Uhren, die den Blutzucker tracken und Operateure, die im virtuellen Raum trainieren können. Das South by Southwest Festival ist keine typische Pharmaveranstaltung, aber durchaus einen Besuch wert. Die SXSW-Tech-Trends 2023 und der Blick in die Zukunft.
In diesem Beitrag erfahren Sie:
- was genau das SXSW Festival ist,
- warum das SXSW in den Augen von Johnson & Johnson ein für die Pharmabranche wichtiger Raum ist,
- welche Tech-Trends und digitalen Innovationen 2023 die Top-Themen waren,
- wie KI und VR die Medizin verändern können,
- welche Risiken die Technologie mit sich bringen kann,
- was Amy Webb genau mit AISMOSE meint und was die Folgen davon sein können,
- warum die SXSW auch eine Bühne für das Employer Branding sein kann – und wie Moderna sich hier präsentierte.
Es begann als kleines regionales Musikfestival, heute ist das South by Southwest (SXSW) in Austin, Texas, einer der wichtigsten Treffpunkte für Kreative, Tech-Geeks und Unternehmen aus aller Welt. Auch die Healthcare-Branche ist dabei, seit 2011 hat sie einen eigenen
Health & MedTech Track, in diesem Jahr gesponsert von Johnson & Johnson.
Eine typische Health-Tech-Konferenz ist dieses Event definitiv nicht. Der einzigartige Mix aus Hollywood-Glamour, Film, Musik, technologischen Innovationen und bahnbrechenden Visionen zieht eine nicht weniger einzigartige Mischung an Gästen an. Nancy Pelosi war da, Barack Obama wurde gesichtet und natürlich OpenAI-Co-Founder Greg Brockman. Er sprach unter anderem darüber, wie
AI die Medizin verändern wird. Es ist genau diese Themenmischung, die den Reiz dieser Veranstaltung ausmacht und jährlich über
70.000 Besucher:innen anzieht.
Was ist das SXSW?
Das
South by Southwest (
SXSW) Festival ist eine jährliche Festival-Konferenz, die seit 1987 in Austin, Texas, stattfindet. Hier werden die neusten Trends und Innovationen im Bereich Film, Musik und Technologie in den Bereichen "Music, Film & Interactive" in Form von Workshops, Konferenzen und Fachausstellungen präsentiert. Deutschland ist mit seinem „German Haus“ vertreten, in dem Podiumsdiskussionen und Konzerte stattfinden, sowie mit einem offiziellen deutschen Messestand auf der Creative Industries Expo. 2023 fand sie vom 13. - 19. März statt.
SXSW – für Pharma ein relevanter Ort
Auch wenn nicht alle Besuchenden sich speziell für die Healthcarebranche interessieren, ist das Festival dennoch gerade für technologiegetriebene Pharmaunternehmen ein relevanter Ort. Es kann sich lohnen, hier präsent zu sein und sich am Ideenaustausch zu beteiligen, findet
Stacy Feld, Regional Head, Johnson & Johnson Innovation, West North America. "Das South by Southwest bietet die Möglichkeit, mit innovativen Führungspersönlichkeiten aus verschiedenen Branchen in Kontakt zu treten. Die
Ottilie Krug, Head of Marketing DACH
Wörwag Pharma GmbH & Co. KG, ist Immer auf der Suche nach Inspiration – egal ob bei der SXSW in Austin, im nächsten Video-Call mit ihrem Team oder bei ihren Bienen. ©OK/Wörwag
Teilnehmenden und Gäste der SXSW decken das Ökosystem der Patientenversorgung, Anbieter, politischen Entscheidungsträger, Branchenführer, Unternehmer und Investoren aus den Bereichen Gesundheitswesen, Biowissenschaften, Biotechnologie und Verbrauchergesundheit ab. Das ist für die Pharmaindustrie ein spannender Ort."
