus dem englischen „Attention“, „Appreciation“ und „Affection“. Health Relations: Und diese drei Begriffe machen den Unterschied von Storytelling und Story-Caring aus?Nils Giese: Ja. Spielen wir das Ganze doch mal durch: 1. A: Du schenkst mir und meinen Bedürfnissen oder meinem Leiden Aufmerksamkeit. 2. A: Durch deine Botschaft, durch deine Hilfe fühle ich mich wertgeschätzt. 3. A: Durch das, wie du mit mir kommunizierst, spüre ich deine Zuneigung, welche ich dann erwidere. Die oben genannten Beziehungsmerkmale wie Interesse, Empathie, Vertrauen und Bindung werden somit erreicht. Inspiriert wurde ich dabei von einer Sozial-Studie mit Schmerzpatient:innen, welche ich vor Jahren begleitet habe. In dieser ging es darum, den Einfluss des Personals, die sich um den Patienten und die Patientin kümmern, auf die Therapie zu analysieren. Es gab zwei Gruppen: eine Gruppe, die einfach ihre Medizin hingestellt bekommen hat und eine andere Gruppe, um die sich das Pflegepersonal entsprechend aufmerksam und einfühlsam gekümmert hat. Raten Sie, welche Gruppe sich danach gesünder gefühlt hat? Dieses „um sich jemanden Kümmern“ hat mich so fasziniert und inspiriert, dass ich daraus heraus das Kommunikations-Konzept Story-Caring entwickelt habe. Bildlich gesprochen: Der rein faktische Inhalt der Botschaft ist die hingestellte Medizin, die "Triple A Formula" ist das empathische Pflegepersonal, welches sich um die Zielgruppe kümmert, so dass diese eine positive Reaktion zeigt. Health Relations: Und das funktioniert auch in der Kommunikation mit Ärzten und Ärztinnen?Nils Giese: Ja, das Prinzip des Story-Caring habe ich auf diversen Projekten, Zielgruppen, Symptomen und auch unterschiedlichen Ärzten und Fachrichtungen angewendet. Es funktioniert! Auch wenn Ärzte und Ärztinnen vielleicht keine körperlichen Leiden haben, so haben sie trotzdem Bedürfnisse und Barrieren, die sie davon abhalten, dass ihre Bedürfnisse gehört oder befriedigt werden. Das können allgemeine Bedürfnisse sein: Ich will auf dem Laufenden bleiben, habe aber keine Zeit. Es können konkrete Bedürfnisse und Ansprüche sein: Ich will mögliche Fehlerquellen optimieren. Oder es können Patienten-orientierte, mitfühlende Bedürfnisse sein: Ich will Patient X über alternative Therapieformen aufklären, damit dieser wieder mehr Lebensqualität bekommt.
"Viele Pharmaunternehmen wollen immer noch rein faktisch bzw. via Proof of Concept punkten. Aber sie vergessen den menschlichen Kern in der Story."Health Relations: Von der Befriedigung dieses ärztlichen Bedürfnisses dürften demnach auch die Patient:innen profitieren...Nils Giese: Genau. Story-Caring hat im Idealfall immer das große Ganze im Blick. Wir kümmern uns um die Ärzt:innen, damit diese sich um die Patient:innen kümmern können. Empathische und vertrauenswürdige Ärzte wenden die "Triple A Formela" unterbewusst jeden Tag an! Mit Story-Caring erinnern wir Ärzte und Ärztinnen daran, welche großartige und wichtige Rolle sie haben: Sie helfen Menschen! Sie kümmern sich um die Gesundheit ihrer Patient:innen – mit all ihrem Wissen & Können, aber auch mit all ihrem Herzblut. Viele Pharmaunternehmen wollen immer noch rein faktisch bzw. via Proof of Concept punkten. Aber sie vergessen den menschlichen Kern in der Story. Das Warum. Was ist das Bedürfnis, welches durch das Medikament idealerweise, wieder geschenkt werden kann? Um das abzuschließen, würde