Computer- und Videospiele sind zunehmend beliebter, in diesem Kontext können Serious Games im Disease Management oder in der Vorsorge eine wichtige Rolle spielen. Funktioniert das auch bei sehr jungen Zielgruppen?
Serious Games fallen auf fruchtbaren Boden. Die Zahlen, die der Jahresreport 2020, herausgegeben vom Verband der deutschen Games-Branche, präsentiert, sind beachtlich. Sie zeigen, wie selbstverständlich das Spielen im digitalen Raum geworden ist. Rund jeder zweite Deutsche spielt Computer- oder Videospiele. Das sind 34,4 Millionen Bundesbürger. Ganze 36 Prozent der Gamer spielen regelmäßig.  Auffällig ist, dass der Altersdurchschnitt der Nutzerinnen und Nutzer sich erhöht, und zwar von 36,4 Jahren 2019 auf 37,5 Jahren.  Beliebteste Spieleplattform ist das Smartphone. 19,5 Millionen Menschen nutzen es für Games.

Serious Games: Spielerisch die Gesundheitskompetenz stärken

Für das digitale Pharmamarketing bedeutet das, dass sich Computer- oder Videospiele nebst Plattformen wie Twitch zum relevanten kommunikativen Kanal entwickelt haben. Besonders in der Patientenkommunikation kann Gamification ein Weg sein, Indikationen und Therapien zu erklären und den Betroffenen im Disease Management zu unterstützen und die Adhärenz zu fördern.  Zunehmend rückt auch der Arzt in den Fokus von Health Games. "Pharma startet die ersten Experimente mit Gamification in der Arztkommunikation und lernt aus den ersten Umsetzungen", sagt Andreas Kotte, Director Digital Consulting bei MW Office Gesellschaft für Marketing und Werbung mbH in Frankfurt am Main. Ein Beispiel dafür liefert Leo Pharma mit dem Spiel eLEOmentary – Das Mysterium der verborgenen Haut, in dem Ärzte sich auf den Spuren von Sherlock Holmes bewegen.

Serious Games für Kinder: Hemo Heroes von Pfizer

Hemo Heroes ein Serious Game von Pfizer für Kinder

Gesund und glücklich, wenn der User sich gut um ihn kümmert: der Hemo Heroes-Avatar. © Pfizer

Doch können Serious Games auch  Kinder im Umgang mit ihrer Erkrankung unterstützen? 2018 stellte Pfizer im Rahmen der gamescon erstmalig seine Spiele-App Hemo Heroes vor. Sie richtet sich an junge Patientinnen und Patienten mit Hämophilie. Spielerisch sollen Kinder vor allem die Bedeutung des regelmäßigen Spritzens des Gerinnungsfaktors verstehen lernen. Inhaltlich erinnert das Spiel an den in den 90er Jahren populäre Tamagotchie. Die Kids kümmern sich um einen kleinen Avatar – ihren Hemo Hero. "Bei Hemo Heroes handelt es sich um ein Spiel mit edukativen Hintergrund, das mit Unterstützung von Patienten entwickelt wurde", erläutert  Ulrike Großheim, Country Brand Lead Haemophilia bei Pfizer. "Inhaltlich geht es darum, einen Hämophilie-Avatar durch den Tag zu führen und dabei alles zu beachten, was in der realen Welt ebenfalls wichtig ist. Das fängt beim Zähneputzen am Morgen an, führt über gesunde Ernährung bis hin zu Spiel und Spaß in gewissen Maßen. Dabei muss der Hämophilie-Avatar immer an seine regelmäßige Substitution der Medikamente denken und bekommt viele wichtige Inhalte transportiert."
"Digitale Medien werden mittlerweile vom frühen Kindesalter an omnipräsent auch im Rahmen der Erkrankung und Therapie als selbstverständlich betrachtet."
Die App, die für iOS- und Androidsysteme ausgelegt ist, richtet sich an Kinder im Alter vier Jahren, also an Nutzer im Vorschul- und Grundschulalter. Ulrike Großheim und ihr Team gehen davon aus, dass es für Kinder bis maximal acht oder neun Jahren interessant sein dürfte. "Es kommt allerdings auch immer auf den individuellen Gebrauch von Smartphones innerhalb der Familie an. Fängt ein Kind früh damit an, dann wird das Spiel auch schneller uninteressant."
Serious Games für Kinder Hemo Heroes von Pfizer