Ottilie Krug, Head of Marketing DACH bei WÖRWAG Pharma, teilt diese Meinung. In einer digitalen Welt sei das Festival relevant, nicht nur, aber auch für Healthcare. "Wenn ich auf eine Veranstaltung wie diese gehe, dann bin ich nicht nur mit der medizinischen Brille unterwegs. Als Marketingverantwortliche schaue ich auch über die Branchengrenzen hinweg. Ich muss wissen: Was ändert sich, welche Trends gibt es, die uns alle betreffen und die auch das Marketing in all seinen Facetten verändern werden." Was in Austin besprochen wurde, das kann die ganze Welt betreffen. Auch deshalb hat beispielsweise die Agenturgruppe
Ogilvy ihre Präsenz auf dem Festival 2023 ausgeweitet, um sich mit den unterschiedlichsten Branchenexpert:innen zu vernetzen. Einer ihrer Schwerpunkte: Mental Health & HCPs.
SXSW 2023: Das waren die Tech-Trends für Pharma
Damit traf Ogilvy einen Nerv.
Psychische Gesundheit gehörte zu den inhaltlichen Schwerpunkten. Was
Stacy Feld ist Regional Head, Johnson & Johnson Innovation, West North America. Sie verantwortet u. a. den Portfolio-Aufbau und -Pflege von Co-Investitionen und Kooperationen in den Bereichen Pharma, Consumer Health und Medizintechnik. © JCo Studio/J&J
können Technologien leisten, um Betroffenen zu helfen? Dabei ging es um Awareness, aber auch um Disease Management und Selbstfürsorge. "Beeindruckt haben mich Lösungen wie '
Woebot'", sagt Ottilie Krug. Die App soll bei Depression und Angstzuständen unterstützen, indem sie mit Betroffenen kommuniziert. "Der Chatbot ist komplett KI-getrieben, lernt also ständig dazu."
Künstliche Intelligenz (KI) und Virtual Reality (VR) waren denn auch die Top-Themen auf der SXSW. Es gibt wohl keinen Bereich, der nicht von den Technologien erfasst wird. Das Potenzial, das sie für die Gesundheitsbranche mitbringen können, ist jedoch besonders hoch.
Das zeigt sich schon jetzt ganz handfest in Form von verschiedenen Anwendungen. Zum Beispiel bei der VR- Brille teora® von "Living Brain", einem Heidelberger Unternehmen, das sich auf der SXSW präsentierte. Mit dem als Medizinprodukt zertifizierten Tool können Schlaganfallpatienten Alltagshandlungen daheim trainieren.
Future Today Institut-Gründerin
Amy Webb ging noch ein ganzes Stück weiter Richtung Zukunft. Sie präsentierte in ihrem jährlichen
Tech Trend Report auch einen Ausblick auf deren Auswirkungen. KI und VR könnten, so ist in dem 800 Seiten starkem Report zu lesen, die Medizin nicht nur verändern, sondern auch optimieren. Mithilfe von Technologien wie Datenbrillen, neuen Sensoren, Extended Reality (XR) und KI könnten digitale Assistenzsysteme entstehen, die zu verbesserten organisatorischen oder administrativen Abläufen und Operationen in der Medizin beitragen könnten. Es könnte ein Medical Metaverse erschaffen werden, in welchem die Fäden zusammenlaufen. Auch Open-AI-General Manager Greg Brockman sieht für die generative KI wie ChatGPT viele Einsatzbereiche, zum Beispiel als Sparringpartner und Entscheidungshilfe für behandelnde Ärzt:innen. Anne Wojcicki, Mitbegründerin und CEO des Unternehmens für Gentests,
23andMe, sieht in der Verbindung von genetischen Daten und KI sogar die Möglichkeit, Krankheiten vorherzusagen.
Was waren die Top-Themen auf der SXSW 2023 aus Pharma-Sicht?
- Künstliche Intelligenz als Innovationsmotor für eine bessere Gesundheitsversorgung
- Datenschutz und Datennutzung: Telemedizin und neuartige Pflegeleistungen: das Zuhause als neues Gesundheitszentrum und die Rolle von Pharmaunternehmen und anderen Gesundheitsdienstleistenden in diesem Spektrum
- Mental Health: Technologiegestützte Innovationen wie 3D-gedruckte Körperteile und Gehirnimplantate, VR-Training für Operateure
- CRISPR: Die Geneditierungstechnologie und ihre Anwendungen in der personalisierten Medizin
Risiken und Nebenwirkungen: Datenschutz und AISMOSE
Viele Potenziale. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten. Da ist man schnell beim Thema Datenschutz und Datenmanagement, und hier wartet auf alle Beteiligten eine Menge Arbeit. "Eine Uhr, wie sie Apple produziert", sagt Ottilie Krug, "ist inzwischen eigentlich ein Medical Device. In Zukunft soll die Apple Watch sogar den
Glukosegehalt im Körper messen können, ohne Blut zu entnehmen, was ein wirklicher Meilenstein in der Diabetes-Therapie wäre. Aber was passiert mit den Daten? Das wurde viel und berechtigterweise diskutiert."
