Corona hat Schwächen in der Wissenschaftskommunikation frei gelegt. Wie steht es um die „Pandemic Preparedness“, was sollten wir besser machen? Dieser Frage sind Expert:innen beim Janssen Open House nachgegangen. Markus Hardenbicker über Learnings und Aufgabenstellungen für die Branche.
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Health Relations: Wissenschaftler:innen und Ärzt:innen genießen laut COSMO-Studie ein hohes Maß an Vertrauen. Wie sieht es mit der Pharmabranche aus? Wie sehr vertrauen die Bundesdeutschen Pharmamarken als Kommunikator?Markus Hardenbicker: Das Vertrauen der Bürger:innen in forschende Pharmaunternehmen ist in den letzten Jahren stark gewachsen, aber weiter ausbaufähig. Untersuchungen zum Marktvertrauen (s.
Edelman Trust Barometer 2022 sowie Edelman Trust Barometer
2019, Anm. der Redaktion) attestieren der deutschen Pharmabranche im Vergleich zum Vorjahr einen Zugewinn von drei Wertungspunkten und beziffern das Vertrauen auf 45 Prozent. Das hängt sicher damit zusammen, dass viele Menschen während der Pandemie erstmals verstanden haben, was die Gesundheitsbranche leistet. Dass hier durchaus noch Luft nach oben ist, zeigt die seit 2019 steigende Tendenz des Vertrauens in den Bereich Healthcare. Das Vertrauen in unser globales Mutterunternehmen Johnson & Johnson ist dem aktuellen Edelman Trust Barometer zufolge sogar noch höher als das Vertrauen in die Pharmabranche allgemein. Diese Anerkennung freut uns sehr. Sie spornt uns an, das was wir tun, noch besser zu machen – auch die Kommunikation. Denn: Vertrauen muss man sich verdienen, immer wieder.
Die COSMO-Studie
COSMO ist ein Gemeinschaftsprojekt von Universität Erfurt, Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Robert Koch Institut, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Leibniz-Institut für Psychologie und Science Media Center. Ziel des Projektes ist es, wiederholt einen
Einblick zu erhalten, wie die Bevölkerung die Corona-Pandemie wahrnimmt, wie sich die “psychologische Lage” abzeichnet. Dies soll es erleichtern, Kommunikationsmaßnahmen und die Berichterstattung so auszurichten, um der Bevölkerung korrektes, hilfreiches Wissen anzubieten und Falschinformationen und Aktionismus vorzubeugen. So soll z.B. auch versucht werden, medial stark diskutiertes Verhalten einzuordnen.
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© https://projekte.uni-erfurt.de/cosmo2020/web/topic/vertrauen-ablehnung-demos/10-vertrauen/#zusammenfassung[/caption]
(Quelle: https://projekte.uni-erfurt.de/cosmo2020/web/about/)
Health Relations: Welche Aufgaben hinsichtlich der Kommunikation von wissenschaftlichen Inhalten ergeben sich daraus für die Pharmabranche?
Markus Hardenbicker: Die Universum Student Survey 2022 und ein renommierter
Wirtschaftsverlag haben uns erst kürzlich attestiert, dass Johnson & Johnson in Deutschland sowohl im Hinblick auf Bekanntheit als auch in der Wahrnehmung als attraktiver Arbeitgeber ins Spitzenfeld aufgerückt ist. Ein Grund ist sicher, dass wir durch unser Engagement in der Impfstoffentwicklung so sichtbar sind wie selten zuvor. Auch hier ist Kommunikation ein wesentlicher vertrauensbildender Faktor. Als wissenschaftsbasiertes Unternehmen wollen wir dazu beitragen, dass medizinische Informationen ihre Adressaten erreichen und verstanden werden. Dabei müssen wir strenge gesetzliche Vorgaben wie das Heilmittelwerbegesetz, kurz HWG einhalten. Wir dürfen also qua Gesetz nicht so transparent über unsere Produkte sprechen wie Unternehmen aus anderen Branchen. Umso wichtiger ist uns, im Rahmen unserer rechtlichen Möglichkeiten ein verlässlicher und glaubwürdiger Informations- und Dialogpartner für die Öffentlichkeit zu sein. Die Erwartungen und Bedürfnisse der Menschen ändern sich. Wir werden daher weiterhin Zeit, Kreativität und Mühe in die bestmögliche zielgruppengerechte Übersetzung und Vermittlung von Informationen investieren. Wir wollen weiterhin verlässliche Informationsquelle für Journalist:innen, Ärzt:innen, Patient:innen und all diejenigen sein, die auf der Suche nach Gesundheitsinformationen sind. Im Zusammenspiel aller Wissenschaftskommunikator:innen sehe ich uns als einen wichtigen Vermittler und Gatekeeper für relevante wissenschaftliche Informationen.
