Wie verändert Corona die Pharmakommunikation?
Nico Geigant: Das Interesse an gesundheitsbezogenen Informationen ist in Deutschland schon immer sehr groß gewesen und hat nun aufgrund von COVID-19 einen weiteren Schub erfahren. Inhalte zur Corona-Pandemie sind natürlich stark gefragt, aber das Suchverhalten bei vielen weiteren Themen wie Immunstärkung, psychische Gesundheit oder Magen-Darm-Gesundheit steigt ebenfalls stark an. Im Hinblick auf die Kommunikation zu Ärzten oder Apothekern sehen sich die Unternehmen mit der Tatsache konfrontiert, dass wichtige analoge Kontaktpunkte wie Kongresse, Symposien, Fortbildungen oder Außendienstaktivitäten derzeit nicht oder maximal nur sehr eingeschränkt möglich sind. Hier ist es empfehlenswert, über digitales Informationsmaterial, wie zum Beispiel E-Lizenzen oder Content-Hubs, die Kommunikation mit den Zielgruppen aufrechtzuerhalten. Der Trend ist nicht neu: Bei MWO haben wir von Ende 2017 bis Ende 2019 einen Zuwachs der digitalen Budgets von über 60 % verzeichnet. Und von Mai 2019 bis Mai 2020 nochmals um 22 %. Die Zugriffe auf HCP-Plattformen haben sich durch COVID-19 um 125 % erhöht. Wir wissen andererseits, wie wichtig für Fachkreise der analoge Austausch auf Kongressen und Tagungen ist. Viele Branchen, auch im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit oder einer weiter verminderten Mobilität, prüfen derzeit, wie zukünftig Präsenzveranstaltung stärker in den digitalen Raum verlegt werden können. Ein Anstieg bei den Teilnehmerzahlen von E-Fortbildungen wird daher sicher weiter zu verzeichnen sein.
Health Relations: Wie und wo platziere ich als Pharmaunternehmen meine Inhalte am besten? Eher auf eigenen Portalen oder auf Fremdkanälen?
Nico Geigant: Websites von Pharmaunternehmen sind bei HCPs bisher nur wenig relevant in der Informationsnutzung – auch wenn dieses Eingeständnis viele Unternehmen schmerzen mag. Kooperationen mit etablierten Medien sind umso sinnvoller. Aus meiner Sicht ist es wichtig, die Filter- oder die nach wie vor bestehende Gatekeeper-Funktion und das damit einhergehende Vertrauen, über das seriöse Medien verfügen, und deren positive Abstrahleffekte zu nutzen. Hier geht es nicht um reine Platzierung von Inhalten, sondern um ein gemeinsames Erarbeiten von Inhalten.
Health Relations: Herr Geigant, die Corona-Pandemie verändert das mediale Konsumverhalten, wissenschaftliche Inhalte werden beliebter. Wirkt sich das auch auf die Kommunikation von Pharmaunternehmen aus?"Im Fachbereich sind Fachzeitschriften nach wie vor die wichtigste Quelle mit der höchsten Relevanz in der Informationsnutzung."Health Relations: Aber Print boomt doch auch gerade. Viele analoge Medien freuen sich über einen starken Anstieg der Leserzahlen…Nico Geigant: Absolut. Im Fachbereich sind Fachzeitschriften nach wie vor die wichtigste Quelle mit der höchsten Relevanz in der Informationsnutzung, wie es auch die LA-MED-Studien zeigen. Viele Verlage profitieren von dem Vertrauen, das der Leser in ihre Publikationen hat. In Krisenzeiten wie diesen zahlt sich das aus, die Nutzung steigt, weil der Inhalt für sie seriös und nachvollziehbar, sprich vertrauenswürdig ist. Health Relations: Also ist Print das erste Mittel der Wahl in der Kommunikation?Nico Geigant: Aus meiner Sicht ist eine crossmediale Strategie jetzt umso mehr der richtige Ansatz. Denn die digitale Kommunikation bietet viele Vorteile, die Unternehmen für sich nutzen können. Der Dialog mit dem Kunden, mit dem Arzt, Apotheker oder der PTA, in Echtzeit zum Beispiel, das ist nur im digitalen Raum möglich. Unternehmen haben das bereits erkannt und shiften Budgets ins Digitale. Unternehmen müssen dann aber eben auch bereit sein, auf Augenhöhe zu kommunizieren und ein gewisses Maß an Kontroversität als wichtig zu erachten. Oder auch die digitale Zusammenarbeit mit kleineren Ärzte-Fokusgruppen, das Besprechen oder das gemeinsame Herausarbeiten von speziellen Themen, kann Pharmaunternehmen einen hohen Erkenntniswert bringen. Kanäle und Inhalte müssen also zueinander passen. Ein einfaches Beispiel für gelungene crossmediale Kommunikation: Einen digitalen Expertenroundtable offen und dialogorientiert gestalten – und dann die gewonnenen Erkenntnisse in der Nachberichterstattung reichweitenstark über Print kommunizieren. Denn die aktuelle Lage bestätigt mit Sicherheit, wie hoch das Bedürfnis einerseits nach Involvement, andererseits nach inhaltsstarken Themen ist.