Amy Webb sieht noch weitere Risiken auf uns zukommen. Eine vollkommen durch die KI durchdrungene Welt betitelt sie mit dem
Begriff AISMOSE, eine Wortschöpfung aus Artificial Intelligence und Osmose. Die Infrastruktur, die durch AISMOSE entstehen würde, wäre schnell unverzichtbar, Regularien und ethische Leitplanken müssten frühzeitig erstellt werden, um die Entwicklung auf die richtige Bahn zu lenken und den bestmöglichen Mehrwert für den Menschen erzielen zu können. Wenn Personen permanent durchleuchtet und durch Empfehlungsalgorithmen mit Werbung und nutzlosen Inhalten konfrontiert werden, zähle am Ende eben nicht mehr, was sie suchen, sondern was uns verkauft werden kann. Die Folge: Wir erhalten nicht die Informationen, die wir eigentlich bräuchten, sondern jene, die uns von Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, und zwar von einigen wenigen. Denn realistischerweise könne eine digitale Infrastruktur in diesem Umfang nur von ein paar großen Technologieunternehmen bereitgestellt werden, was bestehende Monopole in der digitalen Infrastruktur weiter verfestige. Es stellt sich also die Frage nach einer möglichen Regulierung. "Es geht darum, Ungleichheiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung zu verringern, sicherzustellen, dass alle Patienten von den neuesten medizinischen Innovationen profitieren und die Kontrolle über ihre persönlichen Gesundheitsdaten haben", fasst
Stacy Feld die Herausforderung zusammen.
Die SXSW als Bühne fürs Employer Branding
Moderna-Chief Brand Officer Kate Cronin sprach in ihrem Talk mit Genius Guild-Gründerin Kathryn Finney und Jacqueline Jones, Leiterin der strategischen Partnerschaften im Bereich Diversität, Integration und Zugehörigkeit bei LinkedIn, über Gleichberechtigung und Diversität. © Moderna
Inhaltlich war der Event also herausfordernd und bot Pharmaunternehmen Inspiration und Information. Darüber hinaus aber ist das Festival eine Bühne für den Austausch – auch mit Talenten. Man sei, so Stacy Feld, mit der breiteren Gesundheits- und MedTech-Community auf eine wirklich dynamische Art in Kontakt gekommen. "Wir konnten so u.a. unsere Position als Arbeitgeber für digitale Talente und als Partner für Healthcare-Innovatoren festigten." Nicht nur Johnson & Johnson nutzte die Veranstaltung als Bühne für das eigene Employer Branding. Das
Biotechnologieunternehmen Moderna zum Beispiel war zum ersten Mal Teil der Creative Expo auf der SXSW, als Sponsor des „Health and Wellness Pavillion“. Mit dem Format „
Sunday Coffee Hour“ luden sie zum informellen Austausch über Programme und Karrieremöglichkeiten ein. Im Verlauf der Tagung nahm Moderna Chief Brand Officer Kate Cronin an der Podiumsdiskussion zum Thema Gleichberechtigung und Diversität teil.
Fazit: South by Southwest – die etwas andere Pharmaveranstaltung
Lohnt es sich auch für deutsche Pharmaunternehmen, auf der South by Southwest präsent zu sein? "Ja", sagt Ottilie Krug. "Aber man sollte Interesse mitbringen und Offenheit für neue Themen." Auch Stacy Feld empfiehlt den erweiterten Blick auf die Veranstaltung und den Besuch von Panels, die vielleicht nicht mit dem Pharma-Label daherkommen, aber trotzdem spannend sein könnten. "Seien Sie aufgeschlossen und besuchen Sie eine Sitzung, die Sie normalerweise nicht auf einer Arbeitskonferenz besuchen würden. Erkunden Sie ein Thema, das Sie interessiert und das vielleicht außerhalb Ihrer Branche liegt - Sie werden überrascht sein, wo Sie Inspiration und Kreativität finden."