Lernen von anderen Branchen: Wie OTTO die Digitalisierung meistert
Michael Schmelmer, CFO bei Boehringer Ingelheim oder Dr. Klaus Weber, Direktor Business Excellence und Mitglied der Geschäftsleitung von Janssen Deutschland, sie alle propagieren den berühmten Blick über den Tellerrand der eigenen Branche hinaus. Wie gestalten Unternehmen aus anderen Branchen den digitalen Wandel? Wo setzen sie an, wie schaffen sie Agilität und Innovationen, um sich international zu behaupten? Denn, unabhängig von den branchenspezifischen Regulierungen in Healthcare, gibt es große Schnittmengen bei den Herausforderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt. Stichwort Agilität und Innovationskultur im Unternehmen.
In diesem Beitrag möchten wir ihn wagen, den Blick über den Tellerrand. Wir schauen zu OTTO, laut eigener Aussage eines der erfolgreichsten E-Commerce-Unternehmen Europas sowie Deutschlands größter Onlinehändler für Möbel und Living. Im vergangenen Geschäftsjahr bestellten 7 Millionen Kunden online, der Konzern entwickelt sich zu einer zentralen Plattform im Netz. "Wir sind seit 1995 mit otto.de als Onlinehändler aufgestellt. Unsere Veränderung vom Onlinehändler zur Plattform dagegen ist einer der größten Umbrüche in unserer Firmengeschichte", sagt Katy Roewer, OTTO-Bereichsvorstand Service & HR. Wir haben Katy Roewer gefragt, wie in ihren Augen eine moderne Unternehmenskultur funktionieren muss, um Raum für Innovationen zu schaffen und wie sie Mitarbeiter für den Wandel begeistert.
Health Relations: Der digitale Wandel muss mit einem Wandel in der Unternehmenskultur einhergehen. Wie genau sieht dieser Wandel aus, wie äußert er sich konkret in Ihrem Unternehmen?Katy Roewer: Die digitale Transformation macht sich vor allem in Arbeitsprozessen und der Art der Zusammenarbeit bemerkbar. Durch sich stetig verändernde Aufgaben und andere Anforderungen an Arbeit, entstehen völlig neue Rollen, Tätigkeitsfelder und Verantwortlichkeiten. Die Veränderung der Unternehmenskultur geschieht bei OTTO dabei nicht einfach so, sondern ganz bewusst. Wir begegnen ihr mit eigenen Initiativen, die etwa an einem neuen Führungsverständnis arbeiten oder neue Kollaborations- und Kommunikationssystem einführen. Auch die Arbeitsumgebung spielt für uns eine große Rolle, deshalb modernisieren wir unseren Campus nach und nach, schaffen neue Räume zum gemeinsamen Arbeiten oder solche mit einer ruhigen Arbeitsatmosphäre.
Health Relations: Agilität ist eines der Schlagworte, wenn es um den digitalen Wandel in Unternehmen geht. Wie kann ein großer Konzern wie OTTO schlagkräftiger und schneller werden? Größe schließt Schnelligkeit oft aus. Wie lösen Sie dieses Problem?Katy Roewer: Agilität fängt bei jeder einzelnen Kollegin und jedem einzelnen Kollegen an. Deshalb fördern wir agiles Arbeiten überall dort, wo es sinnvoll ist. Unsere Kolleg/Innen arbeiten meist selbst organisiert in kleinen, beweglichen Teams und Communities ohne große Hierarchien und tauschen sich viel stärker aus. Es geht darum, die Experten aus dem Haus einzubinden und selbstverantwortliche Erfahrungskreise zu bilden, die gemeinsam an Problemen arbeiten. So erkennen wir schnell, wenn es mal hakt, können aber ebenso schnell darauf reagieren.
