Meeting-Overload: Warum wir überdenken müssen, wie wir zusammenarbeiten

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Porträt Dirk Schmachtenberg, lachend mit MacBook auf dem Schoß. Das bild ist Aufmacher eines Interviews über Meetings und wie man sie besser machen kann.
Dirk Schmachtenberg, Managing Partner bei PLAN D © PLAN D
Die Anzahl von Meetings hat gerade nach der Pandemie und der Entwicklung hin zur Remote-Arbeit im Homeoffice zugenommen. Studien aber zeigen, dass zu viele Meetings die Produktivität hemmen. Was ist das für ein Dilemma – und wie kommen wir da raus?

Health Relations: Herr Schmachtenberg, lassen Sie uns über Meetings sprechen. Eine Studie des Berliner Think Tanks „Next Work Innovation“ zum Thema „Arbeitsunterbrechungen“ besagt, dass Wissensarbeiter  eineinhalb  Tage pro Arbeitswoche in Meetings verbringen. Ein Drittel davon, also vier Stunden, halten die Befragten für überflüssig. Der Satz „This meeting could have been a mail“ ist bereits zum Internet-Meme geworden. Auch Brand Manager von Pharmaunternehmen berichten uns in qualitativen Interviews, dass sie ihre Arbeitszeit zu einem Großteil in Meetings verbringen. Warum ist das so, obwohl nicht jedes Meeting sinnvoll erscheint?

Wer ist Dirk Schmachtenberg?
Dirk Schmachtenberg ist Geschäftsführer von Plan D, einer Strategie- und Technologieberatung für Daten und Künstliche Intelligenz. Er ist Experte für Organisationsentwicklung und Change Management. Sein besonderes Interesse gilt den Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Arbeitswelt und die Gesellschaft von morgen.

Dirk Schmachtenberg: Generell ist es so, dass es immer noch bestimmte Insignien von Macht und Erfolg gibt, zum Beispiel wie viele direkte Mitarbeiter man hat, wie viele Mitarbeiter man führt, wie beliebt man ist. Das zeigt sich auch darin, wozu man eingeladen wird. Woran darf man teilnehmen oder muss man teilnehmen? Und wie ist die Hierarchiestufe in den entsprechenden Meetings, in den Besprechungen, zu denen man dann eingeladen wird? Das war eigentlich schon immer so, wobei die Anzahl der tatsächlichen Besprechungen einfach auch durch die operativen Möglichkeiten begrenzt war. Insbesondere dann, wenn Reisetätigkeit damit verbunden war oder zum Teil noch ist.

„Zunehmend scheint es auch so zu sein, dass das Auffüllen des eigenen Kalenders mit Meetings quasi gleichbedeutend ist mit dem Nachweis: Ich arbeite viel und bin wichtig. Wie voll der Kalender ist, ist fast so eine Art Währung für Fleiß und Wichtigkeit.“

Health Relations: Was sich durch die Pandemie sicherlich gedreht hat. Da reicht ein Klick, um in die nächste Besprechung zu hüpfen. Vom Homeoffice aus.

Dirk Schmachtenberg: Richtig. Jetzt haben wir die Situation, dass die meisten Meetings online oder zumindest hybrid stattfinden, also ohne Reisezeit. Und wir haben die Situation, dass die allermeisten Unternehmen nach Corona sehr, sehr viel Remote Work zulassen, zulassen wollen oder teilweise auch zulassen müssen. Es bestehen also keine technischen operativen Hürden mehr, um an Meetings teilzunehmen. Ich muss mich lediglich einloggen. Zunehmend scheint es auch so zu sein, dass das Auffüllen des eigenen Kalenders mit Meetings quasi gleichbedeutend ist mit dem Nachweis: Ich arbeite viel und bin wichtig. Wie voll der Kalender ist, ist fast so eine Art Währung für Fleiß und Wichtigkeit. Wenn jemand einen vollen Kalender hat, dann ist er oder sie eben beschäftigt, beliebt, wichtig, fleißig.
Wenn jemand seinen Kalender freiräumt, um z.B. mal einen Tag oder mehrere Stunden konzentriert an einer Sache zu arbeiten, das aber aus dem Homeoffice heraus macht, dann ist oft nicht ganz klar, ob er oder sie jetzt wirklich arbeitet oder sich auf der Terrasse sonnt.

