Pohl-Boskamp stärkt seine Position im DiGA-Markt
Health Relations: Die Vantis Herz App ist nicht die erste DiGA, mit der Pohl-Boskamp Erfahrungen sammelt. Was haben Sie sich vom Eintritt in den DiGA-Markt versprochen?
Reinhard Borowski: In der Pandemie haben wir unser Akutgeschäft ein Stück weit verloren. Die Menschen waren einfach weniger erkältet. Das hat uns den Schritt, uns mit DiGA auseinanderzusetzen, erleichtert. Wir haben dann auch schnell festgestellt, dass die Vermarktung von DiGA von gewissen Fehleinschätzungen begleitet wurde. Wenn eine App-Entwicklungsfirma eine gute Idee im medizinischen Bereich hat, für eine bestimmte Indikation, heißt das noch nicht, dass ich sie gut vermarktet bekomme. Es reicht nicht, den Arzt anzurufen und nachzufragen, ob er sich vorstellen könnte, jetzt diese spezifische DiGA zu verordnen. Es braucht Ressourcen und eine gute Kenntnis des Marktes für die jeweilige Indikation, die wir als etablierter Hersteller von Medikamenten liefern können. Kooperationen mit Tech-Unternehmen und das Engagement im Bereich DiGA erschienen uns also mehr als sinnvoll.
Health Relations: Das Thema DiGA fliegt aber noch nicht so hoch, wie Sie sich das wahrscheinlich wünschen. Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage?
Reinhard Borowski: Dem im Februar 2024 veröffentlichten Barmer Arztreport konnte ich entnehmen, dass der noch sehr junge Leistungsbereich „Digitale Gesundheitsanwendungen“ (DiGA) nicht nur konstante Wachstumsraten aufzeigt, sondern auch bei den Verordnern im Hinblick auf den Bekanntheitsgrad (95%) und erstmaligem Einsatz einer DiGA (56%) deutlich zulegen konnte. Das Ergebnis erfordert einen hohen Einsatz der Hersteller, schließlich sind die Anwendungen erklärungsbedürftig und erfordern ebenso ein hohes Engagement der Leistungserbringer in Richtung der Patientinnen und Patienten – ohne bis dato nennenswerte Honorierung der erbrachten Leistungen.
Pohl-Boskamp & die DiGAs
Die Herz App Vantis wurde entwickelt vom Münchner Gesundheitsunternehmen Vantis und erweitert das Vertriebs-Portfolio von Pohl-Boskamp auf dem Gebiet der Kardiologie. Das Pharmaunternehmen hat bereits den Vertrieb für die Tinnitus-DiGA Kalmeda und die DiGA Kranus Edera bei Erektiler Dysfunktion übernommen.Reinhard Borowski: Mit Kalmeda haben wir in 2020 die allererste DiGA überhaupt vermarktet und können mittlerweile auf immerhin 3 Jahre Erfahrung zurückblicken. Innerhalb dieser Zeit konnte die noch junge Branche viel erreichen. Wir fokussieren uns mit unseren Möglichkeiten in Marketing und Vertrieb sehr stark auf die Aufklärung der Ärztinnen und Ärzte im direkten Dialog in den Arztpraxen. Jede DiGA ist dabei individuell zu betrachten und muss mit Blick auf die Zielgruppen, die Versorgungssituation und den Marketingmix immer wieder neu beurteilt werden. Allein bei den drei Produkten, die wir jetzt aktiv vermarkten – Kalmeda, Kranus Edera und Vantis – ist das Bild ganz unterschiedlich. Für uns als Unternehmen Pohl-Boskamp ist ganz entscheidend, dass wir unser Portfolio mit bewährten analogen Medikamenten wie z.B. Nitrolingual und GeloMyrtol forte sinnvoll durch digitale Medikamente ergänzen und für die Ärztinnen und Ärzte als verlässlicher und bekannter Partner auch bei diesen neuen, innovativen und erklärungsbedürftigen Therapieoptionen beratend zur Seite stehen.
"Im Vertrieb haben wir die Anzahl unserer Gebiete in der Außendienstlinie Rx/DTx auf 80 ausgebaut und damit verdoppelt. Damit versuchen wir die Organisation auf die neuen Aufgaben hin auszurichten."
Health Relations: Könnten Sie das kurz mit einem Beispiel unterfüttern?
