Roche: Wie arbeitet die Medizin von Morgen?
Future X Healthcare hochrangige Player aus der Healthcare-Forschung und -Industrie nach München, um dort über Visionen und Lösungen für die Zukunft unseres Gesundheitssystems zu diskutieren. Knapp 400 Teilnehmer nehmen an dem vom Pharmaunternehmen Roche 2017 ins Leben gerufenem Event teil. Stattfinden wird es am 14. November 2019 unter dem Motto „The digital (r)evolution – a new era for patients“. Im Mittelpunkt steht also der Patient im digitalen Gesundheitswesen. Henning Franke, Head of Digital Transformation, Roche Diagnostics GmbH, hat sich kurz vor der Veranstaltung die Zeit genommen, uns seine Lösungen für die Medizin von Morgen vorzustellen.
Health Relations: Herr Franke. Auf der Future X Healthcare dreht sich alles um die digitale Revolution und deren Bedeutung für den Patienten. Wie konkret verändern sich die Forschung und Entwicklung durch die Digitalisierung?Henning Franke: Bisher wurden nur Daten aus klinischen Studien für die Weiterentwicklung von Therapien genutzt – das sind gerade einmal 5 Prozent der potenziell verfügbaren Daten. Bei klinischen Studien ermöglicht uns künstliche Intelligenz, reale Patientendaten in Referenzgruppen einzubinden. So können wir beispielsweise in Phase 1-Studien, die üblicherweise mit geringen Patientenzahlen und heterogenen Gruppen stattfinden, gezielt Daten aus Datenbanken mit einbeziehen – und den Kontroll-Arm, also die Standard-Therapie, mit Daten aus der Datenbank bestreiten. Das spart Zeit bei der Rekrutierung der Studienteilnehmer und wir können aufgrund der besseren Datengrundlage sicherer und schneller zu Ergebnissen kommen.
Zum zweiten Mal lockt die "Wir werden die Abläufe für Patienten in klinischen Studien deutlich vereinfachen können, beispielsweise indem sie Messungen zu Hause vornehmen und die Werte digital an uns übermitteln."Health Relations: Ein spezieller Fokus bei Roche liegt auf der Onkologie. Wie sieht es in diesem Bereich aus?Henning Franke: Ein zentraler Part unserer Forschungs- und Entwicklungsarbeit widmet sich der Krebs-Immuntherapie. Hier können beispielsweise die Datenbanken von Flatiron Health, einem Partner von Roche, der sich auf die Analytik und Aufbereitung von Daten aus der klinischen Routine für die Krebsforschung spezialisiert hat, eine wichtige Rolle spielen. Flatiron ermöglicht es uns, Fragen zu beantworten wie beispielsweise, ob die Immuntherapie auch für Patienten mit Auto-Immunerkrankungen geeignet ist.
"Ärzte werden zukünftig durch Entscheidungssysteme bei der individuellen Diagnose und Therapieentscheidung unterstützt."Health Relations: Was bedeutet die Digitalisierung für Patienten, die an klinischen Studien teilnehmen?Henning Franke: Wir werden die Abläufe für Patienten in klinischen Studien deutlich vereinfachen können, beispielsweise indem sie Messungen zu Hause vornehmen und die Werte digital an uns übermitteln – und so deutlich seltener in die Klinik kommen müssen. Für den prognostischen Score bedeuten Datenbanken mit mehr als 2 Millionen Patienten einen Quantensprung. Sie ermöglichen uns heute viel genauere Prognosen zum Krankheitsverlauf und der Lebenserwartung von Patienten. Health Relations: Und wie sieht die Diagnose von morgen aus?Henning Franke: Ärzte werden zukünftig durch Entscheidungssysteme bei der individuellen Diagnose und Therapieentscheidung unterstützt. Mit Navify haben wir beispielsweise ein Clinical Decision Support System für die Onkologie entwickelt, dessen zentraler Baustein die cloudbasierte „Navify Tumor Board“ Software ist. Mit ihr lassen sich Tumorkonferenzen schneller vorbereiten, durchführen und dokumentieren. Durchschnittlich bleiben für eine Fallbesprechung in der Klinik heute drei bis vier Minuten. Je besser die Konferenz vorbereitet und relevante Befunde aufbereitet sind, desto fundierter lassen sich Therapieentscheidungen treffen. Patientenunterlagen können durch den Anschluss an die klinikeigenen Informationssysteme automatisch hinzugefügt werden. Die digitale Pathologie ist seit diesem Jahr auch Teil des Navify-Portfolios, sodass die Koordination, Planung, Präsentation und Dokumentation von Informationen für multidisziplinäre Besprechungen in der Onkologie optimiert wird. Zukünftig wird eine weitere App die Möglichkeit bieten, die zentralisierten Daten eines Patienten auch in zeitlicher Abfolge zu vergleichen, um daraus behandlungsrelevante Muster zu erkennen.
