Wie verändert KI die Arzt-Patient-Beziehung?

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Prof. Dr. Markus Langer, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, forscht zu Mensch-KI Interaktion,
Prof. Dr. Markus Langer, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, forscht zu Mensch-KI Interaktion, © privat
Prof. Dr. Markus Langer, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, forscht zur Mensch-KI-Interaktion. Im Interview mit Health Relations erklärt er, wie sich KI auf das Arzt-Patienten-Verhältnis auswirkt und welche Beziehung Patient:innen zu Pharma entwickeln könnten.
Hier lesen Sie:
  • Was KI mit der Position von Patient:innen zu Ärzt:innen macht,
  • wie sich Ärzt:innen zu KI positionieren können,
  • welche Sorge Ärzt:innen in Sachen KI umtreiben und welche davon realistisch sind,
  •  welche Rolle Pharma in diesem Beziehungsgeflecht übernehmen kann
  • wie sich die Kontaktpunkte zwischen Ärzt:innen, Patient:innen, Pharma verändern

Health Relations: Kann das Arzt-Patienten-Verhältnis durch KI überhaupt beeinflusst werden?

Prof. Dr. Markus Langer: Ich würde schon sagen, dass es so ist. Je nachdem, welche KI verwendet wird, haben entweder Ärzt:innen oder Patient:innen ein Werkzeug in der Hand, das dieses Verhältnis verändern kann. In Bezug auf die Patient:innen finde ich, dass das nichts Neues ist. Patient:innen informieren sich schon länger mithilfe von Google und gehen dann mit Vorwissen zu den Ärzt:innen. Mit einem KI-basierten Tool könnte man sich das so vorstellen: Sie nutzen eine Hautkrebs-Screening-App und die sagt Ihnen, dass Sie mit diesem Muttermal, das Sie gerade abfotografiert haben, besser in eine Praxis gehen sollten. So eine Expertise könnte eine Art Ausgleich herstellen. Das könnte das Verhältnis zwischen Arzt und Patient verändern.

Health Relations: Und wie sieht es mit der Ärzteseite aus?

Prof. Dr. Markus Langer: Auf der Ärzteseite haben wir natürlich auch immer mehr Tools. Die verleiten möglicherweise dazu, dass Ärzt:innen in ihren Entscheidungen bestärkt werden. Das macht selbstbewusster und außerdem fällt es Patient:innen vielleicht noch mal schwerer, etwas dagegen zu sagen. Die KI kann also die Position der Patient:innen, aber auch die der Ärzt:innen stärken.

Health Relations: Bleiben wir noch ein bisschen auf der Ärzteseite. Hier herrscht noch viel Verunsicherung in Sachen KI. Manche fürchten, überflüssig zu werden, was erstmal eine Abwehrhaltung auslösen könnte.

Prof. Dr. Markus Langer: Ja, das ist typisch für Bereiche, in denen man über Automatisierung nachdenkt. Dann geht es zunächst immer um die Sorge, dass jemandem etwas weggenommen wird und eine Konkurrenz entsteht. Das kann durchaus auch als solches wahrgenommen werden. Besonders spannend ist für mich der Gedanke: „Oh, andere Ärzt:innen nutzen diese KI-Tool jetzt – werde ich jetzt von Ärzt:innen, die das benutzen, abgehängt?“

„Die Systeme in der Radiologie sind inzwischen so gut, dass sie fast bessere Diagnosen stellen als menschliche Ärzte. Aber überall da, wo es viel Patientenkontakt gibt, ist ,ersetzen‘  das falsche Wort.“

Health Relations: Also, dass es vielleicht gar nicht so sehr darum geht, komplett ersetzt zu werden?

Prof. Dr. Markus Langer: Komplette, oder zumindest zu großen Teilen eine Ersetzbarkeit, das gibt es natürlich auch. Das betrifft beispielsweise Bereiche wie die Radiologie. Die Systeme sind inzwischen so gut, dass sie fast bessere Diagnosen stellen als menschliche Ärzte. Aber überall da, wo es viel Patientenkontakt gibt, ist „ersetzen“ das falsche Wort. Es geht eher um ein Erweitern, also den Arzt oder die Ärztin zu erweitern und deren Fähigkeiten zu verbessern. Wenn KI-basierte Tools dann wirklich dazu beitragen, die Fähigkeiten von Ärtz:innen zu erweitern, dann müssen sich Ärzt:innen definitiv mit der Frage beschäftigen, ob sie von diesen Kolleg:innen abgehängt werden.