Reinhard Borowski: Für Kalmeda ist der Vermarktungsansatz relativ einfach erklärt. In Deutschland gibt es mehr als zwei Millionen chronische Tinnitus-Patient:innen, die also mehr als drei Monate Beschwerden haben, zum Teil in ganz unterschiedlicher Ausprägung. Der oder die HNO-Ärzt:in hat keine Leitlinienempfehlung für ein Medikament. Das Einzige, was in den Leitlinien mit Evidenzgrad 1 aufgeführt ist, ist die kognitive Verhaltenstherapie. Die Wartezeiten auf einen Platz in der Psychotherapie sind zum Teil erheblich und auch dann bleibt offen, ob der oder die Psychotherapeut:innen besondere Vorerfahrung im Hinblick auf den chronischen Tinnitus hat. Diese offensichtliche Versorgungslücke kann Kalmeda als DiGA hervorragend schließen – die Patient:innen können unmittelbar nach der Diagnose und Verordnung mit der Therapie starten – die Studiendaten belegen zudem eine hohe Evidenz.
Wir haben jetzt drei Jahre Erfahrung gesammelt und sind mit der Entwicklung zufrieden. Darauf aufbauend sind wir zuversichtlich, dass wir auch bei weiteren DiGA wie Kranus Edera und der Vantis Herz App einen guten Job im Markt machen werden. Entweder besteht bereits der Zugang zu den Fachbereichen, oder wir können wie am Beispiel von Nitrolingual und Vantis im Bereich der Kardiologie eine sinnvolle Therapieoption ergänzen. Wir haben unseren Kooperationspartner Vantis dementsprechend auch gezielt ausgewählt bzw. wir haben uns gegenseitig gefunden. Der Pharmamarkt ist klein.
Health Relations: Wo im Unternehmen dockt die Vermarktung von DiGA an?
Reinhard Borowski: Wir haben uns in den letzten Jahren in allen relevanten Unternehmensbereichen verstärkt und auf dieses zusätzliche Geschäftsfeld fokussiert. So entwickeln wir mittlerweile eigene DiGA oder gehen wie schon erwähnt, strategische Kooperationen ein. Im Brand Management wird jede DiGA von einer oder einem Brand Manager:in betreut. Im Vertrieb haben wir die Anzahl unserer Gebiete in der Außendienstlinie Rx/DTx auf 80 ausgebaut und damit verdoppelt. Damit versuchen wir die Organisation auf die neuen Aufgaben hin auszurichten. Man spürt im Team deutlich, dass wir mit der Kombination aus bewährter Medizin und einem weltweit einmaligen digitalen Versorgungsansatz viel bewegen können.
Health Relations: Schauen wir noch einmal auf die Vantis Herz App: Die Zielgruppe dürfte hier in erster Linie die Kardiologin oder der Kardiologe sein. Wie genau erreichen Sie diese Zielgruppe?
Reinhard Borowski: Bei der Vantis Herz App sind es tatsächlich die Kardiologinnen und Kardiologen, die im Fokus stehen, aber auch die Allgemeinmediziner und Allgemeinmedizinerinnen, die auch wie üblich die Betreuung der Patientinnen und Patienten vor und nach dem Facharzttermin gewährleisten. Wir müssen dabei zunächst die Zusammenhänge und Prozesse verstehen, und dann schauen, wie wir für Aufklärung sorgen. Es handelt sich bei den betroffenen Patientinnen und Patienten um Menschen mit KHK oder nach einem Herzinfarkt. Die Vantis Herz App kann eine entscheidende Rolle spielen – die betroffenen Menschen werden durch die DiGA auf ihrem Smartphone begleitet und dabei unterstützt, Einfluss auf Ihre Herzgesundheit zu nehmen, also auch z.B. die von den Ärztinnen und Ärzten verordneten und zwingend erforderlichen Medikamente einzunehmen. Das sind ganz entscheidende Vorteile, die sich die Ärztinnen und Ärzte zu eigen machen können. Die Aufklärungsarbeit leisten wir ganz klassisch über den Außendienst und über Marketingaktivitäten jeglicher Art im Fachbereich. Ob das Mediaschaltungen sind, Pressearbeit, das sowohl in den klassischen Kanälen als auch digital. Der Mix macht’s.
"Mit jeder weiteren DiGA, die ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen wird, wird die Welt komplizierter für die Ärzte und Ärztinnen."
Health Relations: Ärzt:innen möchten nicht zwingend noch mehr E-Mails erhalten. Aber noch mehr Besuche möchten sie auch nicht. Wie erleben Sie das?