"Für Unternehmen bedeutet die Digitalisierung: Daten sammeln, Daten aggregieren, Mehrwert für den Patienten generieren."Health Relations: Wie verändern sich Gesundheitsunternehmen durch die Digitalisierung?Henning Franke: Für Unternehmen bedeutet die Digitalisierung: Daten sammeln, Daten aggregieren, Mehrwert für den Patienten generieren. Unternehmen können sich so in den klassischen Feldern weiterentwickeln, weg von einer One size fits-Versorgung hin zu einer individualisierten Therapie. Außerdem können Unternehmen auch zum Plattformanbieter werden. Beispiel: Wir haben mit Floodlight eine Plattform auf den Markt gebracht, die Smartphones mit integrierten Sensoren nutzt, um Veränderungen bei Befinden und motorischen Funktionen bei MS-Patienten zu ermitteln. Ziel ist, Menschen mit MS mit mehr Informationen zu unterstützen, Fachkräften bessere Möglichkeiten zur Diagnose von MS zu geben und insgesamt das Wissen über MS und deren individualisierte Therapie zu verbessern. Darüber hinaus werden Unternehmen zukünftig mehr und mehr zum Vernetzer verschiedener Leistungserbringer in der Gesundheitsversorgung werden.
"Die Realität in Deutschland ist hoch fragmentiert, Daten sind häufig isoliert und Informationen zum Teil noch nicht einmal digitalisiert."Health Relations: Und wie sieht der digitale Alltag von Patienten – Stichwort Disease Management – in Zukunft aus?Henning Franke: Im Disease Management werden Apps eine wichtige Rolle spielen. Sie unterstützen Patienten im alltäglichen Umgang mit der Krankheit und sorgen dafür, dass diese ihre Therapieziele leichter erreichen. Ein Beispiel ist unsere mySugr App, die das persönliche Diabetes Management erleichtert. Mit der App lassen sich alle Dinge des Alltags mit Diabetes dokumentieren und an einem Ort zusammenführen. Dadurch haben Nutzer ihre Diabetes-Daten immer dabei und können diese auch ganz einfach mit ihrem Arzt teilen. Health Relations: Das alles klingt vielversprechend. Aber Hand aufs Herz: Wo stehen wir in Deutschland tatsächlich mit der digitalisierten Gesundheit?Henning Franke: Hier ist eindeutig noch Luft nach oben. Die Realität in Deutschland ist hoch fragmentiert, Daten sind häufig isoliert und Informationen zum Teil noch nicht einmal digitalisiert. Vernetzung ist aktuell noch die Ausnahme, aber wir sind überzeugt, dass wir – wenn die regulatorischen Rahmenbedingungen geklärt sind – das Potenzial von neuen digitalen Lösungen und Anbietern voll ausschöpfen können. Die Zukunft unseres Gesundheitswesens ist auf alle Fälle digital. Health Relations: Danke für das Gespräch und eine erfolgreiche Future X Healthcare!