Health Relations: Das Janssen Open House 2020 und 2021(JOH) hat sich mt dem Diskurs Wissenschaftskommunikation auseinandergesetzt. Daraus entstanden ist ein Whitepaper, in dem es u.a. heißt: "Es braucht Plattformen für den regelmäßigen Dialog zwischen Wissenschaft und Journalismus, über die Fallbeispiele und Best Practices geteilt werden. Hier könnten Akteur:innen wie Stiftungen aktiv werden, aber auch forschende Pharmaunternehmen.“ Was will diese Plattform genau erreichen?Markus Hardenbicker: Letztlich geht es darum, die verschiedenen Akteur:innen miteinander ins Gespräch zu bringen. Insbesondere in einer Pandemie müssen komplexe wissenschaftliche Sachverhalte in kurzer Zeit verstanden und zielgruppengerecht korrekt „übersetzt“ werden. Angesichts dieser Herausforderungen Erfahrungen und Best Practices zu teilen, sich zu unterstützen und Lösungen für gemeinsame Herausforderungen wie den adäquaten Umgang Fake News zu finden, halte ich für immens wichtig. Der fachliche Austausch auf solchen Plattformen würde dazu beitragen, zentrale und qualitätsgesicherte Informationsangebote zu entwickeln, unter anderem als Unterstützungsangebot für Ärzt:innen und andere versorgungsnahe Berufsgruppen. Einen positiven Impuls haben sich die Teilnehmenden des JOH insbesondere von der geplanten Neuaufstellung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erhofft. Diese Instanz hat während der Pandemie leider nicht ihr Potenzial genutzt.
"Gute Kommunikation setzt auf staatlicher Ebene aber auch das Bereitstellen von Budget sowie das Schaffen von Strukturen, Kapazitäten und Pandemic-Preparedness-Plänen voraus. Dazu braucht es ein entsprechendes Bewusstsein. Ich habe meine Zweifel daran, dass wir in Deutschland schon so weit sind. "
Health Relations: Wäre es nicht praktikabler, eine einzige große Plattform für alle Beteiligten zu schaffen? Also auch für Patient:innen usw., wie es beispielsweise die skandinavischen Länder vormachen?
Markus Hardenbicker: Wir leben in einer äußerst dynamischen, fragmentierten Informationswelt. Menschen beziehen ihre Informationen von zahllosen Websites, Foren und Social Media Anwendungen. Die Zielgruppe von Wissenschafts- und Gesundheitskommunikation ist ausgesprochen heterogen. Wir sind gut beraten, diese Heterogenität bei der Art der Ansprache, Inhaltstiefe, Tonalität und Kanalauswahl zu berücksichtigen. Eine „one fits all-Lösung“ kann es nicht geben. Umso wichtiger sind qualitätsgesicherte Quellen – Plattformen – von denen Wissenschaftskommunikator:innen ihre Informationen beziehen und auf die sie verweisen können. Dass insbesondere skandinavische Länder hier weiter sind als wir, überrascht nicht. Wir müssen jedoch anerkennen, dass diese Länder seit Jahren massiv in die Digitalisierung und die Digitalkompetenz der Bevölkerung investieren.
Wie heißt es so schön: „Gute Kommunikation zur Sache ist immer ein gutes Invest.“ Ich möchte ergänzen: Gute Kommunikation setzt auf staatlicher Ebene aber auch das Bereitstellen von Budget sowie das Schaffen von Strukturen, Kapazitäten und Pandemic-Preparedness-Plänen voraus. Dazu braucht es ein entsprechendes Bewusstsein. Ich habe meine Zweifel daran, dass wir in Deutschland schon so weit sind.
