KI kann die Medizin präziser machen und die Patientenkommunikation verändern – ist aber nicht ohne Risiko. Sascha Lobo, digitaler Stratege, und Timo Frank, u.a. Ada Health,  über digitale Technologie und das Gesundheitswesen von morgen.
„Ich würde sagen, es gibt in Deutschland zwei verschiedene Arten von Menschen: die, die KI schon mal benutzt haben und die, die nicht wissen, dass sie sie schon mal benutzt haben“, erklärt Sascha Lobo. KI durchdringe schon jetzt unser Leben, ohne, dass wir das wirklich wahrnehmen würden.
 Für den Alltag mag das stimmen, aber wie verhält es sich im medizinischen Bereich? Kann KI die Medizin, das Gesundheitswesen verändern? Und wenn ja, wie? Genau darum ging es im Online Talk „Hallo Zukunftsmedizin“. Moderator  Dr. Gerd Wirtz hatte sich für dieses Thema kundige Verstärkung ins Studio geholt:  Sascha Lobo und Timo Frank. Ersterer dürfte vielen als Autor, Spiegel-Kolumnist und Strategieberater mit Schwerpunkt Internet und Markenkommunikation bekannt sein. Timo Frank ist einer der Gründer des Vereins Hashtag Gesundheit, studierter Gesundheitsökonom, Market Access bei Ada Health und Chroniker. Ihm wurde vor 12 Jahren die Diagnose Colitis ulcerosa gestellt, eine chronisch entzündliche Darmkrankheit. „KI verändert das Verhältnis zwischen Arzt oder Ärztin und mir“, sagt er. Digitale Gesundheitsanwendungen wie Symptom-Analyse-Apps würden es ihm als Patienten erlauben, mehr Selbstverantwortung zu tragen. Ein höchst populäres Beispiel für den Impact, den digitale Technologie als solches haben kann, stellt die Entwicklung der COVID-19-Impfstoffe dar. „Der CEO von Moderna, Stephane Bancel, hat in einem Podcast von Andreessen Horowitz berichtet, wie man im Januar 2020 das Genom des Corona-Virus heruntergeladen und es von diesem Schritt bis zur fertigen Entwicklung des Impfstoffes gerade einmal 48 Stunden gedauert hätte“, berichtet Sascha Lobo. Bio-Plattformen nach dem Vorbild der großen Plattformen wie Amazon oder Apple können also die Medikamentenentwicklung beschleunigen. Die Forschung und Entwicklung von Medikamenten hat zudem dank KI auch das Potenzial, präziser, individueller zu arbeiten. Ein Allheilmittel für alle Bereiche der Medizin sei die KI laut Sascha Lobo aber nicht. „Ich glaube, dass es in ganz vielen Facetten auch immer noch auf den Menschen ankommt und auch ankommen muss und auch ankommen sollte.“ https://www.youtube.com/watch?v=vcRmeVpGcc8

Arzt und Patient:in können dank KI kooperieren

KI kann den oder die Ärzt:in nicht ersetzen. Sie soll es auch gar nicht. Davon ist Timo Frank überzeugt. „Wie nutzt ein Arzt, eine Ärztin, mit dem Patienten, der Patientin zusammen die KI? Darauf kommt es ja am Ende an, dass die KI gar nicht für sich alleine steht.“ Für ihn als Patienten ergeben sich dank KI und Trackingsystemen neue Möglichkeiten in der Kooperation mit dem Arzt oder der Ärztin – auf Augenhöhe. So könne man präventiv Krankheiten verhindern, möglichst früh erkennen sowie personalisiert behandeln. Das geht natürlich nur, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Der Patient oder die Patientin muss willens sein, Verantwortung für seine eigene Gesundheit zu übernehmen und der oder die Ärzt:in muss offen für digitale Tools sein. Aus Sicht Sascha Lobos ist letzteres sogar unabdingbar, wenn man als Ärzt:in nicht riskieren wolle, dass der eigene Job durch die KI ersetzt werden wird. „Ich glaube, dass man als Ärztin oder Arzt dafür arbeiten muss, dass der eigene Job nicht bedroht wird. Es wird einen Teil von Ärzten geben, deren Job tatsächlich ersetzt werden könnte.“ Das beträfe keine bestimmten Fachgruppen, nur, wer sich nicht entwickle in bestimmten Bereichen, der riskiere am Ende die eigene Relevanz. „Das ist ja auch eine wichtige Erkenntnis, weil das nämlich bedeutet, dass diese ganze Technologie, speziell auch die KI, eigentlich die ganze Branche zur Weiterentwicklung zwingt.“
„Ich glaube, dass man als Ärztin oder Arzt dafür arbeiten muss, dass der eigene Job nicht bedroht wird."
Medizinische Berufsbilder werden sich verändern. Die KI hat das Zeug, die Gesundheitsbranche zu verändern. Allerdings hilft es nicht, die Augen vor den Herausforderungen und Risiken zu verschließen. Wenn ein:e Patient:in ob einer Therapieentscheidung auf Basis von Künstlicher Intelligenz stirbt, ist dann die Technologie oder der oder die behandelnde Mediziner:in schuld? Hinzu kommt die Tatsache, dass eine Vielzahl von Daten und Erkenntnissen, die in die KI einfließen, laut Lobo männlich fixiert sind. „Meistens auf weiße, mittelalte Männer aus Europa, die einigermaßen gesund sind. Das ist eine radikal patriarchale Fokussierung.“ Das alles sind Themen, denen die Branche sich stellen muss, wenn die KI sinnvoll in die Medizin integriert werden soll.  Das braucht  Mut und den Willen, diesen Weg auch gehen zu wollen – und zwar von allen Beteiligten.
Tipp: Die nächste Ausgabe von  "Hallo Zukunftsmedizin" findet statt am 25. Mai 2022 um 13 Uhr. Gast: Dr. Yael Adler, Thema:  "Digitalisierung – Fluch oder Segen für die Arzt-Patienten-Kommunikation?".  Mehr Informationen finden Sie hier.