Pharmaindustrie: wichtige Lotsenfunktion in der Patient Journey
Agentur Spirit Link hat mit ihr gemeinsam in einem Interview analysiert, wie und an welcher Stelle die Patient Journey optimiert werden könnte.
Wer eine Diagnose wie Krebs erhält, ist im Schockzustand. Es sind die Ärzt:innen, die die Betroffenen über die Diagnose aufklären. Das ist eine sensible Schnittstelle in der Patientenkommunikation. „Informationen für den Patienten und die Patientin müssen so einfach erklärt werden, dass sie auch im Schockzustand verständlich sind“, sagt Susanna Zsoter. „Die vielen Aufklärungsgespräche mit dem Arzt sind nur an mir vorbeigerauscht.“ Es hätte eine Menge Informationen in Form von Aufklärungsbögen gegeben, ihre Ärzt:innen hätten ihr zudem einen Darmkrebsratgeber der deutschen Krebshilfe mitgegeben. „Der ist an sich gut, aber auf Abiturniveau geschrieben. Ich kann das eigentlich verstehen, aber in dem Zustand funktionierte das nicht.“
„Ich wünsche mir, dass ich als Patientin dort abgeholt werde, wo ich stehe. Ich will von den Pharmaunternehmen gehört werden“, sagt Susanna Zsoter. Die 34-Jährige erhielt 2015 die Diagnose Darmkrebs, ihr Gesundheitszustand ist dank Immuntherapie stabil. Unter dem Namen „Krebskriegerin“ bloggt sie über ihre Erfahrungen als Krebspatientin. Ihr Wunsch, von der pharmazeutischen Industrie auch gehört zu werden, ist Produkt ihrer Erlebnisse. Die Pharmaindustrie könnte Lotse sein innerhalb der Patient Journey, Indikationen und Therapien übersetzen, Prozesse und Entscheidungshilfen abbilden. Aus Susanna Zsoters Sicht herrscht hier Handlungsbedarf. Die "Produziert euren Content lösungs- und nicht produktorientiert."Was heißt das für Pharma? Für Susanne Körtel, Projektmanagerin bei Spirit Link, ist klar: Der Arzt oder die Ärztin besetzt eine der Schlüsselfunktionen, er oder sie ist Vermittler:in zwischen Pharmaunternehmen und Patient:innen. Dass Ärzt:innen oftmals nur eine limitierte Zeit pro Patient:in aufwenden können, ist ein bekanntes Problem. Umso wichtiger ist es, HCPs den Alltag zu erleichtern und die passenden Informationen zur Verfügung zu stellen. „Versteht, welche Probleme wir als User:innen haben und überlegt euch, was uns bei der Lösung helfen würde. Produziert euren Content lösungs- und nicht produktorientiert“, sagt Susanna Zsoter.
Co-Kreation mit Ärzt:innen, Patient:innen und Patientenorganisationen
Es braucht mehr als Empathie, um lösungsorientierten Content aufzubereiten. Die Co-Kreation mit Patient:innen und Patientenorganisationen ist ein wichtiger Schritt, um zu verstehen, was Betroffene an welchem Punkt ihrer Patient Journey wirklich benötigen. Roche plant dieses beispielsweise u.a. am neuen Standort namens Fritz auf dem Roche-Campus. Auch die Co-Kreation mit Ärzt:innen ist wichtig. „Hinzu kommt Fachliches wie einfache Sprache, Mehrsprachigkeit, zielgruppengerechter Content“, sagt Susanne Körtel. „Vertrauen aber ist und bleibt die Grundvoraussetzung für eine gute Arzt- und Patientenkommunikation.“ Die Patient:innen-Betreuung mit persönlichen Ansprechpartner:innen vom Hersteller während der Therapie sind ein Mittel, um Vertrauen zu schaffen, ebenso wie die Implementierung eines „Buddy-Konzeptes“ mit medizinischem Fachpersonal als persönliche Therapie-Begleiter:innen. Das Bereitstellen von Plattformen wie Foren oder die Durchführung von Barcamps oder Patiententagen kann den Kontakt und den Austausch zu anderen Betroffenen ermöglichen. Auch der transparente Umgang mit Nebenwirkungen von Produkten hilft, Vertrauen zu stiften. Susanna Zsoter hätte beispielsweise ein Flyer, in dem die Nebenwirkungen ihrer Immuntherapie erläutert werden, geholfen. Denn diese müssten frühzeitig behandelt werden, um den Erfolg der Therapie nicht zu gefährden.„Die Pharmaindustrie müsste dafür sorgen, dass ihre Studien über Ärzte weiter verbreitet werden."Eine 360 Grad-Perspektive ist gefragt, aber am Ende sind es auch manchmal die einfachen Lösungen, die Ärzt:innen und Patient:innen schon ein gutes Stück weiter helfen. Eine simple Checkliste, die Patient:innen auflistet, was sie jetzt alles tun müssen, in der eben auch Foren und Selbsthilfegruppen aufgeführt sind, kann nicht nur den Betroffenen, sondern auch deren Familien und Freund:innen, aber auch den Ärzt:innen. Darüber hinaus geht es aber auch um die Aufrechterhaltung einer lückenlosen Informationskette zwischen Pharma, Ärzt:in und Patient:in. Welche Therapien sind geeignet, welche Studien gibt es? Studienzentren sind darauf angewiesen, dass zuweisende Ärzt:innen potenziell passende Teilnehmende an sie vermitteln. Die Pharmaindustrie ist also gut beraten, Ärzt:innen auch zu Studien gut aufbereitete Informationen zukommen zu lassen. Das ist auch im Sinne der Patient:innen. Susanna Zsoter war schon als Palliativpatientin eingestuft, als sie selbst bei Facebook eine Phase-III-Studie mit einer Immuntherapie des NCT Heidelberg entdeckte. „Dass ich überhaupt durch eigene Recherche auf meine einzige lebensrettende Therapie stoßen musste, darf eigentlich nicht sein. Ich hätte mir gewünscht, dass ich eine vernünftige Übersicht für Studien, die für mich infrage kommen, finde.“ Susanne Körtel ergänzt: „Die Pharmaindustrie müsste dafür sorgen, dass ihre Studien über Ärzte weiter verbreitet werden, um Patient:innen zu neuen Therapieoptionen und wie bei Susanna sogar zur lebensrettenden Therapie zu informieren.“
„Manchmal erleben wir zu starke Zurückhaltung bei Projekten in der direkten Patientenkommunikation."Die Herausforderungen, die Patient Journey lückenlos zu begleiten, ist hoch. Denn neben all dem muss diese möglichst individuell, auf den oder die Patient:in zugeschnitten sein. Das funktioniert nur durch bestmögliche Zusammenarbeit mit allen beteiligten Gruppen. „Pharmafirmen müssen sich manchmal mehr trauen“, findet Susanne Körtel. „Manchmal erleben wir zu starke Zurückhaltung bei Projekten in der direkten Patientenkommunikation. Hintergrund ist häufig, dass die Pharmakovigilanz, also die wichtige, aber auch bürokratische systematische Erfassung und Bewertung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen, kommunikativ und formal eine Herausforderung sein kann.“ Dennoch würde die Pharmaindustrie langfristig eine wichtige Chance verspielen, wenn sie sich diesen Herausforderungen nicht stellt. Für Susanna Zsoter geht es im Grunde vor allem um eines. „Fragt euch: ‚Mache ich denn gerade mit dem, was ich als Lösung gefunden habe, das Leben dieser kranken Person besser?‘“