Wissenschaftskommunikation unter Pandemiebedingungen: Die Learnings
Aus Sicht der Teilnehmer:innen des Janssen Open House stehen drei Herausforderungen ganz oben auf der Prioritätenliste:
• Komplexe Sachverhalte verständlich darstellen
• Tägliche Informationsflut bewältigen
• Vertrauen in (wissenschaftliche) Inhalte und Arbeitsweisen generieren
Health Relations: Bleiben wir bei der Coronaimpfung und der Kommunikation. Auch wenn die Statistik in Sachen Gesundheitsrisiko anderes sagt, haben viele Menschen vor dem Pieks mehr Angst als vor der Krankheit. Ein Umstand, der vielleicht auch dadurch begünstigt werden kann, dass der Umgang mit Nebenwirkungen für viele zu leise ist und war. Wie sehen Sie das?Markus Hardenbicker: Fakt ist: Es gibt kaum eine Therapie ohne Nebenwirkungen. Das gilt auch für die Corona-Vakzine. Diese Tatsache wurde nach meinem Verständnis zu jedem Zeitpunkt gerade auch medial sehr transparent kommuniziert, im Übrigen besser als während der Schweinegrippe-Pandemie 2009/2010. Zumindest in diesem Feld erkenne ich eine Lernkurve.
Die Art und Weise sowie der Zeitrahmen, innerhalb dessen wir Hersteller gemeldete Nebenwirkungen an die Behörden weiterleiten müssen, ist streng geregelt – völlig zu Recht. Gemäß diesem Prozess haben wir alle uns bekannt gewordenen Nebenwirkungen unverzüglich gemeldet. Diese standen dabei zunächst einmal in einem zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung, ein kausaler Zusammenhang mit dem eigentlichen Impfvorgang war nicht zwangsläufig gegeben. Nicht jede Nebenwirkung, die nach einer Impfung auftritt, lässt sich bei weiterer Prüfung auch kausal auf die Impfung zurückführen. Das ändert natürlich nichts daran, dass wir jeden einzelnen gemeldeten Fall sehr ernst nehmen, mit hoher Priorität bearbeiten und weiterleiten. In der Pandemie haben wir unsere Kapazitäten für den Dialog mit interessierten und besorgten Bürger:innen noch einmal deutlich erhöht, um jederzeit ansprechbar zu sein. Wenn man das alles berücksichtigt, denke ich, dass im großen Ganzen sehr transparent über wissenschaftlich belegbare und kausal nachgewiesene Fälle von unerwünschten Nebenwirkungen informiert wurde.
"Ein heute gedrucktes, nächste Woche verteiltes und just in dem Moment bereits veraltetes Informationspapier war keine Lösung."
Wissenschaftskommunikation unter Pandemiebedingungen: Handlungsfelder
Aus den Ergebnissen lassen sich fünf Handlungsfelder definieren:
• Vertrauen
• Komplexität
• Akteur:innen und ihre Rollen
• Aufgaben der Wissenschaftskommunikation
• Neue Wege in der Kommunikation
Health Relations: Was hat ihr Unternehmen als Learning aus der Pandemie mitgenommen, wenn es um die kommunikative Unterstützung der Ärzt:innen geht? Wo können Sie als Unternehmen besser werden und wo ist der Need der Ärzt:innen?Markus Hardenbicker: Ärzt:innen haben schon vor der Pandemie einen hervorragenden und unverzichtbaren Job gemacht. In der Pandemie sind sie regelrecht über sich hinausgewachsen. Unser Learning als Unternehmen – und mein persönliches Learning als Kommunikator – ist, dass der Bedarf dieser Berufsgruppe an qualitätsgesicherten, aktuellen Gesundheitsinformationen enorm ist. Schließlich waren es in der Pandemie insbesondere die Ärzt:innen, die – häufig als erste Ansprechpartner:innen der Patient:innen – deren Vorbehalte, Ängste und Unsicherheiten auffangen mussten, die durch zu viele, medial verstärkte, politische Kehrtwenden im Pandemiemanagement und durch die Dynamik dieser globalen Gesundheitskrise ausgelöst wurden.