Health Relations: Der volle Kalender schützt vor Vermutungen dieser Art, kann also ein Schutzmechanismus der Mitarbeitenden sein.

Dirk Schmachtenberg: Ja. Da diese Vermutung häufig gerade bei den Unternehmen mitschwingt, die erfolglos versuchen, zurückzukommen zu einer Präsenzkultur, ist der Reflex der Arbeitnehmer:innen sehr, sehr häufig, dass sie sich den Kalender einfach mit Meetings vollknallen, um quasi den bestmöglichen Arbeitsnachweis zu erbringen.

Health Relations: Wobei ein Meeting ja wirklich Arbeit ist. Stichwort Vorbereitung.

Dirk Schmachtenberg: Eben nicht immer. In vielen Unternehmen gelten für Präsenzmeetings bestimmte, gute Regeln oder zumindest Mindestanforderungen. Man ist vorbereitet, hat die Unterlagen im Vorfeld gelesen zu den Themen, um die es geht, hat die Agenda gelesen, sich informiert, konzentriert sich auf die Gesprächspartner, lenkt sich nicht ab mit Nebentätigkeiten, macht Notizen, setzt sich im Nachhinein mit den Ergebnissen auseinander. Die Praxis zeigt: Online-Meetings funktionieren oftmals anders.  Ich kann quasi mehr oder weniger unvorbereitet in das Meeting stolpern und niemand merkt das. Ich muss jetzt kein bestimmtes Mindset mitbringen. Manche machen es nicht mal zur Pflicht, die Kamera anzumachen, aus verschiedensten Gründen. Man kann sich in Online-Meetings oftmals gut zurücknehmen.

Health Relations: Das gilt aber nur für größere Meetings.

Dirk Schmachtenberg: Wir beobachten, dass man online meistens einen viel größeren Teilnehmerkreis einlädt als den, den man eigentlich wirklich bräuchte. Weil es eben total unkompliziert ist. Ich nehme lieber alle dazu, die irgendwie noch etwas mit dem Thema zu tun haben könnten, anstatt mich wirklich auf die drei, vier, fünf Personen zu konzentrieren, die ich wirklich brauche für ein Thema.

Health Relations: Die ökonomische Auswirkungen dieser Entwicklungen lassen sich ja sogar in Zahlen fassen.  Eine Auswertung von American Express zu Meetingkosten wiederum besagt, dass Meetingexperten aus Europa im Durchschnitt bei internen Meetings oder Trainings für das Jahr 2023 mit Kosten pro Teilnehmer in Höhe von 554 US-Dollar rechnen. Wie nehmen sie das wahr, wie groß ist der Need in Unternehmen, die Anzahl von Meetings abzubauen, weil sie die Produktivität hemmen und Zeit und Geld kosten?

Dirk Schmachtenberg: Derzeit erlebe ich einen sehr starken Gewöhnungsfaktor an diese Prozesse in Unternehmen. Das gehört gerade einfach dazu. Im Remote Working wird jede kleine Abstimmung, die man zuvor telefonisch bilateral gelöst hätte, zum Meeting, und diese Meetings sind sehr viel länger in der Regel, als sie eigentlich sein müssten. Niemand stellt Meetings für zehn Minuten ein. Sie sind meistens dreißig Minuten und länger. Das heißt, wir haben nicht nur mehr, sondern auch längere Abstimmungsprozesse, was die Produktivität und den Output verschlechtert. Aber, das sage ich mal ganz ketzerisch, daran hat man sich anscheinend gewöhnt.

