Die Coronakrise hat zahlreiche Folgen für die Pharmaindustrie. Was sind die wichtigsten für das Marketing? Health Relations hat bei Experten von Boehringer Ingelheim und PwC nachgefragt.
In den vergangenen Wochen war immer wieder von der Chance in der Krise zu hören, aber auch, dass die Pandemie wie ein Katalysator wirkt: Bereits bestehende Defizite wurden unübersehbar und längst überfällige Neuerungen wurden schneller umgesetzt. Wie hat sich Covid-19 auf das Marketing von Pharmafirmen ausgewirkt? Dieser Frage widmet sich eine
Umfrage des Beratungsunternehmens PwC Strategy& unter 100 Ärzten.
Welche Engagement-Modelle wurden durch Covid-19 beschleunigt?
Ein Ergebnis: Etwa 61 Prozent der Befragten rechnen in den nächsten 12-18 Monaten nicht mit einer Rückkehr zu den bisherigen Zuständen mit zahlreichen persönlichen Besuchen von
Vertriebsmitarbeitern. "Die neue Normalität zeichnet sich durch die stärkere Nutzung digitaler Kanäle aus", sagt Holger Schmidt, Partner Strategy& Deutschland (M&A in Digital im Bereich Pharma Life Sciences). Ärzte und Patienten nutzen vermehrt das
Videogespräch, und auch Vertrieb und Marketing der Pharmaindustrie haben sich auf
digitale Kanäle verlagert. Der Marketingexperte ist sich sicher, dass die
persönliche Interaktion zwischen Pharma-Vertriebsmitarbeiter und Arzt nicht mehr die primäre und einzige sein wird. "Pharmaunternehmen sind angesichts der Popularität virtueller Kanäle unter Zugzwang", konstatiert Holger Schmidt. "Mit der zunehmenden Digital-Affinität von Ärzten und den neuen Lösungen der Start-ups bieten sich ihnen aber auch Möglichkeiten."
Welche Erkenntnisse ziehen deutsche Healthcare-Startups aus Covid-19?
Dr. Heike Sonnenberg-Cassens, Leiterin des Marketings im Bereich Established Products bei
Boehringer Ingelheim sieht das ebenso. Ihr Unternehmen hat im Zuge der Pandemie
neue Formate für die Kommunikation entwickelt: "Wir haben beispielsweise zusätzliche virtuelle Informationsveranstaltungen zum Thema Atemwegserkrankungen durchgeführt. Dies ist ein Therapiebereich, mit dem sich Boehringer Ingelheim bereits seit Jahrzehnten intensiv beschäftigt. Durch die COVID-19 Pandemie ist unsere Expertise hier natürlich besonders gefragt." Sie ist sicher, dass die Veränderungen langfristig nachwirken werden und kann sich vorstellen, dass es künftig häufiger
Hybridveranstaltungen geben werde, bei denen verschiedene Veranstaltungstypen miteinander kombiniert werden.
Bedürfnisorientierte Kommunikation für den Kunden
Für Pharmaunternehmen wird es immer wichtiger, sich nach den Kundenbedürfnissen auszurichten und verschiedenste Kommunikationsformen zu nutzen, die dann passgenau auf die Ärzte zugeschnitten werden können. „Da die Bedürfnisse stark variieren, wird es entscheidend sein, die Ärzte bestmöglich zu verstehen und hierfür auch Data- und Analytics-Lösungen zu nutzen, um sogenannte Mikro-Segmente von Medizinern zu bilden und die Kanäle entsprechend zuschneiden zu können. Weiterhin müssen die
Marketingmaterialen an die Wünsche der Ärzte angepasst werden“, rät Holger Schmidt. Das zeigen auch die Umfrageergebnisse der Studie. Diese ergaben, dass Ärzte medizinische Informationen zu Medikamenten deutlich mehr schätzen als allgemeine Produktinformationen.
Dr. Heike Sonnenberg-Cassens ist Leiterin des Marketings im Bereich Established Products bei Boehringer Ingelheim. © Boehringer Ingelheim
Für die Unternehmen gilt es jedoch auch, die eigenen Mitarbeiter auf die sich ändernden Bedingungen vorzubereiten. Bei Boehringer ist das bereits geschehen. Die Firma hat Mitarbeitenden beispielsweise unterschiedliche Schulungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt, um den schnellen digitalen Wandel zu unterstützen. „Innerhalb kürzester Zeit wurden enorm viele Mitarbeitende auf
mobiles Arbeiten umgestellt und mit dem nötigen Equipment ausgestattet“, berichtet Dr. Heike Sonnenberg-Cassens. Der Grundstein hierfür sei bereits in den vergangenen Jahren gelegt worden.
Der sich ohnehin wandelnde Pharmamarkt wird mit den Folgen der Krise noch eine Weile zu kämpfen haben. Auch hier haben Entwicklungen, die schon vor Jahren begonnen haben, eine Beschleunigung erfahren. Holger Schmidt ist der Meinung, dass sich in Zukunft spezialisierte Plattformen nach Therapiegebieten herausbilden werden." Nur aus einer starken Marktposition heraus können Pharmaunternehmen diese Plattformen wesentlich mitgestalten. Die Änderungen im Marketing werden daher Konzentrationstendenzen im Markt der Pharmaunternehmen weiter fördern und strategische Implikationen weit über das Marketing hinaus haben", fasst er zusammen.