Eine besondere Herausforderung in der Kommunikation war und ist, dass nicht nur wir als forschendes Pharmaunternehmen, sondern auch die Ärzt:innen selbst sich an strenge Vorgaben halten müssen – und zwar an unterschiedliche. Das hat Implikationen auf die Art der Aufbereitung der Informationen, die wir den Ärzt:innen zur Verfügung stellen dürfen. Insbesondere zu Beginn der Pandemie wurden täglich neue Erkenntnisse und Fakten generiert, die qualitätsgesichert, rechtssicher und strukturiert an die Ärzt:innen vermittelt werden mussten. Dabei galt es auch in kommunikativer Hinsicht, den dynamischen Erkenntnisprozess bestmöglich zu berücksichtigen. Konkret: Ein heute gedrucktes, nächste Woche verteiltes und just in dem Moment bereits veraltetes Informationspapier war keine Lösung.
Forschende Unternehmen wie Janssen lernen viel durch die Insights, die Ärzt:innen aus dem Praxisalltag und den Lebenswelten der Patient:innen vermitteln. Umgekehrt ist es unsere Aufgabe, ihnen den Zugang zu validen, evidenzbasierten Informationen zu sichern, die sie bei Bedarf an ihre Patient:innen weitergeben oder für den Dialog mit diesen nutzen können. Aus den Diskussionen im Rahmen des JOH wissen wir, dass Ärzt:innen sich während der Pandemie oft „ins kalte Wasser geschmissen” fühlten – auch verursacht durch kurzfristige Ankündigungen und Kehrtwenden der Politik.
Wissenschaftskommunikation unter Pandemiebedingungen: Fazit
• Wissenschaftler:innen und Kommunikator:innen sollten kommunikative Tandems bilden und sich gegenseitig unterstützen. Dies hat Vorteile für beide Seiten: Wissenschaftler:innen schärfen ihre Botschaften, finden den richtigen Zeitpunkt und Kanal. Kommunikator:innen stellen sicher, dass sie wissenschaftliche Zusammenhänge und Erkenntnisse adäquat darstellen.
• Der Staat sollte Ressourcen bereitstellen, um gezielt Materialien für die gesundheitliche Aufklärung zu entwickeln. Diese Informationen aus geprüfter Quelle wären eine große Hilfe und Entlastung für Ärzt:innen, Pflegekräfte sowie Mitarbeiter:innen in Behörden und Hilfsorganisationen, da sie Patient:innen unkompliziert zur Verfügung gestellt werden können.
• Die Entlarvung von Desinformationskampagnen und Fake News muss konsequenter und systematischer als bislang erfolgen. Falschmeldungen – absichtlich oder nicht – muss zeitnah auf den Kanälen entgegengetreten werden, auf denen sie kursieren.
• Wo halten sich relevante Zielgruppen wie zum Beispiel Impfskeptiker:innen auf und wie können sie erreicht werden? Um diese Menschen noch zu erreichen, bedarf es einer breiten medialen Allianz verschiedener Akteur:innen, entsprechender Strukturen und der notwendigen Finanzierung.
Hier besteht Optimierungsbedarf. Das schaffen wir nur durch einen kontinuierlichen – plattformgestützten - Austausch, der sukzessive weiterentwickelt werden muss. Die Lehren aus der Pandemiekommunikation bieten die Chance, Wissenschaftskommunikation neu aufzustellen, zu gewichten und ihre Qualität nachhaltig zu steigern. Schließlich geht Gesundheit – der Schutz unserer Gesundheit – uns alle an, nicht nur in Gesundheitskrisen.
Janssen Open House
https://youtu.be/Oq3_xwomDVc
Das Janssen Open House (#JOH) ist eine jährliche Plattform für den offenen, kritischen, immer konstruktiven Austausch zwischen Vordenker:innen und Innovator:innen aus Gesundheitswesen und Gesellschaft. Seit 2021 lädt das Unternehmen Gäste nicht mehr an einem einzigen Tag, sondern über das Jahr verteilt zu digitalen Diskussionsrunden ein.