Health Relations: Wenn ich als Mitarbeitender die Situation ändern möchte, scheint das unter den Umständen, die sie beschreiben haben, nicht ganz leicht. Veränderungen können von innen heraus entstehen oder von oben gelenkt sein. Das scheint mir der größere Hebel zu sein.

Dirk Schmachtenberg: Ja, von oben kann man sehr, sehr viel tun. Also der erste Filter, den ich persönlich z.B. versuche zu setzen, ist, mir genau zu überlegen, wen ich zu Meetings einlade. In der Hierarchie bin ich Geschäftsführer, das heißt, wenn ich jemanden aus meiner eigenen Organisation zum Meeting einlade, dann wird er oder sie wahrscheinlich kommen. Die Person wird wahrscheinlich nicht grundlos ablehnen. Maximal wird er oder sie nachfragen, wie wichtig das Treffen ist, da gerade viele weitere Aufgaben vorliegen. Deshalb mache ich es in der Praxis so, dass ich immer erkläre, ob die Teilnahme wichtig ist oder optional. Das heißt, ich gebe Wahlmöglichkeiten. Ich bin privat kein großer Fan von Elon Musk, aber bei Tesla haben alle das Recht, ein Meeting zu verlassen, wenn er oder sie das Gefühl hat, nichts beitragen zu können. Das ist ein guter Ansatz, so aber in der Praxis in den meisten Unternehmen nicht denkbar.

Health Relations: Weil viele Menschen dieses Recht nicht nutzen würden. Aus Sorge, dass man jemanden vor den Kopf stoßen könnte oder auch aus der Angst heraus, etwas zu verpassen. Fear of missing out, kurz fomo. Auch das kann ein wichtiger Mechanismus sein, den man bedenken muss in Meeting-Dynamiken, oder?

Dirk Schmachtenberg: Absolut. Wenn ich nicht dabei bin, bin ich halt nicht Teil der wichtigen Crew. Ich kriege die Informationen nicht mit, die besprochen werden. Und das reale Risiko, dass sich das, wenn es fortgesetzt und gehäuft stattfindet, am Ende negativ auf meine Karriere auswirkt, trage ich auch.

Health Relations: Das heißt aber wiederum, wenn man als Unternehmen Meetings reduzieren möchte, dann müsste ich das tatsächlich in den Strukturen selber ändern, weil ich nicht erwarten kann, dass die Mitarbeiter:innen das selber ändern. Denn selbst wenn diese zaghaft versuchen, gezielter einzuladen, kürzere Meetings anzusetzen oder selber Meetings auszuschlagen, könnten sie andere vor den Kopf stoßen oder haben Sorge, Wichtiges zu verpassen.

Dirk Schmachtenberg: Ja, ich glaube, das Wichtigste ist eine klare Zielsetzung im Unternehmen vorzugeben. SAP hat z.B. 2022 den Meeting-freien Freitag ausgerufen. Es ist einfach wichtig, dass die Geschäftsführung oder der Vorstand eine Orientierung gibt, damit nicht dieser Rechtfertigungsmarathon entsteht. Ich arbeite, denn mein Kalender ist voll von Meetings. Wir müssen eine andere Wertevorstellung von Arbeit  im Unternehmen installieren.

„Wir müssen im ersten Schritt unwichtige Meetings definieren und weglassen. Meiner Meinung nach lohnt es sich zum Beispiel immer, zu überlegen, ob man Jourfixes braucht oder nicht.“

Health Relations: Dann sind wir bei der Unternehmenskultur und der Frage, wie sehr der oder die Arbeitgeber:in ihren Mitarbeitenden vertraut. Und wie gut es einem Unternehmen gelingt, durch alle Führungsinstanzen hindurch eine Form von gegenseitigem Vertrauen zu schaffen. Du arbeitest, auch wenn du nicht nur in Meetings bist oder ständig Mails schreibst.