Kinder im Vorschul- und Grundschulalter bestreiten mit ihrem Hemo Heroes-Avatar den Alltag mit Hämophilie. © Pfizer

Der Kinderarzt als Kommunikator

Zielgruppe sind junge Patienten, der Weg zu ihr aber führt über die Eltern. Das heißt, die Kommunikation muss in erster Linie sie erreichen. Hier kommt der Kinderarzt ins Spiel. "Eltern mit hämophilen Kindern erfahren in der Regel über ihren behandelnden Arzt von solchen Angeboten. Es gibt spezielle Informationsmaterialien für Eltern, die über den Arzt abgegeben werden." Laut Ulrike Großheim ständen Kinderärzte und -ärztinnen Serious Games für Kinder und Jugendliche sehr aufgeschlossen gegenüber. "Aus unseren Gesprächen mit Kinderärzten wissen wir, dass diese das Heranführen an digitale Medien befürworten. Digitale Medien werden mittlerweile vom frühen Kindesalter an omnipräsent auch im Rahmen der Erkrankung und Therapie als selbstverständlich betrachtet." Ist Hemo Heroes ein Erfolg? Wie bemisst man überhaupt den Erfolg von Apps aus dem Bereich Rare Disease Management? Von Game-Apps, die sich an kleine Zielgruppen mit seltenen Erkrankungen richten? Eine schwierige Frage. Auf jeden Fall, so Ulrike Großheim, nicht mit dem Vergleich mit herkömmlichen Games. "Die Anzahl der Hemo Heroes-Nutzer ist nicht mit der 'herkömmlicher' Apps vergleichbar, da die Hämophilie eine seltene Erkrankung ist und wir somit eine zugespitzte Zielgruppe für die App haben. Dennoch können wir Zahlen nennen: Im Jahr 2020 haben insgesamt 215 User die App genutzt. Diese 215 User haben sich 512 Mal eingeloggt und jeder User hat durchschnittlich über 14,5 Minuten gespielt."

Erfolg ist kein Zahlenspiel

Erfolg misst sich also nicht in Downloadzahlen, gerade dann, wenn wir von seltenen Indikationen und einer so speziellen Zielgruppe sprechen. Laut der Deutschen Hämophiliegesellschaft kommt die schwere Hämophilie A mit einer Häufigkeit von 1:5000 bei männlichen Neugeborenen vor und ist etwa fünf- bis sechsmal häufiger als die Hämophilie B (1:25.000 bis 1:30.000). Es wird davon ausgegangen, dass in Deutschland etwa 6000 Hämophilie-Patienten leben, von denen etwa die Hälfte an der schweren Form leiden. Das schließt die Zahl der Erwachsenen mit ein.  Erfolg ist in diesem Falle kein Zahlenspiel mit klassischen KPIs, sondern eine Langzeitbeobachtung. Die Frage ist, inwiefern Serious oder auch Health Games wie Hemo Heroes schon früh die Therapie unterstützen und das individuelle Patientenwohl nachhaltig verbessern können. Ulrike Großheim ist überzeugt, dass Gamification mit digitalen Games dieses Potenzial haben – insbesondere bei Kindern.  "Das Wissen über ihre Krankheit und der bewusste Umgang mit ihr sind sehr wichtig für die Behandlung. Das gilt insbesondere bei chronischen Erkrankungen, bei denen eine dauerhafte Therapie notwendig ist – wie in unserem Fall bei der Hämophilie. Kinder mit Hämophilie müssen früh lernen, was es heißt, mit einer solchen Erkrankung zu leben." Hemo Heroes könne dabei unterstützen.
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