Marek Hetmann, Verkaufsleiter Medizin beim Deutschen Ärzteverlag:
[caption id="attachment_18870" align="alignleft" width="300"] © Deutscher Ärzteverlag/Immo Fuchs[/caption] "Inzwischen ist es nicht mehr nur der Beileger oder die Display Ad, nicht mehr nur Print oder nur Digital. Es sind ganzheitliche, crossmediale Kampagnen, die dafür sorgen, dass Inhalte bei den Ärzten auch tatsächlich ankommen." Den ganzen Artikel finden Sie hier." Es ist wichtig, die Filter- oder die Gatekeeper-Funktion und das damit einhergehende Vertrauen zu nutzen, über das seriöse Medien verfügen."Health Relations: Was sind denn Inhalte, die Ihrer Meinung nach jetzt in Fachkreisen gefragt sind?Nico Geigant: Tools und Content, die helfen, das digitale Patientenmanagement und die Adhärenz zu unterstützen. Hier können Unternehmen den Dialog fördern, individualisierte Services kreieren, beim digitalen Praxismanagement und im Handling unterstützen. Natürlich ist es auch in Zukunft wichtig, dass Pharmaunternehmen als Partner der Ärzte weiter reichweitenstark über Indikationen und Krankheitsbilder aufklären. Health Relations: Ein informierter Patient hilft dem Arzt, oder?Nico Geigant: Genau - wenn wir nämlich Adhärenz nicht nur als ein Buzzword verwenden, sondern es konsequent umsetzen. Ein informierter Patient kann besser am Therapieziel mitarbeiten oder auch im verschreibungsfreien Bereich Entscheidungen selbstbestimmt treffen. Gerade dies war für viele nun auch notwendig, das sie beispielsweise aufgrund von COVID-19 und den verbundenen Einschränkungen nicht mehr in Praxen oder Apotheken persönlich vorstellig werden konnten oder wollten. Die Telemedizin muss hier zügig weiter ausgebaut werden, um den Dialog zu fördern und Patienten zu stärken.
"Die Nutzung von Podcasts und Online-Audio hat durch COVID-19 einen extremen Aufschwung erfahren. Wir erleben eine Steigerung um ca. 30 %."Health Relations: Dann sind wir beim Stichwort Patient Centricity.Nico Geigant: Ja. Auch das wird jetzt im Zuge der Digitalisierung Fahrt aufnehmen. Welche Infos kann ich dem Patienten und Endverbraucher zukommen lassen, wie und womit kommt er zurecht? Die Kommunikation mit dieser Zielgruppe kann über den Arzt erfolgen oder direkt. Die Direktkommunikation zwischen Pharmaunternehmen und Konsumenten wird wichtiger, weil das Thema Selbstmanagement der Familie und des Individuums immer bedeutender wird. Um diese Gruppe zu erreichen, hilft es, besagte Kooperationen mit etablierten Medien einzugehen, um Vertrauen zu erzeugen. Patientenverantwortung heißt aber auch anzuerkennen, dass eine Google-Recherche kein Medizinstudium ersetzt. Health Relations: Wie viel Tiefe in der Information darf man dem Konsumenten zutrauen? Wenn ich an den sehr erfolgreichen Podcast mit Christian Drosten denke, einiges.Nico Geigant: Dieses Beispiel zeigt, wie groß das Interesse an medizinischen und wissenschaftlichen Informationen ist und sein kann, wenn der Informationsgeber, in diesem Fall ein Virologe und Experte auf seinem Gebiet, als vertrauenswürdig eingestuft wird. Seine Art zu berichten, sein Status, seine Stimme, all das erzeugt Vertrauen. Auch die Websites des Bundesgesundheitsministeriums und des Robert Koch-Instituts rangierten bei der Informationsnutzung unter den Top-Sites, da hier den Absendern und den vermittelten Informationen Vertrauen entgegengebracht wurde. Health Relations: Es gibt ja auch bereits Pharmaunternehmen, die einen Podcast pflegen.Nico Geigant: Genau. Einzelne Pharmaunternehmen sind teilweise schon sehr aktiv in ihrer Außenkommunikation. Das wird sich verstärken nach Corona. Innerhalb der Fachkreise und bei den Patienten wächst der Need nach Informationen. Die Nutzung von Podcasts und Online-Audio hat durch COVID-19 einen extremen Aufschwung erfahren. Wir erleben eine Steigerung um ca. 30 %. Für viele scheinen sie der ideale Mix aus substanzieller Information, einer persönlichen Vermittlung und einer guten Integration in den Alltag zu sein. Während im Publikumsbereich die Nutzung also sehr stark angestiegen ist, ist sie im Fachbereich derzeit noch moderat ansteigend. Umso interessanter also für Unternehmen, die sich als First-Mover verstehen. Unternehmen haben auch hier unterschiedliche Möglichkeiten, je nach Zielgruppe, strategischen Zielen oder auch Ressourcen: So sind neben der Erstellung von eigenen Podcasts, der Distribution über Vermarkter auch Sponsorings von bestehenden Podcasts interessante Alternativen. Pharmaunternehmen, die sich als Kommunikatoren und Förderer des Dialogs verstehen, haben somit vielfältige Ansatzpunkte und Chancen. Health Relations: Vielen Dank für das Gespräch und die Insights, Herr Geigant.