Dirk Schmachtenberg: Richtig. Das klingt so einfach, ist aber immer noch für viele Unternehmen in Deutschland eine Riesenaufgabe. Denn dieses Leistungsdenken, das früher durch eine Anwesenheitskultur und jetzt durch viele Meetings bestimmt wird, steckt noch tief drinnen.

Health Relations: Wobei ich gedacht hatte, dass sich das gerade mit der selbstbewussten, nachwachsenden Generationen Y und Z  ändert.

Dirk Schmachtenberg: Diese Generationen sind jedoch sicherheitsfixiert und diskutieren Dinge nicht immer aus. Aber es gibt Möglichkeiten, aus diesem Kreislauf herauszukommen, auch ganz praktische. Wir müssen im ersten Schritt unwichtige Meetings definieren und weglassen. Meiner Meinung nach lohnt es sich zum Beispiel immer, zu überlegen, ob man Jourfixes braucht oder nicht. Meistens ist die ehrliche Antwort nein. Man trifft sich, wenn es etwas zu besprechen gibt und sonst nicht. Der zweite Punkt ist, an der Qualität der einzelnen Meetings zu schrauben. Habe ich eine Agenda, also was soll wirklich besprochen werden. In der Vorbereitung sollte ich die Frage beantworten können, was der Beitrag sein soll, den ich mir von den Teilnehmenden erhoffe, und dieser Beitrag sollte dann auch zu geliefert werden. Ein gutes Meeting hat auch immer ein Ergebnis, mit dem alle arbeiten können.

„Es muss nicht immer ein Meeting sein. Es gibt auch andere Kanäle wie Slack, die ich problemorientiert nutzen kann, um mit den Personen, die involviert sind, schnell zu Lösungen zu kommen.“

Health Relations: Heißt, ich kann als Führungskraft versuchen, ein Bewusstsein für die Qualität von Meetings zu installieren – und hoffen, dass sich das dann positiv auswirkt auf die Meeting-Kultur.

Dirk Schmachtenberg: Ja. Was ich auch sehr wichtig finde: Die allermeisten Meetings würden mit der Hälfte der Zeit gut hinkommen. Macht kürzere Meetings! Das kann auch jeder und jede einzelne beitragen.

Health Relations: Wenn Unternehmen viel Remote arbeiten, haben Meetings nicht auch eine soziale Komponente?

Dirk Schmachtenberg: Absolut. Ich glaube allerdings nicht, dass man dafür vortäuschen muss, fachliche Meetings zu machen. Also anders ausgedrückt, man könnte auch in der Agenda 3 Minuten für Socializing einplanen, und dann konzentriert arbeiten.
Und noch ein Tipp: Es muss nicht immer ein Meeting sein. Es gibt auch andere Kanäle wie Slack, die ich problemorientiert nutzen kann, um mit den Personen, die involviert sind, schnell zu Lösungen zu kommen.

Health Relations: Was halten sie denn von der Idee eines Zeitkontos für Meetings. Alle haben nur ein bestimmtes Kontingent an Stunden, dass sie für Meetings nutzen dürfen.

Dirk Schmachtenberg: Also ich glaube, Timeboxing ist gut, weil es erstmal eine Orientierung schafft und wenn ich weiß, ich habe 60 Stunden für Meetings, dann bin ich halt nicht 160 Stunden in Meetings. Die Schwierigkeit mit solchen Budgets ist immer, dass sie dann auch quasi ausgeschöpft werden. Das kennen wir ja von finanziellen Budgets.
Wenn ich zum Beispiel 10.000 Euro Budget habe für irgendetwas, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich die Summe ausgebe, ziemlich groß, weil man mir sonst beim nächsten Mal weniger gibt. Es besteht die Gefahr, dass das beim Timeboxing auch so läuft. Aber es gibt zumindest eine Orientierung. Und die muss am Ende immer die Unternehmensführung vorgeben.

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