Lernen von anderen Branchen: Ob "Um die Digitalisierung dabei als Chance zu begreifen, ist das Wissen um Unsicherheiten oder Ängste von Kolleg/innen von enormer Bedeutung."Health Relations: Nach 68 Jahren stellt OTTO den Katalog ein und setzt aufs digitale Geschäft. Für viele Mitarbeiter dürfte dieser Schritt disruptiv gewesen sein. Und nur eine von vielen Veränderungen, die dem 70 Jahre alten Konzern bevorstehen und bereits umgesetzt worden sind. Mit welchen konkreten Maßnahmen nehmen Sie den Mitarbeitern die Angst vor gefühlt unsicheren Zeiten und gravierenden Veränderungen?Katy Roewer: Der Abschied vom OTTO-Katalog war für uns nur der logische nächste Schritt: Wir sind seit 1995 mit otto.de als Onlinehändler aufgestellt. Unsere Veränderung vom Onlinehändler zur Plattform dagegen ist einer der größten Umbrüche in unserer Firmengeschichte. Um die Digitalisierung dabei als Chance zu begreifen, ist das Wissen um Unsicherheiten oder Ängste von enormer Bedeutung. Deswegen stellen wir die Menschen, die bei uns arbeiten, in den Mittelpunkt. Unsere Mitarbeiter/Innen setzen sich permanent mit der Neuausrichtung auseinander, brauchen viel Flexibilität, Veränderungswillen und die Bereitschaft, sich weiterzuentwickeln. Deshalb ist es für uns besonders wichtig, sie mitzunehmen. Das erreichen wir, indem wir sie aktiv am Veränderungsprozess beteiligen. Wir haben kürzlich mit mehreren hundert Mitarbeitern aus dem Marketing eine neue Struktur erarbeitet und dabei erstmals die klassische Führung in drei Bereiche gegliedert. Dort arbeiten wir nun mit einem People Lead, einem Strategic Lead und einem Product Lead. Wenn das funktioniert, könnte das ein Pilot für andere Bereiche sein. Health Relations: Welche Rolle spielt die Kommunikation in diesem Prozess? An welchen Stellen wirkt sie besonders gut, wie muss diese geartet sein, um zu begeistern und welche kommunikativen Mittel setzen Sie ein?Katy Roewer: Kommunikation nimmt eine Brückenfunktion zwischen allen anderen Dimensionen des digitalen Wandels ein, sie vermittelt also. Wichtig ist vor allem eine zielgruppenorientierte und möglichst transparente Kommunikation. Dazu nutzen wir unser Social Intranet, aber auch Veranstaltungen wie „Unplugged“, wo wir Vorstände die Belegschaft jeden Monat über die aktuelle Geschäftsentwicklung informieren, Einblicke in unsere Vorstandssitzungen geben, strategische Projekte einordnen und vor allem den Dialog mit allen suchen.
"Unsere Kolleg/Innen arbeiten meist selbst organisiert in kleinen, beweglichen Teams und Communities ohne große Hierarchien und tauschen sich viel stärker aus."Health Relations: Kann eine gute, interne Kommunikation wirklich alle Ängste und Widerstände, die in einem Change Prozess bei Mitarbeitern eintreten können, lösen? Katy Roewer: Das Entscheidende ist, dem digitalen Wandel und den damit einhergehenden Veränderungen nicht ausschließlich mit einem Mittel oder auf einer Ebene zu begegnen. Der Wandel betrifft alle Bereiche unseres Unternehmens, deshalb arbeiten wir auf vielen unterschiedlichen Wegen daran, Unsicherheiten abzubauen. Die interne Kommunikation ist ein Weg, um Informationen zu vermitteln, Kolleg/Innen mitzunehmen und zur Verbreitung eines neuen Verständnisses von Zusammenarbeit beizutragen. Aber auch die bereits erwähnte Neudefinition vom Führungsverständnis, der Fokus auf digitale Tools oder die Veränderung der physischen Arbeitsumgebung stärken den Umgang mit den sich wandelnden Bedingungen.
"Ein Unternehmensklima, dass Innovationen unterstützt ist eines, das Raum für Innovationen bietet. Diesen Raum schaffen wir ganz praktisch."Health Relations: Stichwort Innovation: Kommt diese bei OTTO von Innen heraus? Wenn ja: Wie fördern Sie Innovationen und wie sieht für Sie ein innovationsfreudiges Unternehmensklima aus?Katy Roewer: Ein Unternehmensklima, dass Innovationen unterstützt ist eines, das seinen Mitarbeiter/Innen Raum für Innovationen bietet. Diesen Raum schaffen wir ganz praktisch, indem wir unseren Campus nach und nach umbauen und zum Beispiel immer mehr Flächen zu Coworking Spaces gestalten. Dazu zählt aber auch, dass wir unseren Kolleg/Innen mit Formaten wie den „InnoDays“, einem internen Hackathon bei OTTO, auch den gedanklichen Freiraum geben, sich mit neuen Ideen auseinanderzusetzen. So entstehen immer wieder neue Ansätze für einzelne Bereiche oder ganze Geschäftsmodelle. Ein Beispiel dafür ist OTTO NOW, unser Mietmodell. Health Relations: Zusammengefasst: Was sind die größten Hürden, was die größten Chancen im Bereich HR im digitalen Wandel für große, traditionsbehaftete Konzerne wie OTTO?Katy Roewer: Der digitale Wandel geht uns alle an. Jede/r Einzelne ist von den Veränderungen betroffen, deshalb müssen wir einen Weg finden, um alle an einen Punkt zu bringen, an dem sie sich fit für die Veränderungen fühlen. Damit stehen wir, ebenso wie alle anderen Unternehmen, vor einer großen Aufgabe. Gleichzeitig sind unsere Mitarbeiter/innen unsere Chance im digitalen Wandel. Sie sind es, die das Unternehmen ausmachen und die unsere Entwicklung vom Onlinehändler zur Plattform möglich machen.