Health Relations: Wie kann Pharma in dieses Szenario hineinspielen?

Prof. Dr. Markus Langer: Malen wir uns eine App aus, bei der die Nutzenden ihre Daten eingeben. Die App könnte mit der eAkte und einem System verknüpft sein, das Arzneimittel vorschlägt. Das System würde vielleicht vorschlagen, eine Schmerztablette einzunehmen. Allerdings ist die endgültige Entscheidung für ein Medikament eine Hochrisiko-Entscheidung, und zwar vermutlich auch, wenn es um ein Low-Risk-Medikament geht. Dann wären wir trotzdem in einem Bereich, bei dem ein Mensch laut entstehenden Rechtsvorschriften wie dem europäischen AI Act involviert werden muss. Denkbar wäre, dass Patient:innen dann in die Apotheke gehen, um einen Apotheker oder eine Apothekerin kontrollieren zu lassen. Vielleicht verändert sich die Rolle der Apotheken hin zu einer gewissen Aufsichtspflicht. Das System könnte aber Empfehlungen für bestimmte Medikamente geben. Für eine Rezepterstellung müsste eine dazu berechtigte Person eingeschaltet werden.

„Ich würde zustimmen, dass hier die Pharmahersteller mitgestalten können und beispielsweise Plattformen zusammen mit Diagnostikern entwickeln.“

Health Relations: Denkbar ist doch auch, dass das in Zukunft auch andere Berufsgruppen wie Pflegekräfte mehr Entscheidungsbefugnisse erhalten. In der Folge müsste sich doch dann die Pharmaindustrie überlegen, wen sie auch noch ansprechen müssen, um Medikamente bekannt zu machen.

Prof. Dr. Markus Langer: Ja, das ist richtig. Im Bereich der Niedrigrisikomedikamente ist das durchaus denkbar.

Health Relations: Hinzu kommen technologische Entwicklungen, wie digitale Plattformen, die immer weiter verbreitet werden und über die die Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Patient:innen abläuft. Muss sich auch Pharma Konzepte überlegen?

Prof. Dr. Markus Langer: So etwas kann ich mir gut vorstellen. Wenn man sich entschließt, Pflegekräfte zu empowern und ihnen einen größeren Spielraum in ihren Entscheidungen zulässt, kann man diese mit einem KI-basierten System unterstützen. Ich würde zustimmen, dass hier die Pharmahersteller mitgestalten können und beispielsweise Plattformen zusammen mit Diagnostikern entwickeln.

„Wichtig ist aber, festzuhalten, dass nicht nur das Expertenwissen in die Technik fließt, sondern auch die Interessen unterschiedlicher Stakeholder und das kann auch gefährlich sein.“

Health Relations: Das sind spannende Entwicklungen, die nicht nur das Arzt-Patienten-Verhältnis ändern, sondern auch von Patient:innen zu Pharma. Es scheint, dass viele Bereiche näher aneinander rücken und gleichzeitig die Netzstrukturen komplexer werden. Ist das richtig?

Prof. Dr. Markus Langer: Ich würde es mal so sagen: Es gibt neue Technologien, die die Wege, die Verteilung von Ressourcen und die Entscheidungsfindung vereinfachen. Zuvor musste man immer wieder zur Anlaufstelle Mensch. Jetzt hat man möglicherweise ein System, das mit verschiedenen Stakeholdern den Kontakt ermöglicht oder deren Expertise innerhalb des Systems sozusagen vorrätig hat. Vielleicht habe ich am Ende überhaupt keinen Kontakt mit einem Menschen mehr, aber die Plattform suggeriert mir diesen Kontakt. Wichtig ist aber, festzuhalten, dass nicht nur das Expertenwissen in die Technik fließt, sondern auch die Interessen unterschiedlicher Stakeholder und das kann auch gefährlich sein. Darum muss so etwas auch reguliert werden.

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