Sanofi Deutschland: Pharma muss Daten für Forschung nutzen können
Dr. Matthias Suermondt:Digitale Anwendungen kommen zum ersten Mal in eine Erstattungsfähigkeit. Da sind wir sicherlich Vorreiter, auch in Europa. Es gibt noch viel zu diskutieren, was den Prozess anbelangt und welche Anwendungen tatsächlich in die Erstattung kommen. Bisher gilt es nur bis Risikoklasse 2A, was aus pharmazeutischer Sicht noch zu kurz gesprungen ist, weil die spannenden Anwendungen, sprich Therapieempfehlungen, darüber hinausgehen. Aber es ist ein erster wichtiger Schritt, alles Weitere muss man in der Folgezeit entwickeln.
Health Relations: Wie bewerten Sie den Passus im neuen Patientenschutzgesetz, der besagt, dass Patienten die Daten der elektronischen Patientenakte nur der wissenschaftlichen Forschung spenden können und Pharmaunternehmen keinen Zugriff erhalten?Dr. Matthias Suermondt: Schlecht. 87 Prozent der klinischen Studien sind von der Industrie initiiert. Ich sage mal grob, neun von zehn Studien sind von der Industrie initiiert. Wir haben einen enormen Pool an Daten, wir haben extrem viel Erfahrung im Umgang mit anonymisierten Daten. Ich halte es deshalb für einen großen Fehler, wenn wir keine Kooperationen zwischen Universität, Digital Health Start-ups, der Industrie und weiteren Forschungszentren ermöglichen, um diese Daten gemeinsam nutzen zu können.
Dr. Matthias Suermondt ist seit 2014 als Vice President für die Geschäftspolitik und den Marktzugang bei Sanofi-Aventis Deutschland zuständig. Davor war der gelernte Industriekaufmann und Arzt als Leiter Onkologie Europa bei der Schering AG tätig.
Health Relations: Sie bezeichnen das Digitale-Versorgung-Gesetz als Zeitenwende. Warum? "Wir wollen den Patienten nicht mehr nur noch ein Arzneimittel, sondern eine ganzheitliche Lösung anbieten."Health Relations: Welche digitalen Gesundheitsanwendungen sind für Sanofi besonders interessant?Dr. Matthias Suermondt: Wir sind im Bereich Diabetes sehr aktiv und werden es auch weiterhin sein. Da gab es Missverständnisse in der Vergangenheit, was unsere Forschungsschwerpunkte anbelangt. Diabetes bleibt ein Schwerpunkt für uns und hier ist das Konzept „Integrated Care“ von Bedeutung. Wir wollen den Patienten nicht mehr nur noch ein Arzneimittel, sondern eine ganzheitliche Lösung anbieten. Das ist bei Diabetikern eine optimale Steuerung seiner Therapie. Hierzu nutzen wir das Modell der "vier Ds" – Diagnostik, Devices, also die Insulin-Pens, Drug, also die Therapie, und Data. Viermal D, um alles miteinander zu verbinden und dem Patienten von einer optimalen Glukose-Messung bis hin zu einer optimalen Insulin-Verabreichung ein integriertes Lösungskonzept anzubieten. Health Relations: An der Mitteilung, dass Ihr neuer Chef Paul Hudson die Diabetesforschung gestrichen hat, ist also nichts dran. Am Frankfurter Standort, wo viele Menschen mit der Erforschung von Diabetes beschäftigt sind, läuft das Tagesgeschäft ganz normal weiter?Dr. Matthias Suermondt:Der Frankfurter Standort läuft weiter, er passt sich aber auch an. Diabetes ist weiterhin ein Schwerpunkt mit zwei Richtungen. Wir wollen auch hier innovativ sein und Innovation sehen wir vor allem bei Diabetes Typ 1, sprich, wo es möglich ist, wirklich eine Heilung zu erzielen. Der zweite Schwerpunkt ist das Konzept zur Integrated Care mit den vier Ds.
"Die Außendienst-Aktivitäten mit dem Arzt finden häufiger über digitale Medien statt."Health Relations: Im letzten Jahr ist in den USA mit Livongo Health ein Digital Health Unternehmen an die dortige Börse gegangen, das Diabetikern rund um die Uhr Ansprechpartner bietet, die den Blutzuckerwert bewerten und Tipps aussprechen. Bindet das Konzept der vier Ds auch eine solche Diabetiker-Kommunikation ein? Dr. Matthias Suermondt: Mit Livongo arbeiten wir nicht zusammen. Wir haben vor Kurzem eine Kooperation mit Abbott für die Freestyle Libre Technology abgeschlossen, also optimale Blutzuckermessung. Eine andere Kooperation gibt es mit Biocorp, die exakt die verabreichte Menge von Insulin über die Pens messen können. Alle Bestandteile zu einem Gesamtkonzept für den Patienten zu vernetzen, das ist im Augenblick unser Ziel. Health Relations: Sie haben im letzten Jahr den Dentocopter für Zahnärzte gelauncht. Ist spielerischer Online-Content für Sanofi auch zukünftig ein wichtiger Zugang zu Zahnärzten und Ärzten? Dr. Matthias Suermondt:Ich glaube, dass sich Ärzte deutlich stärker als früher der Digitalisierung zuwenden. Das heißt, zum Beispiel auch, die Außendienst-Aktivitäten mit dem Arzt finden deutlich häufiger über digitale Medien statt. Über digitale Medien können Fachinformationen, wissenschaftliche Publikationen etc. heruntergeladen werden. Hier tut sich eine ganze Menge.
Dr. Matthias Suermondt ist seit 2014 als Vice President für die Geschäftspolitik und den Marktzugang bei Sanofi-Aventis Deutschland zuständig. Davor war der gelernte Industriekaufmann und Arzt als Leiter Onkologie Europa bei der Schering AG tätig.