Reinhard Borowski:Das ist die Herausforderung, die wir alle haben. Wie möchten die Ärztin oder der Arzt erreicht werden? Ich glaube, das ist ein Vorteil eines renommierten Pharmaunternehmens. Verlässliche, jahrelang erprobte Beziehungen sind wertvoll und qualifizierte Menschen im Pharmavertrieb können einen nachhaltigen Zugang ermöglichen. Das merken wir schon.
Health Relations: Vernetzungen, gewachsene Strukturen und Kenntnis der Indikation, alles Zutaten für den Erfolg einer DiGA. Trotzdem, noch einmal aus Ihrer Sicht ganz allgemein: Wie können gerade digitale Gesundheitsanwendungen noch besser in die Versorgung kommen, als sie es jetzt sind?
Reinhard Borowski: Ich glaube, es ist nach wie vor extrem viel Pionierarbeit notwendig. Das ist auch ganz klar unsere Aufgabenstellung Nummer eins und man kann es nicht oft genug sagen: für Aufklärung zu sorgen. Ich glaube, es ist nicht so, dass den Ärzten vollumfänglich bewusst ist, was die DiGA können. Ich glaube, dass es auch extrem komplex wird. Mit jeder weiteren DiGA, die ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen wird, wird die Welt komplizierter für die Ärzte und Ärztinnen. Ich glaube, es gibt noch keinen Standard, wie ich mich in die Welt der DiGA wirklich reinarbeiten kann. Das sind Themen, die für uns wichtig sind. Diese Informationen zur Verfügung zu stellen und auch DiGA-übergreifend bereitzustellen, daran arbeiten wir sehr stark. Wenn die Lösung ist: Ich gehe jetzt ins DiGA-Verzeichnis und studiere die knapp 60 Produkte, die derzeit dort aufgeführt sind, dann habe ich als Unternehmen keine Chance. Das kann man auch vom Arzt einfach nicht verlangen. Das ist eine große Anforderung auch an die Industrie, sich Wege und Möglichkeiten zu überlegen, wie ich in kürzester Zeit zeige, was die DiGA kann. Wofür sie da ist, was aber auch die Rolle des Arztes ist im Verordnungsprozess und wie der Arzt dann wiederum die Patienten mitnehmen kann. Das ist auch eine wichtige Frage: Wie viel Onboarding ist auch beim Patienten notwendig, damit ein gutes Zusammenspiel auf der Arzt-Patienten-Ebene funktionieren kann.
Health Relations: Heißt, Ihre Kommunikation richtet sich in erster Linie an den HCP, Sie wählen nicht den Weg über den oder die Patient:in?
Reinhard Borowski:Rein theoretisch kann sich der Patient mit einem Diagnosenachweis direkt an seine Krankenkasse wenden und den Arzt, die Ärztin links liegen lassen, um seine DiGA zu erhalten. Aber das ist nicht unser präferierter Weg. Die Patient:innen sollten auch zukünftig während einer Therapie durch Ärzte begleitet werden – ein Aspekt worin sich DiGA als zugelassene, leitlinienkonforme und evidente Medizinprodukte von Gesundheitsapps unterscheiden. Sie müssen die Ärzt:innen mitnehmen, und das ist die Aufgabe der Industrie. Das machen wir gerne, aber wir wissen auch, dass wir noch am Anfang stehen.
Health Relations: Müssten die Pharmaunternehmen selber mehr miteinander sprechen, kooperieren?
Reinhard Borowski:Ja, vielleicht. Allerdings haben wir als Industrieunternehmen auch eigene wirtschaftliche Interessen und stehen natürlich auch im freien Wettbewerb zueinander. Aber auf Verbandsebene gibt es bereits den Schulterschluss, wenn es zum Beispiel darum geht DiGA als neuen Leistungsbereich vernünftig zu etablieren oder Aufklärungsarbeit zu leisten.
Health Relations: Es klingt ein bisschen so, als braucht die Pharmabranche Durchhaltevermögen. Pohl-Boskamp plant weitere Kooperationen mit Vantis. Welche sind das?
Reinhard Borowski:Es gibt Weiterentwicklungsprojekte, es gibt weitere Ideen für andere Indikationen. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Für uns als Unternehmen ist das einfach eine sehr spannende Phase. Unsere Wurzeln gehen bis ins Jahr 1835 zurück. Wir feierten in diesem Jahr 100 Jahre Nitrolingual. 100 Jahre bewährte Medikamente und auf der anderen Seite die digitalen Medizinprodukte wie Kalmeda – hier kommen Tradition und Zukunft zusammen.