ich gerne ein Quiz mit Ihnen machen. Was glauben Sie, war einer der erfolgreichste Content-Pieces in Corona-Lockdown-Zeiten? Health Relations: Sie drehen das Interview um. Aber ich mache gerne mit. Sie meinen in Social Media? Vielleicht der Corona-Podcast?Nils Giese: Ich meinte eher im kommunikativen Mainstream-Bereich, um die Einfachheit von Story-Caring zu demonstrieren. Eines der reichweitenstärksten Videos zu Corona-Lockdown-Zeiten, genauer im April, war ein Video von Eva Longoria, die anhand eines Markenprodukts zeigt, wie man die ergrauten Haare zuhause fehlerfrei färben kann. Das ist angewandte Triple A Formel: Die Marke hat verstanden, was das Problem ist und schenkt Frau die Aufmerksamkeit in diesen schwierigen Zeiten. Die Marke wertschätzt die Frauen und ihre Bedürfnisse so sehr, dass sie sogar ein VIP einsetzt. Die Zielgruppe erkennt die konkrete Hilfe und ist dankbar und erwidert die Zuneigung spätestens bei Kauf des Produktes. Das ist nichts anderes als ein in ein Video gegossenes Story-Caring. Health Relations: OK. Story-Caring wirkt damit auch nachhaltiger, langfristiger als Storytelling, oder?Nils Giese: Ja, weil wir so Vertrauen stiften. Sich um jemanden kümmern schafft Nähe. Nähe schafft Vertrauen. Wer Triple A Formular in seiner Kommunikation berücksichtigt, schafft Vertrauensmarken. Das Zitat von Maya Angelou, das ich versuche, in jeder Präsentation unterzubringen, weil ich es so liebe, bringt es wunderbar auf den Punkt: "People will forget what you said, people will forget what you did, but people will never forget how you make them feel“. Health Relations: Dafür braucht es aber neben der lückenlosen Customer Journey auch eine fortlaufende Interaktion, oder?Nils Giese: Genau. Conversation happens when it's interesting. Und Konversation ist nun mal immer ein Dialog oder eine Interaktion zwischen zwei Personen oder Parteien. Um es ein bisschen plakativ zusammenzufassen: Storytelling hat den KPI als Return on Investment, Story-Caring den KPI Return on Engagement. Und dafür braucht es fortwährende Gesprächsanlasse entlang der verschiedenen Phasen einer Customer Journey. Health Relations: Wie ausgewogen sind die drei Komponenten oder drei „A’s“ verteilt in der Kommunikation, gibt es da eine Art Rezept?Nils Giese: Das Ganze ist eine Erfahrungswissenschaft bzw. es is positive Beziehungs-Psychologie. Ich werde nicht sagen, es braucht 30 Prozent von Aufmerksamkeit, 20 Prozent von Wertschöpfung und der Rest ist Zuneigung. So funktioniert Kommunikation nicht. So funktionieren menschliche Beziehungen nicht. Aber die 3 A’s sind kommunikative Leitplanken für das Was und das Wie einer Geschichte. Es geht mir dabei primär um den Perspektivwechsel. Nicht zu sagen, was kann das Produkt oder was kann die Therapie, sondern: Was brauchst du, lieber Empfänger oder Empfängerin, was ist dir wichtig? Warum brauchst du mich in diesem Moment Art, in dieser Situation? Health Relations: Ist dieser Fokus für Pharmaunternehmen neu oder wird es bereits gelebt?Nils Giese: Es ist nicht neu, aber es wird nicht konsequent gelebt. Ganz viele Unternehmen sehen sich in ihrer Positionierung ganz vorne, postulieren: "Wir machen alles, um das Leben unserer Patienten so zu verbessern". Im Messaging ihrer Produkte agieren sie aber mit dem rein funktionalen Benefit. Ich sorge dafür, dass du keine Kopfschmerzen hast. Ich sorge dafür, dass du keine Rückenschmerzen mehr hast. Ich sorge dafür, dass deine Parkinson-Krankheit vielleicht nicht geheilt wird, aber zumindest aufgehalten wird. Damit sind viele Pharmaunternehmen zufrieden und glücklich. Sie differenzieren sich aber nicht, weil sie eben nur das Symptom oder die Indikation in den Fokus stellen, nicht aber den Patienten /die Patientin hinter dem Symptom. Warum will jemand keine Rückenschmerzen mehr haben? Warum ist es mir wichtig, dass ich wieder riechen kann oder wieder schmecken kann? Das heißt, die Warum-Frage wird häufig genug nicht erzählt. Der sogenannte menschliche (emotionale) Benefit wird oft nicht in die Geschichte nicht oder nur sehr oberflächlich miteingebunden. Das Ergebnis: Nur Storytelling und keine Story-Caring! Health Relations: Und das ist dann die Basis für einen vertrauensvoller Dialog?Nils Giese: In der Tat. Health Relations: Ist Story-Caring eine Art Universal-Tool?Nils Giese: Das klingt etwas hoch gegriffen, aber ich könnte mich dazu hinreißen lassen, es so zu bezeichnen. Ich scheue mich nur etwas Story-Caring als Tool zu bezeichnen. Es ist eher eine universale menschliche Wahrheit. Health Relations: Wie setzen Sie Story-Caring in der Zusammenarbeit mit Pharmaunternehmen um?Nils Giese: Die erste Frage in einem Briefing-Gespräch mit dem Kunden oder Kundin – zum Beispiel für den Launch einer neuen Therapieform oder eines neuen Produktes in Kategorie XY bei Ärzten ABC – ist dann tatsächlich: "Welche Rolle soll diese Therapie oder dieses Medikament, diese Marke im Leben deiner Patient:innen und im Leben deiner Ärzt:innen einnehmen? Und was sind die Bedürfnisse, die damit adressiert werden, wenn sie dann das Leiden XYZ heilen, beruhigen oder behandeln?“. Ich kann es auch anders formulieren. Neben der Frage was ein Produkt kann und wie es funktioniert, fragen wir immer nach dem WARUM! Entsprechend können wir dann eine Bedürfnispyramide aufzubauen, aus der sich die Bedürfnis-Botschaften-Hierarchie ableitet. Dann geht es in die Content-Planung und -Erstellung. Was sind meine Phasen meiner Ärzt:innen-Journey? Welche Botschaft innerhalb einer gesamten Story-Caring Kampagne spiele ich wo aus. Wie orchestriere ich die 3 As und ergänze sie mit den nach wie vor wichtigen faktischen und wissenschaftlich-validen Informationen? So reiht sich ein Caring-Kapitel an das andere und es wird eine ganzheitliche Caring-Story daraus. Health Relations: Verlängert dieses Prozedere die Entwicklung einer Kampagne?Nils Giese: Es braucht mehr Strategie. Es braucht mehr Vorlauf, um tatsächlich diese Bedürfnisse sauber zu erkennen und entlang der Journey abzutragen. So gesehen wird ggf. das Prozedere verlängert. Viel wichtiger ist jedoch, dass sich der Erfolg und der Impact der Kampagne verlängert. Somit für Return on Engagement dann doch zu einem Return on Investment. Health Relations: Im Grunde bietet sich Story-Caring für eine Branche, in der es ja ums Kümmern geht, originär an, oder?Nils Giese: Absolut wahr, die Healthcare-Branche ist die menschlichste überhaupt. Das vergessen viele. Ein Medikament, eine Therapie kann einen wirklichen Unterschied machen und Dir etwas ermöglichen, wozu Du aufgrund deiner Krankheit nicht mehr in der Lage warst. Es ist die Ermöglicher-Branche. Es ermöglicht das Bedürfnisse und Sehnsüchte wieder vorstell- und realisierbar werden. Es lohnt sich also sich um gute Geschichten zu kümmern.